Halwart Schrader

Bunty


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      Was jetzt?

      »Let’s call it a day, my friend!« flüstert er und reibt sich die Augen.

      Ich helfe ihm auf die Beine, denn der Mann muss ja irgendwie ins Bett. Warum er einen Fuß in Gips hat, habe ich bis jetzt nicht erfahren können. Es ist elf Uhr. Die antike Elektrosonne muss auf Buntys Anweisung ins Schlafgemach, dessen Temperatur ebenso niedrig ist wie im Living Room, und hier werde ich mit der gewaltigsten Bettstatt konfrontiert, die ich je gesehen habe. Ein Monstrum wie aus einer Persiflage auf eine Richard-Wagner-Oper, recht kurz zwar, aber mit einem riesengroßen Kopfteil, mit Ornamenten und Figuren und allegorischem Dekor der kitschigsten Art. Es sind Scharniere zu sehen, die erkennen lassen, dass die doppelschläfrige Konstruktion sogar zusammenklappbar ist. Ein Wunderwerk der Möbelbaukunst des späten neunzehnten Jahrhunderts.

      »Oh, vielen Dank, du bist zu gütig …« aber ausziehen könne er sich schon allein, sagt Bunty, doch ich habe den Eindruck, er will sich unausgekleidet zu Bett begeben. Und da ich ja wohl ebenfalls müde sei, so möge ich mich doch in den ersten Stock begeben, in das Zimmer mit der gelben Tür, das sei das seines Sohnes Ambrose, der sich seit einem halben Jahr in Frankreich aufhalte, um dort die Kunst des Weinbaus zu studieren, Chardonnay and things like that, oh how wonderful, und ein Badezimmer gebe es oben ebenfalls. »Aber du kannst auch gern noch ein wenig hier unten bleiben und etwas lesen, nur ist leider der elektrische Strom bei uns so teuer, you know, und nun gute Nacht, mein Junge, see you tomorrow morning!«

      Ambrose hat sein Knabenzimmer so verlassen, als habe es sich um eine spontane Flucht gehandelt, ohne Zeit zum Kofferpacken. Die mir anempfohlene Bettstatt entdecke ich im Schein einer 15-Watt-Glühbirne hinter Bergen von Klamotten, die jemand – vielleicht war’s gar nicht Ambrose, sondern sein Bruder Humphrey? – aus mehreren Kleiderschränken auf den Boden geworfen hat, dazwischen liegen ausgestopfte Vogelbälge, Teile einer Campingausrüstung, Bergstiefel, eine Ingwerwurzel, Bücher und ein Experimentierkasten für den »Kleinen Chemiker von 10 bis 14 Jahren«, der nicht weniger stinkt als das seit vermutlich mehreren Wochen ungemachte Bett.

      Bevor ich mich hinlege, unternehme ich den Versuch, mir die Zähne zu putzen, denn es gibt immerhin ein Waschbecken in diesem Zimmer. Aus einem Röhrchen darüber, das aus der Brokat-Tapete ragt, tröpfelt sogar Wasser, wenn man mit dem Schraubenschlüssel, der im Becken vor sich hin rostet, eine Überwurfmutter aufdreht, die das Rohr verschließt. Ob der Schraubenschlüssel aus einem Rolls-Royce-Werkzeugkasten stammt, könnte ich morgen bei Tageslicht prüfen. Ich bezweifle es – würde er sonst rosten können?

      Beim Einnschlafen beschäftigt mich die von Psychologen so gern gestellte Frage, in meiner Situation auf Bunty angewendet: Würden Sie von diesem Herrn einen Gebrauchtwagen kaufen?

      Für mich ist diese Frage ohne Belang. Denn durchschnittlich zwei Mal pro Woche, so erfahre ich am kommenden Tag, verkaufen Bunty, Hazel, Bernard oder Eddie ein Auto aus dem Scott-Moncrieff’schen Bestand an jemanden, der die Psychofrage durch seine Unterschrift bei gleichzeitiger Transaktion von Barem oder eines Schecks ganz klar mit »Ja« beantwortet.

      Ganz Großbritannien ist voller Merkwürdigkeiten. Bunty ist eine von ihnen.

      Obwohl ich mehrere Male bei den Scott-Moncrieffs zu Gast war, bin ich Ambrose, von dem so oft die Rede war, nie begegnet. Erst im Jahre 2012 sah ich ihn von Angesicht zu Angesicht – im Internet. Er gab ein Interview über seinen beruflichen Werdegang und womit man als Gemälderestaurator zu tun hat. Er sah seinem Vater sehr ähnlich, auch sprach er (fast) wie Bunty. Ich musste unwillkürlich lächeln und daran denken, dass ich mal in seinem ungemachten Bett geschlafen und an seinem Waschbecken versucht habe, mir die Zähne zu putzen.

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      Etliche in den Tiefschlaf versetzte Luxusautowracks vor der Gartenpforte, ein wasserloser Goldfischteich und ein paar im Nebel der englischen Midlands dezent abtauchende Wellblechschuppen: Ein Ambiente, welches sich dem fremden Gast, der das versteckt gelegene Rock Cottage in einer Novembernacht aufsucht, doppelt so makaber darbietet wie am Tage.

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      Auf ein zweites Leben durfte dieser Rolls-Royce Silver Ghost hoffen, nachdem er sein erstes als herrschaftliche Limousine oder als Bestattungsfahrzeug mit seiner Zwangspensionierung ausgehaucht hatte.

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      Hatte eines der Objekte, die Bunty erwarb, schon seit langer Zeit auf einem Schrottplatz oder in einer zugewachsenen Remise gestanden, bekam er es für wenig Geld. Um 1960 war England noch voller solcher Automobil-Trouvailles.

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      Im Schlafzimmer der Scott-Moncrieffs befand sich dieses Prachtmöbel von einem Bett, dessen Kopf- und Fußteil sich an Scharnieren herunterklappen ließen. Es war ein sogenanntes »lit bateau«, gebaut von den Sawla Frères. Auch das übrige Mobiliar im Haus bestand überwiegend aus englischen Antiquitäten; eine andere Einrichtung wäre auch gar nicht denkbar gewesen.

      Warum nicht ein Rolls-Royce …?

      Ein halbes Jahr später war ich drauf und dran, ebenfalls einen Rolls von Bunty zu erwerben. Ich hätte ihn für nur 250 Pfund haben können. Ein Freundschaftspreis! Ein Schnäppchen!

      Was hatte mich davon abgehalten, diesen 20 hp Baujahr 1929 zu erwerben? Nun, das Pfund war damals an die 11 Mark 20 wert, und 2800 Mark plus Zoll und Überführung in einen weiteren Oldtimer zu investieren, konnte ich mir schlichtweg – noch – nicht erlauben. Ich besaß bereits drei alte Autos, und die verschlangen, weil es an ihnen so viel zu reparieren gab, furchtbar viel Geld, die Hälfte vieler Monatsgehälter.

      Als Abonnent der in London erscheinenden Zeitschrift »Motor Sport« konnte ich Buntys dort veröffentlichte Inserate studieren und im Vergleich mit seinen Konkurrenten erkennen, dass seine Preise nicht überzogen waren. Ich befand mich auf dem Verteiler seiner monatlichen »stock list« und erhielt auf Anfrage von Bunty oder Hazel oder Humphrey jede Menge Polaroid-Fotos. Ernsthaft interessiert war ich an einem Rolls eigentlich nicht, aber die Faszination, die von den Autos ausging, war groß.

      Einmal im Leben einen Rolls-Royce besitzen … diesen Wunsch konnte man sich auch als Normalverdiener durchaus erfüllen (man kann es auch heute noch, wenn man es richtig macht). Bunty hatte auf die richtige Karte gesetzt, als er vor allem auf amerikanische Kundschaft baute. Von drei Fahrzeugen verkaufte Bunty zwei an Kunden aus Übersee. Sie waren gut beraten, selbst nach England zu kommen, um sich in einer der Remisen auf Rock Cottage oder später im Show Room der Macclesfield Road den Rolls ihrer Träume auszuwählen und ihn auch gleich mitzunehmen. Ließen sie sich unbesehen, nur auf Beschreibungen und ein paar Bilder aus der Sofortbildkamera hin, den Wagen ihrer Wahl per Container schicken, konnte es durchaus passieren, dass es herbe Enttäuschungen gab. Da es üblich war, per Akkreditiv im Vorhinein zu bezahlen, Bunty also über das Geld in dem Moment verfügte, an welchem die Reederei die Fracht in Liverpool übernommen hatte, trug er als Verkäufer das geringere Risiko.

      Das »beste Auto der Welt« steckte – wie jedes andere Motorfahrzeug auch – voller Macken und Tücken, wenn es in die Jahre kam und nicht zeitlebens sorgfältig gewartet worden war. Geoffrey und Eddie taten ihr bestes, um die ihnen anvertrauten Autos so tipptopp wie möglich herzurichten. Nur die wirklich heruntergekommenen Exemplare beließen sie im eigenen Saft. Zur Ehrenrettung der Firma Scott-Moncrieff beeile ich mich anzufügen, dass sie auch immer wieder exzellente Ersthand-Exemplare im Angebot hatte, chauffeuer-gepflegt, makellos und fit für den nächsten Concours d’Elegance.

      »Zuerst schaue ich immer in die Ritzen der Polster,« verriet mir Bunty einen seiner Tipps zum günstigen Autokauf. Nach Münzen, die da hineingerutscht sind, nahm ich an. »Nein, nach Konfetti … Von gewissen Mengen an gehe ich davon aus, dass der Wagen häufig zu Hochzeitsfahrten ausgeliehen und von Leuten benutzt wurde, die ihn anschließend nicht gründlich reinigten. Das lässt in meinen