Zoran Drvenkar

Still


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      Achim & Rosa

      Stefan & Marcel

      Nach hinten raus liegt ein verschneiter Garten mit Schuppen und gemauertem Grill, die Büsche sind ordentlich gestutzt, alle Jalousien im Erdgeschoß runtergelassen.

      Der Bewegungsmelder reagiert, als ich mich der Tür nähere, und ein Licht geht an.

      Achim öffnet nach dem zweiten Klingeln. Er trägt einen Norwegerpullover, Jeans und Socken, er hat sich eine Schürze umgebunden und die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgeschoben. Franco hat nicht übertrieben, Achim hat es am schwersten. Er ist immerwährend müde und erschöpft, als würde sein Gewissen bis in die Träume hineinreichen und ihn nicht ruhen lassen.

      – Ich nehm dir das mal ab, sagt er.

      Ich reiche ihm mein Notebook, er klemmt es sich unter den Arm.

      Achim ist der Kundschafter. Ohne ihn würden sich die anderen nicht orientieren können. Achim macht den ersten Schritt. Mit seiner handfesten Art und seinem Gespür für Schwäche. Sein Beruf ist ideal dafür. Satellitenanlagen sind gefragt, und Solartechnik wird immer erschwinglicher. Achim ist ein guter Berater, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht glaubt. Er taut nur zögerlich auf, aber dann hält er einem die Treue und honoriert, daß man sich mit ihm die Mühe gemacht hat. Ich gebe mir Mühe und lächle. Achim bittet mich rein.

      Seine Söhne sind sechs und neun. Er spricht nie über sie. Ihre Photos hängen im Flur. Zahnlücke und Sommersprossen. Sie übernachten heute bei Freunden, seine Frau ist bei ihrer Schwester.

      – Wir haben sturmfreie Bude, sagt Achim und schließt die Haustür hinter mir ab.

      Ich hänge meinen Mantel auf und streife die Stiefel ab. Es riecht nach Braten und Sauerkraut. Der Tisch im Wohnzimmer ist gedeckt.

      – Setz dich doch.

      Achim verschwindet in der Küche. Töpfe klappern, die Herdklappe geht auf, die Herdklappe geht zu, das Klimpern von Flaschen. Achim kommt zurück und reicht mir ein gekühltes Schnapsglas. Er setzt sich nicht, also stehe ich wieder auf.

      – Prost, Mika!

      – Prost, Achim!

      Wir stoßen an. Der Wodka geht runter wie Öl. Der Schlag trifft mich so überraschend, daß mein Kopf zur Seite schnellt und mir Speichel und Wodka in einer glitzernden Bahn aus dem Mund fliegen. Das Glas rollt über den Boden. Meine Wange steht in Flammen. Bevor ich reagieren kann, hat mich Achim am Hemd gepackt und zu sich herangezogen. Ich bin zehn Zentimeter größer als er und schaue auf ihn runter. Die Worte kommen gepreßt zwischen seinen Zähnen hervor.

      – Jetzt reden wir mal Tacheles. Wie hast du uns gefunden?

      – Ich … Zufall …

      Er macht drei Schritte nach vorne und trägt mich vor sich her, als hätte ich kein Gewicht, dann rammt er meinen Rücken gegen die Wand. Einmal, zweimal. Mein Kinn trifft auf seinen kahlen Schädel, meine Zähne knirschen aufeinander, die Bulldogge schüttelt mich durch.

      – Ich frag dich nochmal: Wie hast du uns gefunden?!

      – Ich sagte doch …

      Seine Hände lösen sich von meinem Hemd, für eine Sekunde denke ich, ich habe es überstanden, da hämmert er mir auch schon in den Magen, eine Kombination von vier Schlägen, rechts, links, rechts, links. Achim hat in seiner Jugend geboxt. Amateurliga. Aber seine Knochen waren zu fein, hat er uns erklärt und dabei bedauernd auf seine Hände runtergeschaut, als hätten sie ihn verraten. Jetzt fühlen sich seine Fäuste an, als wären sie aus Granit. Mein Solarplexus implodiert, mir wird schwarz vor Augen. Ehe ich zusammensacken kann, hat er mich wieder gegen die Wand gedrückt. Es sind keine fünf Sekunden vergangen, ich schmecke Galle, ich muß würgen und schnappe nach Luft.

      – Mika, sprich mit mir.

      – Ich …

      Er wartet, ich atme, er wartet, ich erzähle es ihm.

      2

      Mein Kontaktmann war Pero Kostrin, und mir ist nie ganz klargeworden, ob er Kroate oder Serbe ist. Er behauptete, beides zu sein, denn das wäre sicherer. Unser erstes Zusammentreffen ist über ein Jahr her. Ich hatte da die Verwandlung zu Mika Stellar schon vollführt, fühlte mich aber noch fremd in meiner falschen Haut. Einen Monat lang habe ich jeden Nachmittag mit Pero verbracht. Ich hatte nur diese eine Chance und durfte sie nicht verspielen. Die Zeit lief, der nächste Winter stand bevor.

      Unser Zusammensein hat mich dreitausend Euro gekostet.

      Auf diese Weise habe ich sie gefunden.

      Pero ist zweiundfünfzig Jahre alt und arbeitet bei der Stadtreinigung. Sein Name taucht in den Chats immer wieder auf. Kein Nickname, sondern sein wahrer Name, denn Pero hat nichts zu verbergen. Auch wenn viele sich outen wollen, besitzt kaum einer den Mumm dazu. Pero dagegen hat sich preisgegeben und galt in der Szene als Held, weil er freiwillig im Gefängnis saß. Er hat es für seinen Mentor getan. Nach dreieinhalb Jahren wurde er als therapiert entlassen.

      Pero ißt nach der Arbeit am U-Bahnhof Ruhleben immer an derselben Imbißbude – weiße Stehtische, gelbe Sonnenschirme, rote Aschenbecher aus Plastik. Ich stellte mich zu ihm. Ein Blick genügte. Er sah mich an, er sah weg. Ich aß meine Boulette, er seinen Leberkäse. Die Tische draußen waren alle mit Rauchern besetzt. Ein Mann wollte sich zu uns stellen. Pero sagte ihm, der Platz wäre nicht frei. Wir blieben allein. Pero trank sein Bier, ich meine Cola. Als wir fertig waren, schaute er zum U-Bahneingang. Ich ließ ihn vorgehen und folgte nach einigen Minuten.

      Der Bahnsteig liegt oberirdisch, und man schaut auf die Charlottenburger Chaussee hinunter. Eine U-Bahn kam und fuhr wieder ab. Pero wartete am Ende des Bahnsteigs auf einer Bank. Ich setzte mich neben ihn.

      – Mein Name ist Mika, sagte ich, Du bist Pero, nicht wahr?

      – Scheiße, sagte Pero und schwieg. Auch wenn er für alle sichtbar war, hieß das noch lange nicht, daß er gefunden werden wollte. Heldentum hin oder her, die Gefahr lauert überall. Pero sieht sich als Opfer. Da er keine Chance mehr hat, unter dem Radar zu leben, zeigt er sich. Dafür wird er respektiert.

      Eine U-Bahn fuhr ein und fuhr wieder ab.

      Pero wischt sich die feuchten Hände an der Hose ab.

      – Ich verkehre nicht mehr in diesen Kreisen, sagte er, Ich bin raus.

      Wir wußten beide, daß es kein raus gibt. Er sagte es, weil er es sagen mußte. Es gehört zur Etikette. Falls jemand zuhört, der nicht zuhören sollte. Pero ist seit fünf Monaten auf Bewährung draußen, er hat Auflagen zu erfüllen, er muß Abstand halten zu Gleichgesinnten.

      – Ich will nicht in den Kreis, sagte ich.

      Sein Lächeln hatte Kanten.

      – Was willst du dann?

      Ich antwortete nicht, ich hielt seinem Blick stand, er sah mich lange an, schaute dann den Bahnsteig hinunter und stand auf.

      Eine U-Bahn fuhr ein und fuhr wieder ab.

      Ich blieb allein zurück.

      Am nächsten Tag erwartete ich Pero wieder nach der Arbeit. Es war ein Vorgeschmack auf den Pub. Geduld. Dieses Mal lud ich ihn ein. Currywurst mit Pommes und dazu ein Bier. Er war zufrieden, wir aßen, wir schwiegen, ich bestellte ein zweites Bier für ihn. Zehn Minuten später saßen wir auf dem Bahnsteig und betrachteten die Charlottenburger Chaussee, als wäre sie ein zäher Fluß, auf dem die Autos dahintrieben. Pero sagte, er könnte sich an meine Besuche gewöhnen. Er rieb die Fingerspitzen aneinander. Ich steckte ihm zweihundert Euro zu und bat ihn, von sich zu erzählen.

      – Von Anfang an?

      – Von Anfang an.

      Ein leichter Nieselregen kam auf die Stadt herunter. Der Fluß kam ins Stocken. Eine Baustelle