Wiglaf Droste

Auf sie mit Idyll


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und führen sich auf wie die überdimensioniert dicken Autos Marke Omniprotz.

      Die heiße Angeberluft kulinarischer Selbstaufblähung verströmt auch Jürgen Dollase. Was der einstige Krautrocker der Band Wallenstein für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Küchenkultur und Kulinarik schreibt, endet noch stets als rhetorischer Krautwickel: »Es ist die reine Entmaterialisierung des Aromas, eine so leichte Textur, dass man von der Befreiung des Aromas von den Lasten der Textur reden könnte.« Könnte, wenn man wöllte; aber nicht jeder liebt Crème de Schwall – von der Jürgen Dollase genug für alle im Kopf hat. Da er ohne den Humus des Humors durchs Leben kommen muss, mündet seine Verbissenheitskulinarik in unfreiwillige Komik. In seinen Texten gibt Dollase der Welt Sprach- und Bedeutungsrätsel auf; als er allerdings im Januar 2010 in der FAZ »Grünkohls Lobgesang« anstimmte, lieferte er die Lösung gleich im ersten Satz mit: »Auf der Suche nach Ansatzpunkten für eine verbesserte Akzeptanz der regionalen und traditionellen Küche in Deutschland scheint es immer wieder ein fehlendes Glied zu geben.«

      Nun weiß die Welt, was Jürgen quält,

      Weil es Dollase immer fehlt.

      Vor Grünkohl mit feinem Pinkel nimmt man gern Reißaus. Und landet, wenn man Pech hat, bei Johann Lafer. Im Verein mit der Porzellanfirma Villeroy & Boch heckte Lafer das Wortspiel »Essthetik« aus – mit »E« und Doppel-«s« – »Essthetik«. Allein dafür wird er dereinst in der Wortspielhölle schmoren und köcheln – langsam und qualvoll, versteht sich. Jedesmal, wenn ich den Werbeständer Lafer ein Schaufenster vollgrinsen sehe, fällt mir eine Liedzeile des Sängers Danny Dziuk ein:

      »Und das Klo, zu dem ich kroch

      War von Villeroy und Boch.«

      Gibt es eine Kulinarik ohne geschwätzige Mitesser, ohne Prahlwerbung und ohne Sprachverrenkungen? Vielleicht in der freien Wildbahn, draußen, auf der Straße? Am Bahnhof liegt Angebot neben Angebot, eins am anderen, und sie alle verbinden sich zu einer olfaktorischen Kakophonie, die sämtliche mannigfach vorhandenen Schrecken der optischen, architektonischen und akustischen Vergehen noch steigert. Verschiedenste Gestänke brennen sich in die gequälten Nüstern; man sieht Nahrungsersatzstoffkonsumenten mit konvulsivisch zuckenden Bewegungen. Ob sie im Stehen oder Gehen etwas in ihren abgeknickten, vorn aufgeklappten Kopf hinein oder es schon wieder aus ihm herauswürgen oder sogar beides auf einmal, bleibt unersichtlich; geschmacklich macht es ohnehin keinen Unterschied.

      So flieht man zu guter Letzt an die solitäre Bude, wo man die Welt schnell im Biss hat. Jahrelang war der »Happi-Happi-Grill« in Kassel mein Lieblingsimbiss; gern mischte ich mich unter die Besucherschaft und sah in vielen Gesichtern, was zu sehen ich erahnt hatte: das stille Glück, die Freuden der Regression, die erfüllte Sehnsucht nach einem Bewusstseinszustand, der mit den Worten Happi-Happi hinlänglich und zutreffend beschrieben ist.

      Den »Happi-Happi-Grill« gibt es nicht mehr, und einen gleichwertigen Ersatz vermochte ich lange Zeit nicht zu finden. Eines Abends jedoch, als ich zu Fuß die Stadt Halle an der Saale durchmaß, sah ich ein Licht, nein: Ich sah DAS Licht, »I saw the Light«, wie Hank Williams es besang. Ich erkannte das Licht, es war eine Schrift, und die Schrift leuchtete durch das Dunkel der Welt: »don’t worry, be curry«.

      Be happy bei happi-happi gab es nicht mehr, aber dieses war genauso gut: »don’t worry, be curry«. Es war ganz einfach: Man musste nur in den psychisch-seelisch-geistigen Bewusstseinszustand einer Currywurst gelangen, und schon war jede Sorge wie nie gehabt und nie gewesen. Ob man sich in diesen Zustand herab- oder heraufwurschteln musste, spielte keine Rolle, das war im Wortsinne wurst und nur eine Frage der Perspektive und der Selbsteinschätzung. Hauptsache, man kam dort an. Dann war alles gut.

      Ich stand bei »don’t worry, be curry«, verzehrte eine Currywurst und wurde eins mit ihr. Ich sank ein in das Murmeln um mich her, niemand sprach zuviel oder zu laut, jeder war für sich, und alle zusammen waren eine Wolke auf Zeit. Imbissbude ist demokratisch und egalitär: Ob Mann oder Maus, hier bekommt jeder Flüchtling Asyl, hier darf jedes Würstchen Würstchen sein und Würstchen essen.

      Man steht einfach nur da und muss nichts – nichts leisten, nichts tun, nichts sagen, nichts anhören. Es ist der Zustand der Seligkeit. Das absolut Verblüffende daran ist: Man muss dazu nicht einmal tot sein.

      Mir fiel die massenmediale Inszenierung des Robert-Enke-Begräbnisses am 15. November 2009 ein. In welche Bereiche der Perversion möchte der »Öffentlichkeit« genannte, schamferne Dauerausverkaufshaufen aus Journaille und Publikum noch vordringen? Zunächst ging es ins Stadion, in die hannöversche »Mehr brutto, mehr netto«-Arena, direkt in die aggressive Depression, deren Hauptstadt Hannover ja schon lange vor Robert Enke war und es mit Repräsentationsgestalten wie den Scorpions, Heinz-Rudolf Kunze, Christian Wulff oder Lena auch zuverlässig bleibt.

      Nach dem Freitod des Torhüters Enke am 10. November 2009 wurde auch die Frage laut: Darf man sich als Torwart einer Fußballnationalmannschaft eigentlich vor einen Regionalzug werfen? Ist das standesgemäß und ligagerecht?

      Als »don’t worry, be curry«-Wurst oder -Wurstesser hat man solche Sorgen allerdings nicht.

      Hätt‘ Robert Enke das gewusst

      Er hätte nicht zum Zug gemusst:

      Don’t worry, don’t worry, be curry

      Don’t you worry, don’t you worry, just be curry

      Von Schampelmännern und Bovisten

      Eine Verneigung

      Haben Sie es satt, Müller zu heißen, Meier oder Schulze? Möchten Sie nicht lieber ein filziger Milchling sein? Ein Flaschenstäubling? Ein grauer Wulstling? Ein striegeliger Rübling? Ein lila Dickfuß? Ein sparriger Schüppling? Ein Judasohr? Eine krause Glucke? Ein kegeliger Saftling? Eine Toten-Trompete? Ein duftender Leistling? Ein gemeiner Stinkschwindling? Oder ein niedliches Stockschwämmchen?

      Dann müssen Sie nur auf Pilz umschulen und in den Wald ziehen, oder wenigstens in den Garten. Egal, was Sie vorher waren oder taten, Sie werden sich rasant verbessern und evolutionieren. Die Menschheit bildet Schwafelköpfe in Hülle und Fülle aus; als Pilz können Sie sich persönlich zum rauchblättrigen Schwefelkopf emanzipieren und damit auch noch den allgemeinen Fortschritt befördern. Haben Sie womöglich etwas bizarre sexuelle Neigungen? Kein Problem – als Riesenporling oder als Lacktrichterling werden Sie jede Menge Spaß bekommen, ohne gleich die Öffentlichkeit damit zu behelligen, die das schließlich nicht das Geringste angeht.

      Die stille Zauberwelt der Pilze eröffnete sich mir im noch nicht schulpflichtigen Alter. Die kleinen Gnubbelmänner waren das Größte. Ohne mich zu schonen, drang ich in jede Schonung ein, kroch in jedes Dickicht, die Nase am duftenden Waldboden, zwischen Fichtennadeln, Buchenblättern oder im weichen Moos. Im Kindergarten hatte man uns etwas vom Paradies erzählt – hier war es. Pilze suchen war klasse; man musste keine blöden Sonntagssachen anziehen und durfte sich so schmutzig machen, wie man wollte. Es war ja für einen guten Zweck – nach einem Ausflug in den herbstlichen Wald sollte schon eine ordentliche Pilzmahlzeit zusammenkommen.

      An der allerdings hatte ich keinen Anteil und beanspruchte auch keinen; essen wollte ich nichts von dem, was gefunden und im Pilzkorb gesammelt worden war, auf gar keinen Fall. Die einzigen Pilze, die ich zu dieser Zeit mochte, waren Champignons aus dem Glas oder aus der Dose. Warum nur? Sie hatten so gut wie gar keinen eigenen Geschmack. Der Kindermund war kulinarisch noch nicht entwickelt. Während die übrigen Familienmitglieder die selbstgesuchten, sorgsam geputzten und mit Butter, Knoblauch, Zwiebeln und Kräutern zubereiteten Pilze verspeisten, futterte ich glücklich gummige Schampelmänner aus der Büchse.

      Plastikpilze als Lohn für frische Beute: Ich saß da wie ein Indianer, der die kostbarsten Felle und Pelze gegen dünne, schlecht gewebte Decken, bunte Glasperlen und anderen Plunder eintauschte. Das ging mir allerdings erst viel später auf, und vor allem wollte ich es ja so haben. Für den Abenteurer liegt der Zweck des Abenteuers allein im Abenteuer selbst. Er hat die Freude und das wilde Vergnügen, die Beute geht an andere. Den Reibach nehmen die Damen und Herren von der Rechenschieberfraktion wie selbstverständlich an sich, denn im Aufgehen kühlen Kalküls finden sie ihr Ergötzen