Wiglaf Droste

Auf sie mit Idyll


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die jederzeit erneuerbare Energie heißt: Pilgerstrom. Mehr als 2000 Jahre lang lag diese Kraftquelle brach und blieb ungenutzt. Ungeheuer sind die Ressourcen an krimineller Energie, die von unbeirrbaren Glaubetrottern ausgeht. Man muss diese Kraft und Herrlichkeit nur technisch umwandeln – auch religiöse Reibung erzeugt Wärme!

      In Ministrantenkreisen ist Kirche von hinten seit Jahrhunderten ein stehender Begriff; mit dieser von Generation zu Generation energisch weitergegebenen Methode und Praxis sollen aber doch besser Generatoren betrieben werden! Man muss nur das Gesetz »Kirche erst ab 18!« erlassen, und schlagartig wird unglaublich viel Energie freigesetzt – die sofort und weltweit in die Wiederabschaffung der erblindungsfördernden und entwürdigenden Energiesparfunzeln investiert werden kann.

      Sind das nicht Gründe genug für einen Wechsel des Stromanbieters? Ich finde schon – und steige ausnahmsweise um auf ein Kompositum: Pilgerstrom, direkt aus der Steckdose.

      Krise in der Loderhose

      Das Wort »Krise« hat sich zu einem Passepartout entwickelt, zu einer Gemeinschaft stiftenden Abnickvokabel. Es muss nur einer »Krise« sagen, sofort erzeugt er flächendeckend Affirmation: Krise, ja, genau. Krise ist die Konsensmilch der lammfrommen Denkungsart.

      Das Wort ist unspezifisch und wattig und genau deshalb universell einsetzbar. Wer »Krise« sagt, muss nicht konkret werden, egal, ob er mit der Krise droht oder ob er suggeriert, er nähme alle mit ins Krisenrettungsboot. So leicht ist ein Kollektivgefühl zu erzeugen: Die Weltwirtschaft in der Krise, also die Welt, also alle, also wir alle. Unterschiede verschwimmen oder verschwinden ganz.

      Deshalb ist »Krise« eine Lieblingsvokabel von Demagogen jeder Couleur. Sie ist ein gezielt Angst und Panik schürendes Instrument, und wer Angst hat, lässt sich übergriffige Zumutungen und Kaltschnäuzigkeiten aller Art eben eher gefallen.

      Es leitartikelt sich mit Hilfe der Krise aber auch ganz von allein. Fängt man mit Krise an, schreibt sich der Rest wie von selbst weg, gewissermaßen vollautomatisch. Es gibt schließlich Journalisten, die gern etwas geschenkt bekommen, nicht nur Reisen, Gefälligkeiten oder schöne Produkte, sondern vor allem Gedanken. Im letzteren Fall genügt auch die Simulation, es muss nur gut klingen und darf nicht auffallen im eintönigen Konzert des Pluralismus. Auch deshalb ist ›Krise‹ perfekt. Das Wort insinuiert, dass sein Sprecher auf der Höhe der Zeit sei, deren Zeichen er erkannt habe; dass er mit dem gebotenen Ernst bei der Sache und auch emotional nicht unberührt sei – und dass er zu denen gehöre, die nach Lösungen suchen. Auf diese Weise wird aus einer geistabsenten Plaudertasche ein Krisenlenker von Dickdenkerformat.

      So geriet die Krise auch in eine der vielen Zeitschriften hinein, die weniger zum Lesen, also zum Anstiften von Gedanken gemacht sind als vielmehr zum bräsigen Herumblättern: fit for fun heißt ein monatlich erscheinendes Druckerzeugnis, dessen Titel so gar nicht krisenorientiert klingt. fit for fun ist die etwas holprige Übersetzung von »Kraft durch Freude«. Schon im Editorial hat das Blatt Sätze zu bieten wie: »Es ist Krise, und viele Dinge werden danach nicht mehr sein wie vorher.« Ob diese Worte in der Welt sind oder nicht, macht nur diesen Unterschied: Sie sind Verschwendung von Ressourcen an Papier und Arbeitskraft bei der Herstellung und an Lebenszeit bei der Lektüre.

      Geschrieben hat den Nullsatz der Chefredakteur von fit for fun. Der Mann heißt Willi Loderhose, und man ahnt, was er wegen dieses Nachnamens hat durchmachen müssen seit seiner Pubertät. Möglicherweise haben die erlittenen Verspottungen zu einer Erosion seines Charakters geführt – die es Willi Loderhose erst ermöglichten, Chefredakteur von so etwas wie fit for fun zu werden. Das ist Spekulation; gesichert dagegen ist, dass es Willi Loderhose gelingt, den Einstieg per Krise anschließend zu erweitern und in ihr, nicht minder konfektioniert, »auch Positives zu sehen«. Denn Krise, schreibt Loderhose, »bedeutet auch ›sich trennen‹« – woraus der Autor folgert: »Trennen Sie sich jetzt von schlechten Gewohnheiten! Trennen Sie sich von ein paar Kilos Körpergewicht.«

      Auf einem Krisenherd kann eben jeder seine eigene Suppe kochen – auch Willi Loderhose, mitsamt fit for fun. Zwar gilt gemeinhin das Gebot, Namenswitze gütig zu unterlassen. Im Kasus Loderhose bringe ich den Verzicht auf einen Schüttelreim allerdings nicht über mich.

      Krise in der Loderhose?

      Kann sein, da ist ein Hoden lose.

      Vom Niedergang der Sülze

      Das Wort Schweinskopfsülze hat unbestreitbar einen heftigen, martialischen Klang. Dabei ist Sülze, wenn sie von einem guten Metzger aus guten Materialien hergestellt wird, ein wohlschmeckendes Lebensmittel. Wie konnte geschehen, dass Sülze seit langem ein Synonym für inhaltsleeres Gerede, für überflüssigen, nichtigen Verbalschwall geworden ist? Soviel Gesülze wird von Menschen mit nimmermüden Mundwerkzeugen produziert, dass bei dem Wort ›Kaisersülze‹ kaum jemand mehr an die so bezeichnete kulinarische Köstlichkeit denkt, sondern, im Gegenteil, an den selbstgefälligen, medial begeistert aufgesogenen wie überhaupt erst hergestellten Brumm- und Bummseich, den der in denselben Medien »Kaiser« genannte Franz Beckenbauer regelmäßig wegplätschert.

      Beckenbauer ist allerdings überhaupt nicht der einzige, dem die Mutation der Sülze von einer guten Mahlzeit zum unerträglichen Geseire anzulasten ist. Am Niedergang der Sülze sind viele beteiligt, die öffentlich auf dem Glatteis der freien Rede herumrutschen. Ganz weit vorn sind Politiker und Verlautbarungsjournalisten, die immerzu »auf gutem Wege« sind und für die alles »auf einem guten Weg« ist – der zuvor selbstverständlich »frei gemacht« wurde. Das klingt ein bisschen nach Arztbesuch – »Guten Tag, Herr Weg, machen Sie sich doch bitte gleich frei« –, ist aber noch trüberen Ursprungs. »Wir machen den Weg frei« ist eine alte Reklameparole der Volks- und Raiffeisenbanken, die ihre Kundschaft unter Zuhilfenahme von Bausparverträgen zu fesseln und zu knebeln gedenken. Die Phrase hat ihren Weg in die Politik und in den Journalismus gemacht; man könnte auch zum ixypsilonsten Mal konstatieren, dass Politik und Journalismus sich eben längst in den Niederungen der Werbung eingebunkert haben.

      Wer »Wege frei macht« und »auf gutem Wege ist«, der betreibt Politik mit derselben Vollautomatik auch »auf Augenhöhe«. Die »Augenhöhe« wurde nicht nur vom Alfred-E.-Neumann-Double Horst Köhler beständig »angemahnt«, sondern wird auch vom Schauspielerdarsteller Till Schweiger für sich reklamiert: »Mit Tarantino rede ich auf Augenhöhe, mit Brad sowieso…«, prahlte der in Quentin Tarantinos Film »Inglourious Basterds« so wohltuend und überzeugend textarm inszenierte Schweiger, der mit dem angekumpelten »Brad« irrtümlicherweise Brad Pitt meinte, nicht aber das weit bedauernswertere Brett vor seinem eigenen Kopf – das mit Till Schweiger ja tatsächlich »auf Augenhöhe« leben muss, und das schon und für immer.

      Voll »auf Augenhöhe« befindet sich auch die Musikzeitschrift spex – und zwar mit dem Nudelhersteller De Cecco, dem sie ihr Impressum als Werbefläche vermietet. spex-Chefredakteur Max Dax weiß, was Feuilleton bedeutet: die branchenübliche Hurerei als Husarenstück verkaufen. Das hört sich so an: »Wir wollen einen Diskurs darüber anregen, wie wahnsinnig hart es ist, Qualität sowie innere und äußere Unabhängigkeit im Journalismus zu garantieren.« Von einem »Diskurs« ist bevorzugt dann die Rede, wenn aus Muffensausen vor dem wirtschaftlichen Bankrott der geistige vorauseilend vollzogen wird. Das Ergebnis des spex-De Cecco-Ex-und-hopp-Diskurses steht so fest wie die Max-Dax-Definition von »innerer und äußerer Unabhängigkeit im Journalismus«:

      Ein neues Kunststück kann der Pudel.

      Er besingt jetzt auch die Nudel.

      Auf diesen Hund hat kein Metzger die Sülze je gebracht. Das schafft die deutsche Medienöffentlichkeit ganz allein.

      Dicke Denke an der Raste

      »Denke«, »Kenne«, »Schreibe«, »Tanke«, »Raste«: Optimistische Philologen könnten wohl meinen, bei diesen viel gebrauchten Wörtern handele es sich um den von ihnen bevorzugten Umgangston, den Imperativ – oder aber um die jeweils dritte Person Singular Konjunktiv von »denken«, »kennen«, »schreiben«, »tanken« und »rasten«. Die Worte beschrieben also in indirekter Rede, dass jemand denkt, etwas kennt oder schreibt, dass er oder sie tankt