Halwart Schrader

Bunty


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im Polizeireport aufgetaucht, hätte dies böse Folgen für sie haben können. Mit Peter und Thomas waren Buntys Kommilitonen Cochran-Carr und Stuart-Fotherington gemeint.

      An der Universität von Cambridge gab es einen Akademiker-Motorradclub, dem neben Thomas Stuart-Fotherington junge Männer wie Archie Birkin, David Murray, »Mavro« Mavrodato, Bill Dobson, Dick Chapman und Archie Frazer-Nash angehörten. Fast alle machten sich im Motorsport später einen Namen. Auch Bunty war Mitglied in diesem Club, fand Motorradfahren aber viel zu gefährlich, als dass er die Absicht gehabt hätte, an Ausfahrten oder gar Rennen teilzunehmen. Autofahren hielt er für weitaus gefahrloser. Er besaß ja auch gar kein Motorrad.

      »Gestern musste ich den Mercer zurückgeben, war die letzte Rate schuldig geblieben,« vertraute er seinem Tagebuch an. »Lächerliche 75 Pfund haben mir gefehlt. Wieder mal völlig blank, Mavro kann ich nicht erneut anpumpen. Archie B. wurde bereits von Archie F. angehauen. Es ist ein Fluch, bettelarm geboren zu sein …«

      Drei Tage später: »Das, was ich durch die Rückgabe des Mercer wiederbekommen habe, in einen alten Mercedes Tourer investiert. Bremsen leider etwas defekt, Schaltung furchtbar hakelig. Springt auch schlecht an. Wie haben die Deutschen 1914 den Grand Prix gewinnen können? Sie hätten den Kaiser nicht ins Exil abhauen lassen dürfen.«

      Eine Woche drauf: »Unfall! Dick und David ist nicht viel passiert, George und Tom und Hugh kamen mit kleinen Schrammen davon. Habe den Mercedes in einer Haarnadelkurve bei Haverhill umgeworfen, konnte ihn nicht vorher abbremsen, kein Druck auf dem Pedal. Hugh hat den Abschleppwagen bezahlt. Wir werden den Mercedes mit vereinten Kräften wieder instandsetzen. Das Bier im Pub war lausig kalt, die beiden Mädchen dort ebenfalls. Kein besonders gelungener Tag, alles in allem.«

      Es waren nicht nur exotische Luxusautos, mit denen Bunty die Grafschaften Cambridge und Suffolk unsicher machte. Dem Mercedes folgte ein bürgerlicher DFP, dann ein Alvis 12/14 hp und ein Ford A-Modell (mit dem er einen »sehr lustigen« Unfall absolvierte, wie Bunty in sein Tagebuch schrieb), und zeitweilig besaß er sogar einen Grade-Kleinwagen aus Deutschland. Den hatte er besonders günstig bekommen, weil niemand mit dessen Friktionsgetriebe umzugehen verstand. Genau das Richtige also für einen angehenden Ingenieur, dem nichts Ungewöhnliches ungewöhnlich genug sein konnte. Aber mit einem großen, schicken Austro-Daimler ließ sich natürlich sehr viel mehr Eindruck machen. Und nicht nur das: »Bei Margaret hat es endlich geklappt, sie war hinreißend geschickt. Dabei war es ihr erstes Mal in einem Auto. Ein Wagen von der Dimension meines Austro-Daimler 10/40 Horsepower ist für gewisse Handlungen einfach unentbehrlich. Hinterher Champagner (Margaret) geköpft, leider viel zu warm. Furchtbar gerülpst.«

      Onkel Horace’ verderbender Einfluss

      Hatte ein Mitglied des Motorradclubs ein Rennen gewonnen, gab es natürlich eine zünftige Siegerparty. Meist endeten sie mit irgendeinem Blödsinn, improvisiert oder gründlich vorbereitet. Bunty soll die Idee mit dem »Attentat« gehabt haben.

      Es fand dergestalt statt, als auf dem Höhepunkt einer solchen Feier einer der Anwesenden heimlich einen Knallfrosch zündete und ein anderer gleichzeitig mit tomatenmarkbeschmiertem Frackhemd durch die Tür zum Festsaal hereinstürzte. Bunty hätte diese Rolle gern selbst gespielt, hätte aber damit rechnen müssen, dass man sein Theater sofort durchschaute. Er war es immerhin, der lauthals »Ein Anschlag! Ein Anschlag!« schrie, woraufhin jemand zum nächsten Telefon rannte und die Polizei und die Ambulanz alarmierte. Als einige Beherzte der Gesellschaft sich des im Tomatenmark wälzenden Opfers annehmen wollten, war schon die rechtzeitig vorab informierte Presse zur Stelle, Blitzlichter zuckten auf, Gelächter erschallte. Bunty und seine Freunde hatten wieder einmal erreicht, worauf es ihnen angekommen war: makabre Publicity.

      Bunty hatte seinen Hang zu Vergnügen solcher Art wahrscheinlich von seinem Onkel Horace geerbt. Der hatte jede Gelegenheit genutzt, um dem Jungen Flausen in den Kopf zu setzen und ihn zu seinem Komplizen zu machen. »Er war einer, der es schaffte, sich bei einem Maskenbildner vom Theater als Sultan herrichten zu lassen und so beim Marineministerium als Emir von Marokko vorzusprechen,« erzählte mir Bunty. »Er bat zu Ehren seines Geburtstages nur um einen kleinen Gefallen, den ihm die gerade im Hafen von London weilende Königliche Flotte erweisen möge: um eine Flaggenparade, die er von der Tower Bridge aus abnehmen wollte, vom Rücksitz eines Lanchester aus. Er hat es geschafft, so wahr ich hier stehe. Ich war als sein Page dabei, mit Bademantel, goldenem Gürtel, Turban und Sonnenschirm! Natürlich wurden vorher Wetten abgeschlossen, nur darum ging es ja. Onkel Horace hat mehrere hundert Pfund kassiert. Ich glaube, er hat sie anschließend der Royal Navy für deren Witwenfonds zur Verfügung gestellt …«

      Bunty: »Ein anderes Mal hat sich Onkel Horace als Elektriker ausgegeben, um angeblich als Beauftragter einer Firma für moderne Sicherheitseinrichtungen die Alarmanlage im Tower zu untersuchen. Er hat sich den dort deponierten Kronjuwelen beinahe so weit nähern dürfen, dass er sie hätte stehlen können. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich als sein ›Assistent‹ mit dabei war. Natürlich hätte man uns nicht allein in den Tresorraum gelassen. Meine Rolle war so geplant, dass ich einen epileptischen Anfall zu bekommen hatte, wenn Onkel Horace den Juwelen nahe genug war, um das Begleitpersonal abzulenken. Aber ich habe es mit der Angst bekommen, noch bevor wir das Ziel erreicht hatten, wirklich, wir waren schließlich drauf und dran, uns am Königshaus zu versündigen … ich bin einfach getürmt, und Onkel Horace hinterher … zum Glück haben sie uns nicht erwischt …«

      Ich möchte bezweifeln, dass Bunty davon ausging, die Zuhörer solcher haarsträubenden Storys würden sie für bare Münze nehmen. Vielleicht hatte Onkel Horace seinem Neffen nur einmal den Plan eines solchen Unsinns vorgetragen … denn schon beim Betreten des Tower hätte man die »Elektriker« nach ihrer Legitimation gefragt und sich bei der Firma, für welche die beiden angeblich »arbeiteten«, telefonisch erkundigt. Aber Buntys Onkel-Horace-Geschichten waren einfach zu schön, als dass man sich getraut hätte, Einzelheiten zu hinterfragen und den Erzähler damit in Erklärungsnöte zu bringen. Zumal Bunty in ähnlichen Fällen gerne antwortete: »Gut, dass du das anschneidest … ich hätte fast vergessen, auf ein paar wichtige Details zu sprechen zu kommen. Eigentlich erinnern die mich aber an eine ganz andere Geschichte …«

      Well, this reminds me of a different story: Damit zog er sich dann aus der Affäre, und schon wechselte er zum nächsten, mindestens ebenso merkwürdigen Histörchen.

      Und noch ein Ding von Onkel Horace: »Er hatte mich zum Dinner in Bertorellis berühmtem Restaurant in der Charlotte Street eingeladen. Ich war damals achtzehn. Nach dem Dessert wollte mir Onkel Horace noch das Café Royal zeigen, eine damals etwas berüchtigte Künstlerkneipe in Soho. Es regnete in Strömen, und wir hatten keine Chance, ein Taxi zu erwischen. Kurzerhand riss Horace die hintere Tür eines zufällig vor dem Restaurant wartenden Autos auf, stieß mich hinein und rückte nach. Am Steuer saß ein kleinwüchsiger Herr mit einem Bowlerhut auf dem Kopf. Damals waren die Londoner Zeitungen voller Schreckensmeldungen über amerikanische Gangster, die hier ihr Unwesen trieben, und so hatte mein Onkel ein leichtes Spiel, dem armen Kerl am Volant einen Füllfederhalter in den Rücken zu pressen und mit Texas-Akzent zu verlangen, er möge uns, ohne sich umzuschauen, ins Piccadilly Hotel fahren. Unter der Drohung, von einem der Hotelfenster aus werde er durch einen unserer Mitgangster glattweg umgelegt, falls er auch nur einen Blick auf seine Fahrgäste werfe, huschten wir im Schutz der Dunkelheit ins Hotel, verließen es durch den Nebeneingang sofort wieder und liefen hinüber ins Café Royal. Trotz strömenden Regens hatten wir es unerkannt und fast trockenen Fußes erreicht – und das gratis!«

      Die Geschichte hat einen Haken. Ich wollte Bunty aber die Pointe nicht verderben, sonst hätte ich gern eingewendet, dass es im Jahre 1925 schon Innenrückspiegel gegeben habe.

      Da Bunty das Fabulieren und phantasievolle Ausschmücken selbst simpelster Begebenheiten liebte, bis sie Abenteuerformat annahmen, mochte die Geschichte mit dem Gangsterüberfall möglicherweise einen wahren Kern enthalten und sich vielleicht auf profane Anhalter-Nassauerei reduzieren. Im Café Royal wird sie dann so in Umlauf gebracht worden sein, wie sie Bunty später zum Besten gab.

      Lieferant des Adels und vornehmer Stände

      Über den Fortgang seiner