Halwart Schrader

Bunty


Скачать книгу

spricht und spricht – leise zwar, aber gut vernehmbar, und er flicht seine Sätze zu lustigen Girlanden und Mäandern, die nirgendwo anfangen und nirgendwo enden, immer wieder Unterbrechungen und Einschübe erfahren, lauter Neben-Mäander und kleine Rokokozöpfchen bekommen, verbunden durch Brücken oder auch nur Stricke, in denen er sich zuweilen selbst verfängt – ich muss sehr aufpassen, dass ich dem inhaltsreichen Monolog zu folgen vermag, zumal Buntys dritte Zähne so manches Wort eher ungern, zumindest undeutlich freigeben. Der Living Room, in welchem wir uns befinden, ist vollgestopft mit Stapeln von Zeitungen und Büchern, Schachteln und antikem Kleinmobiliar; die Türen der Glasschränke an den Wänden stehen offen, und auch aus ihnen quellen Bücher, Schriftstücke, Kataloge, Landkarten, Magazine. Jeder freie Wandzentimeter ist mit Bildern, Fotografien, Regalen voller Nippes und Zinnkrügen und Keramik-Kitsch sowie großen, alten Kühlerfiguren bestückt. Natürlich sind die meisten Figuren Rolls-Royce-Emilies. Aber es befindet sich unter den knienden und hockenden und schwebenden Engeln auch ein majestätischer Mercedesstern auf schwarzem Sockel. Mit dem es, wie mit dem dazugehörigen Auto, eine ganz besondere Bewandtnis hat. Das erfahre ich aber erst sehr viel später.

      »Ich verspüre ein wenig Hunger, mein junger Freund, und Sie sicher auch. Meine gute Averil ist heute mittag nach London gefahren und wird erst morgen zurückkommen. Oh, übrigens, haben Sie von dem dreisten Postraub gehört? Mehr als zwei Millionen Pfund haben sie abladen können. Mein Gott, so viel Geld, nicht wahr? Averil ist eine so liebe Frau, Gott beschütze sie unterwegs vor Unglück. Aber so lange sie nicht da ist, müssen wir uns selbst versorgen, wenn wir nicht Hungers sterben wollen. Seien Sie doch so gut, mein junger Freund, und gehen Sie in die Küche und sehen Sie nach, ob Sie dort etwas Essbares finden. Und machen Sie uns einen Tee.«

      Das englische »you« kann man bekanntlich als Du oder Sie interpretieren, und so kommt es sehr auf das Drumherum an, auf die Art, mit der man angesprochen wird (beim Vornamen ja sowieso), um daraus ein Du oder ein Sie nach deutschem Verständnis abzuleiten.

      Ich entscheide mich ohne lange zu überlegen, dass Buntys »you« als »Du« zu verstehen sei.

      Und während Bunty pausenlos weiter spricht, leise, aber melodisch, beinahe singend, am Satzanfang stets etwas piepsend, dann die Stimme absenkend bis auf ein Dezibel-Minimum, erhebe ich mich weisungsgemäß aus meinem Sessel, gehe in die Küche, finde sogar einen Lichtschalter, aber so gut wie nichts, was sich verzehren ließe. Averil, Buntys Ehefrau, hat ihren Mann offenbar auf Diät gesetzt. Dabei hat der Gute wirklich nichts zuzusetzen. Poor old man … Und bei seiner gegenwärtigen Immobilität ist er, wie es scheint, hilflos genug, sich nicht einmal ein Spiegelei in die Pfanne zu hauen. Abgesehen davon, dass dies womöglich unter seiner Würde wäre: Bunty am Küchenherd, über eine Bratpfanne gebeugt, ein Ei in der Hand … schwer vorzustellen! Also suche ich weiter. »In der Kammer nebenan wirst du eine runde Blechdose finden, die bringst du bitte mal her, mein teurer Freund,« tönt es aus dem Living Room.

      Ich sehe sie. Aber sie enthält Schuhputzzeug. »Dann muss es eine andere runde Dose sein. Mit Keksen drin, noch von Weihnachten.«

      Die Keksdose, die er meint und die ich auch tatsächlich entdecke, ist eckig, nicht rund. Auf dem Deckel steht »The Genuine Joseph Lucas Acetylene Gas Motor Car Headlamp Repair Kit No. 5«. Die Kekse darin scheinen noch essbar zu sein, zumindest zeigen sie keine Spur von Schimmel oder so. Ich bringe sie ins Wohnzimmer, und wir beginnen zu knabbern. Das heißt, Bunty hat die Dose auf seinen Knien, ich muss wegen jedes einzelnen Zugriffs aufstehen und hineinlangen. Sie schmecken ein wenig nach jenem Azetylengaslampenreparatursatz, den die Schachtel einst enthielt. So werde ich wohl nicht mehr satt heute.

      »Now we should have some tea … kannst du Tee kochen, mein guter Freund? Deutsche können doch alles, nicht wahr, also mach uns einen Tee. Nur keine Beutel, bitte, mein Lieber! Solltest du solche finden, vergiss sie auf der Stelle, hörst du! Es ist die böseste Erfindung nach hydraulischen Ventilstößel; Mabel hat sie angeschleppt. Der Teufel soll die Putzfrau holen. Du wirst schon irgendwo richtigen Tee finden, denke ich.«

      Wenn ich Glück habe, bekomme ich jetzt wenigstens etwas Heißes zu trinken! Ich wühle in der Scott-Moncrieff’schen Küche also nach real tea, erhitze Wasser auf einem Gasherd aus dem neunzehnten Jahrhundert. Der rußschwarze Wasserkessel könnte noch einmal hundert Jahre älter sein. Aus Bergen von nicht abgewaschenem Geschirr – beste Ware, alles Royal Spode – ziehe ich vorsichtig zwei Tassen hervor, spüle sie aus, und unter einem Stapel alter Zeitungen auf dem Küchentisch finde ich auch eine gefüllte Tee- sowie eine Zuckerdose. Es kann losgehen.

      »Wenn Averil morgen aus London zurückkehrt, wird sie in Leek Station machen und Einkäufe mitbringen. Es ist fast nichts im Hause. Ich vergaß, Hazel um ein paar Besorgungen zu bitten. Hazel musst du kennenlernen! Wir müssen den Tee jetzt schwarz nehmen, Milch ist seit gestern nicht mehr da, sorry, my dear, Mabel ist so unzuverlässig! In Portugal habe ich einmal, äääh, mmmh, also das muss um 1954 gewesen sein, also da gab es einen schwarzen Tee, warte mal, äääh, wie hieß er doch, den hatten sie aus Mexiko importiert, nein aus Guatemala natürlich, dort gilt er als Rauschmittel, einfach wundervoll …« und so geht es pausenlos in Girlanden und Mäandern weiter. Ich komme nicht zu Wort, kann meine Fragen nicht loswerden, muss statt dessen den mit so viel Liebenswürdigkeit vorgetragenen Wünschen des alten Herrn Folge leisten: »Die Heizsonne bitte etwas mehr zu meinem kranken Fuß bitte, ja so ist es schön. Geh’ bitte in die Küche und mach’ das Licht wieder aus, sei so gut! Wir müssen sparen in diesen schlechten Zeiten, die Regierung besteht nur aus Halunken und die Strompreise sind inzwischen geradezu astronomisch! Oh, hätten wir nur euren Kanzler Adenauer, aber der soll ja zurückgetreten sein, wie ich hörte … Und jetzt schau doch mal, ob du die Portweinflasche findest dahinten, nein, nein nicht dort, mehr links muss Averil den Port wohl versteckt haben, oder doch rechts, und irgendwo wirst du sicher auch Gläser entdecken, die wird sie doch nicht ebenfalls versteckt haben. So etwas bringt höchstens Mabel fertig, the stupid cleaner girl. Oder hast du bei deinem Abflug eine zollfreie Flasche im Duty Free gekauft? Alle meine Freunde aus dem Ausland bringen immer eine Flasche aus dem Duty Free mit, wenn sie mich besuchen kommen!«

      Daran habe ich nicht gedacht. Mein Gastgeschenk für Bunty ist ein Buch über die Frauenkirche in München, auf Englisch. Es interessiert ihn sehr, er blättert es durch. »Ich liebe München. Auch wenn man mich dort 1933 für einen persönlichen Freund Hitlers gehalten hat, was mir fürchterlich unangenehm war, aber ich hatte keine Chance, diesen Irrtum aufzuklären. Und Architekturgeschichte ist meine Leidenschaft! Während meiner vielen Reisen habe ich auch Notre Dame in Paris und die Kathedrale von Reims, den Stephansdom in Wien und den äääh, ich meine, es war wohl doch das Münster in Straßburg …« und so weiter …

      Während wir uns nach dem letzten Keks und meinem etwas zu stark geratenen Tee einen Port »Tawny Rich« genehmigen, komme ich endlich dazu, meine ersten Fragen los zu werden: Bunty, stimmt es, dass du das größte Sortiment der Welt an gebrauchten Rolls-Royce anzubieten hast? Wo befinden sich die Autos alle? Darf ich sie morgen sehen und einige von ihnen fotografieren?

      Bunty geht auf keine meiner Fragen ein. »Ich muss dir erst einmal die Geschichte von dem komischen Argentinier erzählen, der letzte Woche hier war, um einen Silver Dawn zu kaufen. Aber erst noch einen kleinen Port, bitte. Ich nehme an, du möchtest lieber keinen mehr? Aber wenn schon, dann bedien dich nur … Also: der gute Mann kam aus Buenos Aires, oder aus Bahia Blanca, was weiß ich. Er war jedenfalls ein Emigrant, ein gebürtiger Rumäne, das bemerkte ich sofort. Ich kenne ganz Rumänien, und auf der Donau, wo sie durch Rumänien fließt, war ich mit dem Schnellboot unterwegs, 1941/42. Und mit einem Lincoln natürlich. Oh, was für eine wundervolle Zeit, mein Lieber, wir haben so viel Wodka gehabt, wie wir nur wollten. Wir mussten uns lediglich vor den Deutschen in Acht nehmen.« Die Geschichte ist sicher reich an Pointen, aber ich kann ihrem Verlauf nicht ganz folgen, weil sich meine Gedanken um meine Story drehen, die ich schreiben möchte. Außerdem hört Buntys Story um den rumänischen Argentinier abrupt und offenbar kurz vor einer wichtigen Aussage auf, weil ihrem Erzähler Stimme und Faden abhanden gekommen sind und sein Kopf ganz sachte auf die Brust sinkt. Das Mäander hat sich irgendwo verhakt, und Bunty ist dabei, einzuschlafen, das geleerte Portweinglas in der Hand. Jetzt könnte ich mir ja auch noch einen zweiten genehmigen … aber schon zuckt der Schnauzer, Bunty hebt den Kopf und gähnt,