Halwart Schrader

Bunty


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besitze und Autos dieser Kategorie mindestens ebenso gern fahre wie er selbst.

      Buntys Bedauern, dass er im Hotelzimmer seine Geldbörse habe liegen lassen, ist meisterhaft gespielt. Dem Tankwart ist das, was Bunty diesbezüglich vorzutragen hat, völlig wurscht, er versteht dessen Deutschenglisch ohnehin nicht und wendet sich an mich: »Zweiundvierzig fünfunddreißg. Eine Quittung?«

      »Du musst so gut sein und dem freundlichen Herrn erklären, warum du mir den Betrag auslegst und das Benzin bezahlst, mein Guter, es ist mir nämlich schrecklich unangenehm, zumal ich noch das Zigarrengeschäft in der Perusastraße aufsuchen möchte, dort gab es schon 1933 so wunderbare Havannas, ich hatte damals meinen Mercedes mit kochendem Kühler vor jenem Geschäft abstellen müssen …« Buntys Augen blitzen erwartungsvoll, sein zottiger Schnauzbart hüpft auf und nieder.

      Mir ist vollkommen klar: Die Füllung des Tanks und des voluminösen Reservekanisters versteht Bunty als eine (wenn auch nicht eingestandene) Verpflichtung seitens des Gastgebers. Ich bin ja keineswegs das erste Mal mit Bunty zusammen. Wir kennen einander seit gut fünf Jahren. Aber seine Tankstellenrechnungen habe ich bisher noch nie bezahlen dürfen – zum Glück, denn wenn er mit einem seiner Rolls-Royce-Veteranen auf Reisen ist, mit seinem großen Vauxhall 30/98 oder mit seinem schokoladenbraunen Bentley 3.5 Litre namens Charlotte, dann gute Nacht: Das Fassungsvermögen der Behältnisse in jenen Autos ist mindestens doppelt so groß wie das eines zweisitzigen O.M. Roadsters.

      Perusastraße: Sechs Havannas zu je vier fünfzig und sechs weitere zu zwei zwanzig. Es ist Buntys Walpurgistag!

      »Das Geschäft ist genau so, wie ich es in Erinnerung habe,« lautet Buntys Kommentar beim Hinausgehen. »Nur hatten sie damals nicht so schwule Verkäufer, hi-hi-hi.« Den O.M. haben wir im Halteverbot abgestellt, wo auch sonst, und es wartet schon eine Politesse neben ihm, als Bunty und ich uns nähern. Bunty scheint sie gar nicht zu bemerken, oder er will sie einfach nicht wahrnehmen, und ich schaue ebenfalls angestrengt woanders hin, damit es so aussehen möge, als hielt ich sie für eine Postbotin oder irgend eine andere Uniformträgerin, zumal die Dame uns auch nicht anspricht, und befleißige mich eines sehr englischen Englischs, als ich dem älteren, hinkenden und seufzenden Herrn im abgewetzten braunen Cordanzug auf den Beifahrersitz dieser antiken, reichlich schmutzigen und Staffordshire-Kennzeichen versehenen Fahrmaschine hieve – are you allright, Sir? Ooouh, we will manage it, won’t we, Sir? Of course we will, here we gooouh! –, mich hinter das Lenkrad klemme und durch das Betätigen des Anlasserknopfs am Armaturenbrett dem Motor zu einer Lärmentfaltung verhelfe, die das arme Mädchen mit dem schicken Dienstkäppi nicht nur zwei Schritte zurückschnellen lässt, sondern auch von seinem Vorhaben abbringt, einen Strafzettel auszuschreiben.

      »Hast du sie gesehen, die süße kleine Zuckermaus mit dem Kugelschreiber, hi-hi?« krächzt Bunty herüber, als wir vor dem Tannenbaum – diesmal legal – parken und lässt vor Vergnügen seinen Schnauzbart wackeln.

      »Du musst die meter maids glattweg ignorieren, selbst die besonders hübschen. Ich habe noch nie ein Ticket bezahlen müssen. Aber eine mal in den Po gekniffen, hi-hi-hi. Und sogar das hat nichts gekostet. But don’t tell Averil, please …«

      In der Münchner Innenstadt einen einigermaßen wertvollen Autoveteranen über Nacht einfach am Straßenrand zu parken, hätte eine böse Überraschung zur Folge haben können. Bunty hatte jedoch Vertrauen in bayerische Spitzbuben, falls es solche überhaupt gäbe: »Die würden doch eher einem teuren Porsche die Antenne verbiegen als so unfreundlich zu sein, einem klapprigen O.M. das Reserverad zu stehlen«, meinte er, »alles andere nehmen wir sowieso mit aufs Zimmer!« Es hätte ihn gereut, zehn Mark oder mehr für einen Stellplatz im Parkhaus auszugeben. Wozu ich ihm geraten hatte. Lieber schleppten er und Averil ihr gesamtes Reisegepäck mit aufs Zimmer. Frau Tannenbaum konnte gerade noch verhindern, dass sie auch noch den gefüllten Reservekanister mit hinauf nahmen.

      Anderntags treffen wir uns kurz nach zwölf beim Augustiner am Hauptbahnhof. Über das ausgelegte Geld für Benzin und Zigarren reden wir nicht. Dafür spendiere ich Bunty, während Averil ein Warenhaus in Stachus-Nähe nach dem anderen von innen besichtigt, eine Maß und ein knödelhaltiges Mittagessen und ein Stück Torte mit Kakao zum Dessert und am Ende noch eine Halbe und einen Obstler, und dann begeben wir uns zu zwei Autozubehörgeschäften in der Schwanthaler Straße, in denen sich Bunty nach billigen Ventilatorriemen, Scheinwerferbirnen und Zündkerzen erkundigt, einige Dinge sogar gegen Barzahlung in D-Mark – ich bin einigermaßen überrascht – gleich mitnimmt. Nein, für den O.M. brauche er dergleichen im Augenblick nicht, aber vielleicht für den einen oder anderen Wagen daheim.

      Zu Buntys Verwunderung führt keines der beiden Geschäfte, weder die Südmotor GmbH noch Altmeister Fahnebrock, Original-Rolls-Royce-Ersatzteile aus der Vorkriegszeit. »Die hätte ich sicher besonders günstig bekommen können, denn wer braucht hier solche Ladenhüter schon …« Die höflich vorgebrachte Frage nach einer Toilette beantwortet man dem schrulligen Kunden sogar auf Englisch: »The klo is after the office, and the waschbecken can you there also benutzen.« Anderthalb Liter Augustinerbier sind aber auch wirklich eine Menge Flüssigkeit.

      Chips ohne fish

      Februar 1971. Ich hatte mich in London mit dem Fotografen Charles Wilp verabredet; wir kundschafteten Plätze für Gauloises-Werbemotive aus und besprachen tausendundein Detail. Ein Perfektionist wie Wilp (»alles ist in Afri-Kola«) überließ nichts dem Zufall des Augenblicks. Während meines dreitägigen Aufenthalts war ich auch auf einer Oldtimer-Auktion. Mich hat es nicht überrascht, Bunty dort zu begegnen. Für Britanniens prominentesten Rolls-Royce-Gebrauchtwagenhändler ist der Besuch einschlägiger Versteigerungen eine Pflicht.

      »Oh, how nice to see you again! Bernard hat in meinem Auftrag den grünen Silver Wraith dort drüben und den schwarzen Bentley R-Type ersteigert. Bernard kennst du doch?«

      Ja, ich kenne Bernard.

      »Ich habe zwar viel zu viel Geld für die Schlitten ausgegeben, weil der Auktionator wieder mal alles rausgeholt hat … aber es ist verdammt gut angelegt, weißt du, diese wunderschönen Autos werde ich nach Amerika verkaufen …« und es folgt ein langer Exkurs über die interessanten, höchst aufnahmefähigen Rolls-Royce-Märkte in Kalifornien, in Texas, in New Jersey, Oklahoma, Illinois, Louisiana und vor allem in Arizona: »Mein Lieber, da wartet man nur so auf meine Ware!«

      Die Auktion ist zu Ende, Bernard ist dabei, ein Auto nach dem anderen irgendwohin zu fahren. Ladies and Gentlemen – das Haus Christie’s übernimmt keine Verantwortung für nicht abgeholte Ware! hat der Auktionator The Right Hon. Patrick Lindsay nach dem letzten Zuschlag verkündet. Patrick ist ein Ass in seinem Job, besitzt selbst einige antike Bentleys und hebt hin und wieder mit einem seiner kleinen Flugzeuge ab – Aufklärungsmaschinen der Royal Air Force aus dem Zweiten Weltkrieg. Patrick ist auf der britischen Oldtimerbühne fast ebenso berüchtigt wie Bunty, und deshalb gehen sie einander auch nach Möglichkeit aus dem Wege.

      Meine Zeit drängt, ich muss zur Victoria Station und möchte meinen Zug nach Dover nicht verpassen. »Frank Dale wird dich hinbringen, ich mache dich mit ihm bekannt, und Victoria liegt genau in seiner Richtung! Franks Geschäft ist am Sloane Square, weißt du! Wenn wir aber noch ein Stündchen Zeit haben sollten …«

      Aber wirklich nur ein Stündchen, mehr nicht, sage ich zu Bunty, die 20-Uhr-Fähre ist meine letzte Chance! In Oostende möchte ich den Mitternachtszug nach Brüssel erwischen.

      »Oh wie wundervoll, dann gehen wir jetzt erst einmal etwas essen … Frank kennt sicher ein gutes Lokal in der Nähe. Ich kann ihn nur gerade nirgendwo entdecken, wo steckt der gute Junge nur …«

      Frank Dale wird wohl ebenfalls ein von ihm ersteigertes Auto in Sicherheit bringen, nehme ich an. Also ein Taxi! Es dauert und dauert, ehe eins hält. Natürlich reicht die Zeit nicht mehr für einen Lunch, denn der Verkehr ist dicht, und für die letzten Meter zur Victoria Station benötigen wir eine Ewigkeit. Bunty ist wie immer nicht gut zu Fuß, besteht aber darauf, mich bis an den Zug zu begleiten. Und dann geschieht das Unerwartete: »Mein guter Junge, ich schulde dir ja so viel, du warst neulich in München so spendabel. Ich hätte dich wahnsinnig gern zu einem Lunch eingeladen. Ich bin traurig, es betrübt mich aufs Tiefste, dass