Wiglaf Droste

Auf sie mit Idyll


Скачать книгу

      Mein Vater hatte den Ehrgeiz, jeden Pilz, den er als essbar klassifiziert hatte, anschließend auch tatsächlich zu essen. Ein gewisses Restrisiko nahm er dabei in Kauf; allerdings sollte für den Fall, dass er sich fatal geirrt haben könnte, nicht die gesamte Familie dahingerafft und ausgelöscht werden. Nur jeweils ein Eltern- und ein Kinderteil der Sippe durfte beziehungsweise musste sich über die gewagte Speise hermachen. So wurde auch der nackte Ritterling verspeist; Testesser waren mein Vater und mein älterer Bruder. Noch in derselben Nacht wand sich mein Vater in Leibschmerzen; deren Quell aber war, wie sich bald herausstellte, nur eine Entzündung des Blinddarms.

      Was die Auffassung untermauerte, am Pilz selbst könne ja gar nichts Böses sein, denn der Pilz an sich ist gut. Wer in Knollenblätter-, Panther- oder Fliegenpilze hineinbeißt, kann nicht bei Trost sein. Das muss man doch nicht machen. Sichtbar giftig und wie geschminkt leuchten sie den Betrachter an und wispern wie der Wind in den Weiden:

      »Ja komm her, dich meine ich,

      komm zu mir, auf den Iss-mich-Strich …«

      Auf englisch heißen die Giftlinge Toadstools: Krötenschemel. Wer ihren Einflüsterungen erliegt, dessen Leben ist allerdings keinen Pfifferling mehr wert. Für den wiederum gilt:

      Der Pfifferling ist als Passion

      eine kleine Sensation.

      Die Archaik des Jagens und Sammelns geht ihrer Reize niemals verlustig; dieser Sucht hängt man ein Leben lang an. Mit geschärftem Pilzmesser und gleichfalls scharf gestelltem Pilzblick zieht der Suchende aus. Übermütig ruft er:

      »Wo bist du,

      Bovist du?«

      – und setzt, weil der Bovist mal wieder stumm bleibt, sogar noch nach: »Schlagt die Bovisten, wo ihr sie trefft!« Sein Glück will der Waldgänger machen und also frohgemut nachschauen, ob Gott ihm seine rechte Gunst erweist, wie es im Lied heißt. Das Glück des durch die Natur hirschelnden Wanderers ist vielgestaltig, doch seine höchste Form ist das Auffinden des Steinpilzes. Herrenpilz mag ich ihn nicht nennen, das klingt wie von Herrenmenschen erdacht; unzweifelhaft aber ist der Steinpilz der König des Waldes. Boletus edulis ist sein lateinischer Name, die Verehrer dieser Majestät sind folgerichtig die Boletarier. Dass sie sich vereinen, kommt nur in Ausnahmefällen vor. In der Regel belauern sie einander mit scheelen Blicken und einer prall gefüllten Gallenblase im Herzen.

      Freund Vincent Klink und ich durchstreiften ein Steinpilzrevier nahe Stuttgart, das sich schon oft von einer großzügigen, ergiebigen Seite gezeigt hatte. Auch diesmal wurden wir fündig. Wer den Steinpilz erblickt, den durchzuckt ein Freudestrahl, und er wird selbst zum Glückspilz. Wir knieten nieder; anders als kniend, hockend oder sich bückend ist dem Pilz nicht beizukommen, das hat er sauber eingefädelt. Hinter uns knackte der Wald, jäh trat ein Mann aus dem Dickicht. Er war groß, trug Funktionskleidung und eine Kiepe auf dem Rücken. Ein finsterer, missbilligender Ausdruck lag auf seinem Gesicht, das unheilvoll schimmerte wie die dunkle Seite des Mondes. Vor uns stand ein Pilzprofi – keiner, der mit dem Steinpilz tanzt, sondern das Erwerbsboletariat in seiner reinen Erscheinungsform.

      Der Mann zog demonstrativ ein großes Messer, schaute herrisch auf die Pilze und sagte etwas in einem Argot mit turbokroatischer Anmutung. Wollte der im Ernst wegen einiger Pilze Krieg anfangen? Wir waren immerhin zu zweien, aber dass Hauen und Stechen nicht unser Metier ist, sah er uns wohl an. Die Steinpilze, vor denen wir uns niedergelassen hatten, nahmen wir noch mit; dann überließen wir das Terrain dem düsteren Messerling. Wir tauften ihn Herrn Grabschitsch; sein Gebaren lehrte uns, dass die Geschichte des Amselfeldes neu geschrieben werden muss. Wenn sich die Liebe zum Pilz in Beutegier wandelt, wird der Mensch zur Bestie.

      Noch andere Feinde hat der Pilzfreund: Maden, Schnecken und Rentner. Was an manchen Tagen durch die Wälder pensionärt, ist schier nicht auszuhalten. Schneckenfallen gibt es – warum keine Rentnerfallen? Oder sind die Reisebusse, in denen ruhelose Senioren wie eingedost durch die Welt gekarrt werden, in Wahrheit mobile Rentnerklappen? Dann aber bitte nicht am Waldrand öffnen und die zwar von Hinfälligkeit geplagte, aber umso heftiger zu allem entschlossene, aufgestachelte Meute auf wehrlose Pilze loslassen. Schweigsame Pilze sind nichts für Gruppentruppen, Nordic Walker oder andere Geräuschlinge und Ächzebolde. Sie sind magische, poetisch inspirierende Wesen, zaub’rische Repräsentanten einer anderen, älteren Welt, die nur betreten soll, wer dabei Umsicht und Liebe walten lässt.

      »Boviste und Planeten,

      Das Schicksal der Poeten …«,

      heißt es in Peter Hacks’ Gedicht »Du sollst mir nichts verweigern«. Als größter Pilzdichter dürfte Michael Rudolf gelten, der im Februar 2007 aus dem Leben in die ewigen Pilzjagdgründe gegangene Thüringer Schriftsteller, der alles über Vielfalt und Eigensinn der Pilze wusste. Betrat er die rund um seine Heimatstadt Greiz gelegenen Wälder, eröffneten sich ihm Bilder wie aus russischen Märchen. 1998 gab er bei Haffmans den Pilz-Raben heraus, in dem Ernst Kahl den Garten Eden zeichnete: eine Wiese voller aufgerichteter phallischer Stinkmorcheln, von denen ein entkleidetes Weib, lustvoll sich setzend, Gebrauch macht. Während Achim Greser ein Bild der »Pilz-Selbsthilfegruppe Hanau« präsentierte und einen Fliegenpilz bekennen ließ: »Ich heiße Ulf und bin giftig.«

      Drei Jahre später folgte bei Reclam Hexenei und Krötenstuhl. Ein wunderbarer Pilzführer, das Standardwerk über den Pilz als literarische Figur. So kenntnisreich wie hymnisch durchdrang und besang Michael Rudolf die Mysterien von Mycel und Fruchtkörper; das Buch ist die schiere Liebe.

      So ist das, wenn man in die Pilze geht: Finden ist schön und ein großes Glück, aber nicht der Kern der Sache. Suchet, und ihr werdet suchen.

      Füdliblutt

      Wer in die Schweiz reist, lernt schöne neue Wörter kennen. Eine Schiebermütze heißt »Dächli-Chappe«; darüber nachsinnend, was das wiederum mit Dachpappe zu tun haben könnte, kann man schön albern einen halben Tag vertrödeln.

      »Hät’s Lüüt ghaa?« fragte mich ein Freund am Tag nach meiner Lesung im Zürcher Kaufleuten. Was meinte er nur? Ob es geläutet hätte vielleicht? Ich verneinte, neinnein, niemand habe antelefoniert oder geklingelt – und begriff im selben Moment, dass er nach etwas ganz Anderem gefragt hatte: »Hat es Leute gehabt? War Publikum da?« Unter gemeinsamem Giggeln konnte ich meine Antwort korrigieren.

      Als ich mit dem Essener Jazztrio »Spardosenterzett« in der Schweiz gastierte, gab es ähnliche Irritationen. Oft hörten wir in Zürich den Satz »’s isch keis Problem«; nach ein paar Tagen fragte mich der Kontrabassist, der mit Vornamen Kai heißt: »Sag mal – wieso ist hier eigentlich alles mein Problem?« In dem Fall konnte ich, der routinierte Schweizreisende, ihn beruhigen: »Das heißt bloß ›kein Problem‹, und wenn wir nach Bern fahren, bist du sowieso aus dem Schneider, da heißt ›kein Problem‹ nämlich ›kes Problem‹. Aber nicht dass du dann denkst, die hätten da ein Käseproblem.«

      Witze von Deutschen über die Schweizer Mundart sind in der Schweiz unerwünscht. Wer es irrtümlicherweise für originell hält, den Schweizer Franken »Fränkchli« zu nennen, erlebt ein ungeteiltes Vergnügen. Abgesehen davon, dass Geld in der Schweiz niemals niedlich ist, heißt es Franken oder »Stutz«, fertig.

      Überhaupt erlegt man sich als Deutscher in der Schweiz besser Zurückhaltung auf. Komplimente über die Schweiz aus dem Mund von Deutschen sind nicht sehr beliebt und führen zu einer gewissen Reserviertheit. Man kann förmlich sehen, was in einem Schweizer nach der Schweizschwärmerei eines Deutschen vor sich geht: Aha, es gefällt ihm hier also. Hmmh – will er vielleicht bleiben? Sich am Ende sogar niederlassen? Sich einnisten? So war das mit der Gastfreundschaft aber nicht gemeint. Gast sein heißt schließlich, dass man wieder geht. Das sprichwörtliche Sprichwort sagt es ganz deutlich: Ein guter Gast ist niemals Last.

      Trotzdem will ich die Schweiz loben, allein schon für das Wort »Cervelat-Promi«. So heißt in der Schweiz die öffentliche Belästigung, die in Deutschland »B-Prominenz« genannt wird: Cervelat-Promi, also Wurst-Promi. »Cervelat-Promi« sagt alles: Sie kamen, um zu nerven – und wurden zu Wurst. Und zwar zur schlechtesten von allen. Cervelat ist das, was in Deutschland Bregen- oder