neue Gestaltung des Frauseins: Lösung aus den Aufgaben der Sippe, zielend auf den Selbstand in der Nachfolge Christi. Schon seit der ersten Generation der Jüngerinnen (Lk 8) gibt es den Entschluss zur unmittelbaren Nachahmung seines Lebens, sei es früher in der monastischen Ordnung der evangelischen Räte, sei es heute in den der Welt verpflichteten Säkularinstituten. Die Transformation neu erschlossener Berufsfelder und Denkbereiche der wissenschaftlich-technischen Ära in christliche Lebenswelten bedarf weiterer Anstrengungen.
Christinnen sind zuerst von ihrem Selbstverständnis und der sie bedrängenden Aufgabe her zu deuten, also von ihrer eigenen Wahrnehmung als Frau und im Überstieg ihrer geschlechtsspezifischen Kräfte, in der (über-) fordernden, aber auch erfüllenden Dynamik einer Christus-Beziehung. Sie kann zuweilen in einer bestürzenden Unmittelbarkeit wahrgenommen werden, die zu einem leibhaften, seelischen, geistigen Mit-Sein führt, zu einer weiblichen Existenz und Pro-Existenz, die an ihrem Dasein nicht „wie an einem Raub festhält“, sondern das allzu Geschlechtsnahe lösend übersteigt.
Der (post)feministische Diskurs hätte an diesen Gestaltungen zu lernen: Er unterschlägt oder blendet weithin basale Fragen des Frauseins aus wie Leib-Bezogenheit, „Aufhebung“ des Geschlechts und Ich-Findung durch Transzendenz. Biblische Denkvorgaben verweigern weder die Leibvorgabe noch kulturelle Erfahrungen und Prägungen gemeinsamer Frauengeschichte, weil sie beide nicht absolut, nicht als Blickbeschränkung setzen. Immer wieder werden solche empirischen Gegebenheiten „aufgebrochen“ durch das Wirklichwerden persönlicher Freiheit, im Blick auf die göttlich verbürgten Ursprünge.
Bei der Arbeit am vorliegenden Band, der früher formulierte Ansätze aufgreift und weiterführt, zeigte sich (wieder), dass die Frauenfrage niemals nur eine Frage von Frauen, sondern von Geschichts- und Selbstverständnis des Menschen ist. Um genau zu sein: des Menschen in der Frau, des Menschen im Mann. Noch genauer: von Frau und Mann als je selbstständigen Personen. Mit dem Auswägen von Zugehörigkeit und Selbststand kommt die Kulturgeschichte wohl an kein Ende – aber das entspricht den ungeheuren, nicht ausgereizten Möglichkeiten des Daseins, die sich nach Gregor von Nazianz erstrecken „von Anfang zu Anfang, durch Anfänge, die nie ein Ende haben werden“.
Erlangen, 23. Juni 2009
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
I. „Herkunft bleibt Zukunft.“
Frau und Mann: Ein Gang durch Kulturen und Religionen
Es gibt ein Verständnis von Geschichte, bei dem sie einfach nach Archiv, Museum, Gelehrsamkeit riecht. Dabei bleibt das Gewusste äußerlich, nach rückwärts und von vorgestern gewusst, und „der moderne Mensch schleppt zuletzt eine ungeheure Menge von unverdaulichen Wissenssteinen mit sich herum, die dann bei Gelegenheit auch ordentlich im Leibe rumpeln, wie es im Märchen heißt.“1 So transportiert man Bruchstücke des Vergangenen, etwa auch Festgefrorenes, über das Wesen von Mann und Frau, das nicht mehr von seiner lebendigen Entstehung her erhellt ist und sich so lange wiederholt, bis es als bloße Last ausgespien wird.
Dieser musealen Geschichte lässt sich mit einem zweiten Verständnis entkommen: Das Uralte erscheint unvermittelt brandneu. Wieder sind es Bruchstücke, die sich aber wider Erwarten zu einem – merkwürdig modischen – Cluster zusammenfügen. Nebelhaft schöne Matriarchate fordern das Patriarchat heraus; „Befreiungspotentiale“ des Mythos überrunden alle Erfahrungen der Geschichte; erträumtes Vorgestern wird eingeklagtes Übermorgen. Kulturrevolution im wörtlichen Sinn wird nötig: das Zurückdrehen der Kultur auf ein gutes Einmal. Im äußersten Fall zerfällt die Geschichte: in die Geschichte unterdrückter guter Möglichkeiten und in die Kriminalgeschichte der Tatsachen. Auch die Zuordnung von Frau und Mann findet sich – unschwer zu erraten, wie – in diesem Schwarz-Weiß-Muster wieder.
Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Geschichte überhaupt hinter sich zu lassen und die Utopie, das Nie-Dagewesene zum Maß zu machen. Hier erscheint – am nie eingeholten Horizont – der „neue Mensch“, der „menschliche Mensch“, der „zukünftige Mensch“ im herrschaftsfreien Dialog. Hier wird die – geschichtlich gewachsene – Differenz von Frau und Mann unbrauchbar, als bedingt abgeladen; im Unbedingten, nämlich im unbedingt Gleichen, beginnt die lichte Zukunft. Wäre es nicht entlastend, Geschlecht mit seinen eingebrannten Konnotationen überhaupt „abzuschaffen“?
Diese Lesarten von Geschichte sind, ins Extrem getrieben, falsch, jede wohl auf ihre Weise zerstörerisch. Sie enthalten aber in Maßen unterschwellig eine richtige Frage: Wie beziehen sich alte Lösungen auf neue Forderungen? Die Erfahrung anderer auf mein eigenes Leben? Bis zu welchem Grad vertieft, ja ermöglicht das Geschehene und Erprobte einen Zugang zur eigenen Wirklichkeit? Aber bis zu welchem Grad versteinert auch das Altbekannte die jeweilige Lage, wird das Modell zum Zwang eines fremden Lebens anstelle des eigenen? Dann erscheint Tradition in ihrem zweiten Wortsinn als „Verrat“: Verrat des neuen Anspruchs, des jeweils sich unverwechselbar ausprägenden Lebens.
Diese tiefgreifende Zweideutigkeit von Geschichte – Überlieferung oder Verrat des Wirklichen? – erscheint in besonderer Stärke bei der Geschlechterfrage: Ist sie je schon gültig gelöst worden? Stehen wir heute vor einer gültigen Annäherung an die Lösung? Gibt es, wenigstens gedanklich, wenn schon nicht real, sinnvolle Vorschläge zur Lösung des Notwendigen?
Eine wichtige Antwort enthält der Satz: „Herkunft bleibt Zukunft.“ Zwar ein schmaler Satz, doch gehört er lange durchdacht. Zukunft kann nicht von einem Punkt Null aus entworfen werden, von dem aus man nach vorne durchstartet – die abgelegte Geschichte im Rücken. Geschichte liegt nicht im Rücken, sie liegt in uns. Aber wiederum nicht in Form von Wackersteinen oder nicht gezündeten Sprengsätzen. Die Aufgabe wäre, Geschichte zu begreifen als ein Potential, eine Sammlung des bisher Wirklichen = Wirksamen, einen Blutkreislauf von Sinn und Gegensinn. Vergisst man die Herkunft, dann bleibt Erstorbenes anstelle gewachsener Identität: „die Väter, die wie Trümmer Gebirgs uns im Grunde beruhn; (. . .) das trockene Flussbett einstiger Mütter; (. . .) die ganze lautlose Landschaft“2. Geschichte ist zu begreifen als „Humus“ alles Folgenden, sonst taucht sie gespenstisch als Gelehrsamkeit oder als Irritation oder als Lüge wiederkehrend auf – im einen Falle tot, im anderen unreif, zu Rückfällen verführend, Wiederholungen erzwingend, im dritten Falle muss sie ideologisch ausgemerzt werden.
Der jetzt versuchte „Gang des Geistes durch die Geschichte“ beabsichtigt gerade nicht, Gelehrsamkeit über das Vergangene auszubreiten, auch nicht, unmittelbare Widerhaken zu einer Rechtfertigung der Geschichte auszulegen. Es geht vielmehr darum, im Gesamt der Geistesgeschichte einige Zuordnungen von Frau und Mann deutlicher zu kennzeichnen, ihre Veränderungen und Entwicklungen darzustellen, nach Größe und Grenze der jeweiligen Zuordnung zu fragen. Denn es genügt nicht, ein vom „männlichen Denken“ inspiriertes Menschenbild zu benennen oder abzuweisen, wenn nicht gezeigt wird, woher es seinen Ursprung hat, wie gerechtfertigt er ist, warum seine Berechtigung durch einen anderen Anspruch überwunden ist und, wenn man einen Wechsel fordert, wo dieser überhaupt notwendig ist – je genauer, desto weniger Wunschdenken. Johann Baptist Metz hat die Eucharistie eine „gefährliche Erinnerung“ genannt; genau genommen ist jede Erinnerung gefährlich: Gerade das Wissen von der Herkunft ermöglicht das Entwerfen der Zukunft, oder, weniger im Rational-Verfügbaren ausgedrückt: Im richtigen Wahr-Nehmen unserer Herkunft schließt sich Zukunft auf.
Die Herkunft des Menschen hat unterscheidbare Strukturen durchlaufen, wie sich aus den Quellen – Bildern, Kunstwerken, Sprache – ablesen lässt.3 Mit ihrer Hilfe lässt sich die notwendige „Suche nach der verlorenen (oder nur scheinbar vergessenen) Zeit“ beginnen. In diesen Strukturen zeigt sich eine von der heutigen unterschiedene Gesamtlebenshaltung, ein besonderes Gegenüber von Mann und Frau, ebenso – von Letzterem beeinflusst – eine sich ändernde Zuordnung von Mensch und Gott.
Vorgestellt werden im Folgenden immer drei Hinsichten einer kulturellen Entwicklung: ihre allgemeinen Merkmale, das Verhältnis der Geschlechter, das Verhältnis zu Gott. Man gewinnt in diesem Überblick nicht ein bloßes Besserwissen, nicht eine simple Relativierung aller Mythen oder rationalen Aussagen über Mensch und Gott; es geht nicht um ein Abheben auf ihre Vorläufigkeit und Beschränktheit. Auch wird eine Struktur