Halwart Schrader

Bunty


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solche der Rührung, eher der Zugluft auf dem Bahnsteig. So wie der Dauertropfen an seiner Nase nicht unbedingt ein Zeichen von Erkältung ist.

      Ich besteige den Zug; es sind noch etwa fünf oder sieben Minuten bis zur Abfahrt. Buntys Redefluss, so sehr er auch durch viele lange, klangvolle »hmmms« und »ääähs« durchsetzt ist, plätschert ohne Unterlass; heute ist er besonders gesprächig, der Gute. Wahrscheinlich hat er auf der Versteigerung einen Superdeal landen können und schon die Dollars errechnet, die ihm der Weiterverkauf der beiden alten Autos nach Amerika bringen wird.

      »Du bist hungrig, dessen bin ich mir ganz sicher, und ich habe dich nicht zum Lunch einladen können! Aber ich weiß, was sich gehört, du kennst mich gut genug, nicht wahr? Also warte bitte einen kleinen Moment, mein Junge, so lasse ich dich nicht einfach zurück nach Deutschland fahren!« Dreht sich um, humpelt davon, kehrt Sekunden vor dem Abpfiff mit einer Tüte zurück und reicht sie mir herauf: »Endlich kann ich all das wieder gut machen, was ich dir schuldig bin! Und ruf’ mich an, wenn du zu Hause angekommen bist, aber nicht vor fünf Uhr bitte, ich habe dir noch so unendlich viel zu erzählen! Hast du zum Beispiel gewusst, dass Frank den Phantom Two Continental, der vorhin für zwanzigtausend wegging, für nur siebentausendfünfhundert hereingenommen hatte? Soll ich dir verraten, was ich geboten hätte? Keine zwölf! Das war nämlich das Auto der Lady Ashcroft, du weißt schon, die ihre beiden Chauffeure umgebracht hat, alle beide vergiftet! Oder hast du das nicht gewusst? Keine zwölf hätte ich geboten, äääh, hmmm, vielleicht dreizehn. Vergiftet hat sie alle beide, einen nach dem anderen. Das wird sie natürlich niemals zugeben, der Staatsanwalt hatte ja auch keine echten Beweise, aber auf dem Wagen lastet jedenfalls ein Fluch! Hoffentlich widerfährt dem guten Frank kein Unglück, er schuldet mir schließlich noch zwanzig Pfund … Ach, und versuch doch bitte, ob du in dem Geschäft in der Schwanthaler Straße noch einmal zwei Dutzend von diesen Zündkerzen auftreiben kannst. Sie müssen dir Rabatt geben. Nenn’ einfach meinen Namen! Und wenn du anrufst, vergiss nicht, mich auf meine geplante Reise auf der Donau anzusprechen. Ich brauche da deinen fachmännischen Rat, ich bin doch jetzt Besitzer eines Schiffes, äääh – und mein Neffe in der Royal Geographic Society …«

      Es ist das erste Mal, dass Bunty mir gegenüber ein Schiff erwähnt. Was für ein Schiff? Hat er es für einen seiner Rolls-Royce-Veteranen in Zahlung genommen?

      Auch ich war ja mal Besitzer eines Motorkutters (wenn auch leider ohne Motor) gewesen und interessierte mich daher für dieses Thema. Hätte ich etwas früher erfahren, dass Bunty und ich eine weitere Passion teilen, wäre ich bereit gewesen, meinen Aufenthalt zu verlängern, um mir sein Schiff anzusehen. Ich musste meine Neugier nun erst einmal im Zaume halten und beschloss, Bunty per Brief umgehend nach Einzelheiten zu fragen, zumal er ja vorzuhaben schien, sich damit auf Europas Binnenwasserstraßen zu begeben. Für heute war es zu spät, und erfahrungsgemäß hätte Bunty sehr weit ausgeholt, um mir die Schiffsgeschichte zu erzählen. Denn dieses Schiff war ja auch keineswegs sein erstes, wie ich später in Erfahrung brachte.

      Noch bevor ich all das, was Bunty von der Bahnsteigkante zu mir hoch fistelt, zu sortieren vermag, setzt sich der Zug in Bewegung – »don’t forget those spark plugs, and ask for a decent discount!«, höre ich Bunty noch rufen; ich schließe das Abteilfenster, winke ihm noch einmal zu und widme mich dem lauwarmen, kräftig gesalzenen Inhalt der Papiertüte. Fish and chips sollen es sein, leider without fish. Pappige, muffige Pommes. An Bord der Fähre habe ich zum Glück Zeit und Gelegenheit, etwas ausgiebiger zu dinieren. Ich leere dazu eine halbe Flasche St. Emilion – drei Gläser auf das Wohl des Schiffseigners Bunty. Und freue mich auf ein baldiges Wiedersehen mit dem schrulligen Gentleman von Rock Cottage, dem alten Geizkragen, den wir alle so sehr mögen. Warum nur? Wegen seines Charmes? Wegen seiner Witzigkeit und seiner Begabung, lustige Geschichten zu erzählen, wegen seiner mit so viel Liebenswürdigkeit dargebotenen Unverschämtheiten, seiner gern provozierten Situationskomik, seiner Kunst, sich zu verstellen und immer wieder so überzeugend den Ahnungslosen zu spielen?

      »Call me Bunty«

      Meine erste Begegnung mit Bunty hatte sich unter ähnlichen Umständen zugetragen, wie sie mir später auch von anderen Besuchern geschildert wurden, etwa von meinem Freund Albert Leonhard. Mit dem Unterschied, dass sie Rock Cottage erstens bei Tageslicht und zweitens mit dem Auto aufsuchten. Ich traf bei Dunkelheit und als Fußgänger dort ein.

      Ich hätte am Flughafen Manchester einen Leihwagen nehmen können, doch ich zog es vor, das Abenteuer auf mich zu nehmen, England auch mal als Omnibus-Fahrgast kennen zu lernen. Kann sein, dass ich darüber eine Geschichte schreiben wollte; so genau erinnere mich daran nicht mehr. Wohl aber an viele Einzelheiten meiner Visite in Rock Cottage.

      Mein Flieger war mit einer Stunde Verspätung gestartet und gelandet; dumm genug. Es ist ein nasskalter Herbstabend, wie er typisch englischer nicht sein könnte. Zum Fürchten, Frösteln, Fluchen. Ich stehe an einer Bushaltestelle irgendwo auf dem Lande, der grüne Überlandbus hat mich an der Station Basford Hall meinem Schicksal überlassen, und das kehrt sich momentan in mehrfacher Hinsicht gegen mich.

      Denn es ist nicht nur nass und kalt und windig und dunkel, sondern ich habe auch Hunger und Durst und einen Kamerakoffer in der Hand und kann niemand nach dem Weg fragen, weil jeder normal veranlagte Engländer jetzt zu Hause ist und seine Füße vor dem elektrisch beleuchteten Kamin ausstreckt, und weil, soweit ich es bei der Finsternis zu erkennen vermag, Basford Hall weder ein Dorf noch irgend eine andere Art von Ansiedlung zu sein scheint, sondern nur ein geografischer, ansonsten aber wohl unbedeutender Orientierungspunkt auf der Regionalkarte der Grafschaft Staffordshire.

      Was habe ich hier bloß zu suchen. Ich hätte die Nacht über am Flughafen bleiben können, in einem Hotel, und am nächsten Morgen – oder zumindest zu einer Zeit, in der selbst im englischen November eine Andeutung von Tageslicht zu erwarten ist – den Weg nach Basford Hall antreten können, um das Rock Cottage eines gewissen Mr. Scott-Moncrieff zu finden.

      Es war der letzte Bus, und dort, wo er mich abgesetzt hat, steht weder eines der roten Telefonhäuschen, von dem aus eine Miss Operator mich mit Churnetside 300 hätte verbinden können, jener Nummer, die auf der Zeitungsannonce stand, noch gibt es hier eine Tankstelle, ein Pub, überhaupt irgend etwas. Ich hatte vorgehabt, diesen Teil Britanniens noch bei Tageslicht zu erreichen und mich zum Rock Cottage durchzufragen, um Mr. Scott-Moncrieff meine Aufwartung zu machen. Als Journalist aus Deutschland, der neugierig geworden war – auf eine Begegnung mit dem angeblich größten Rolls-Royce-Gebrauchtwagenhändler der Welt. Wieso hatte der sein Domizil eigentlich ausgerechnet hier im Niemandsland, warum nicht in London, Birmingham, Liverpool, Manchester …?

      Vierzig bis fünfzig second-hand Rolls-Royce, angefangen vom Silver Ghost 1912 bis zum jüngsten Silver Wraith: Was für eine Story! Meine Hasselblad kann es kaum erwarten, »klackschalupp« zu machen (Blende elf, ’ne Fünfundzwanzigstel, auf Ilford FP4 und mit Stativ natürlich). Aber im Augenblick bin ich mir gar nicht sicher, ob ich dem Herrn, dem ich mein Kommen per Brief angekündigt habe, jemals begegnen werde. Viel wahrscheinlicher ist, dass mich innerhalb der nächsten Stunde wilde englische Tiere verschlingen werden, zum Beispiel die berühmten Hunde von Baskerville, oder dass ich in einen tiefen Graben aus der Zeit der römischen Besetzung Britanniens stürze. Und erst im August hat es diesen Postraub im Lande gegeben, bei dem die Täter mit 2,63 Millionen Pfund unerkannt fliehen konnten. Wie gefährlich es sich doch in England lebt! Ronald Biggs und seine Kumpane hatten den Postzug von Glasgow nach London durch manipulierte Signale an einer einsamen Stelle zum Stehen gebracht, den Lokführer bewusstlos geschlagen und waren mit der Lokomotive und dem Geldwaggon weiter bis zur Bridego Bridge gefahren, um dort die Behälter mit den Banknoten in ein bereitstehendes Fluchtfahrzeug zu laden.

      Es sind laut Conan Doyle aber auch schon geringerer Beträge wegen schlimme Verbrechen in dieser Region begangen worden …

      Ich könnte so lange warten, bis ein Auto vorbei kommt, es anzuhalten versuchen und den Fahrer nach dem Weg fragen. Den größten Rolls-Royce-Gebrauchtwagenhändler der Welt müsste hier doch jeder kennen. Die Zeitschrift, der ich die Geschichte verkaufen möchte, heißt »twen« und wird, obwohl ihr Name etwas anderes vermuten lässt, von Leuten über dreißig, teils über vierzig gemacht. Denen das Thema Rolls-Royce, als ich es erwähnte, auf Anhieb gefiel. Echte