ist in meinen Eingeweiden.“16
In diesem Zusammenhang ist erhellend, dass die Ägypter, wie von Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. berichtet, die Eingeweide der Toten mühsam und sorgfältig konservierten, während sie das Gehirn durch die Nase entfernten und einfach wegwarfen – ein Hinweis darauf, wo in der magischen Bindung das „Leben“ am dichtesten empfunden wird. Vom kannibalischen Verzehren der Genitalien und dem Aufreißen des Unterleibs durch Harakiri bis zur Eingeweideschau der römischen Priester reicht dieselbe magische Besetzung der eigentlichen „Lebensquelle“. Dieser fremd anmutende Befund sei deswegen erwähnt, weil sich die unterschiedlichen Strukturen auch in ihrem Leibempfinden sondern lassen.
Zweifellos ist dieses noch raum- und zeitlose Erleben durchdrungen von einer Verehrung des Mütterlichen. In unzähligen weiblichen, deutlich geschlechtsbetonten Idolen wird die mater foecunda, die Fruchtbare überhaupt, dargestellt.17 Weil die Frau offensichtlich das biologische Leben weitergibt, wird sie zur Trägerin naturhaft sakraler Machtfülle. Geschlecht und Fruchtbarkeit sind numinos. So sehr dies auch für die Überwältigung beim männlichen Geschlechtsakt gilt – Überwältigung ist immer ein Zeichen der nahenden Gottheit –, so scheint doch lange die Zeugung nicht als entscheidend für die Weitergabe des Lebens begriffen; ohnehin ist das Ursache-Folge-Denken noch nicht ausgeprägt. Vielmehr wird das Mütterliche aufgefasst als eine von selbst empfangende Kraft, die von Mond und Wind (als „Windsbraut“), von Meer, von Früchten, vom gegessenen Fisch befruchtet oder auch von der fruchtbaren Göttin selbst gesegnet wird18. Freilich muss die Frau gebären; außerhalb des Mutterdaseins kommt ihr keine Berechtigung zu. Noch im Alten Testament gilt die Unfruchtbare als verflucht, ihr Mann als von Gott bestraft, so im Fall von Hanna und Elisabeth. Daher stammen die vielen Praktiken, der Unfruchtbaren über die Magd wenigstens stellvertretend Leben zu erwecken (wie bei Sara und Hagar). Hierher gehört auch die in heutigen Ohren skandalöse Geschichte von Lots Töchtern, die sich in der Nacht nach dem Untergang von Sodom und Gomorra zu ihrem Vater legen – weil verantwortlich für die Fortdauer des Lebens und des Stammes.
So gestaltet die Frau als Mutter und Groß-Mutter (die die Geburten überlebt hat), als Zauberin, Richterin (die die Tabuverletzungen bestraft), als Heilerin und Töterin, als Weissagende, als Priesterin in der rituellen Erweckung der Fruchtbarkeit, das Leben der Sippe. In diesen Zusammenhang gehört das berühmte Wort des Tacitus, die Germanen hätten die Frau als „etwas Heiliges und Seherisches verehrt“.19
Die Frage erhebt sich seit Johann Jakob Bachofens Werk Mutterrecht und Urreligion (1861), wie diese Weisen des vom Mütterlichen getragenen Zusammenlebens zu bezeichnen seien. Ein Terminus dafür lautet „Mutterkultur“. Die Schwierigkeit richtiger Einschätzung liegt jedoch darin, dass Mutterkulturen nicht mit umgekehrten Vorzeichen dasselbe sind wie Vaterkulturen; ihre Herrschaft besteht eher im Unterschwelligen, Indirekten, auch Unbewussten, wie es der magischen Struktur eignet – und was übrigens deutlich ihre Macht ausmacht. Auch legen die Ausdrücke „Mutterrecht“ (Bachofen) oder „Matriarchat“ (Lewis H. Morgan) eine ausgeprägte Rechtsstruktur nahe, während das Magisch-Mütterliche eher im Sinn von Tabuisierungen und Einflusszonen arbeitet. Ausdrücklich rechtliche Regelungen mit breiter historischer Beweisbarkeit gibt es jedoch in zwei bezeichnenden Fällen: als weibliche Erbfolge (Matrilinearität) und als lebenslängliche Zugehörigkeit auch des auswärts verheirateten Mannes zur Muttersippe (Matrilokalität), was besonders im Kriegsfall wichtig wurde, deswegen aber eine unstabile und sich rückbildende Rechtsform war.20 Historisch nicht festzumachen scheint ein Amazonenstaat21 – im Gegensatz zu den allgegenwärtigen Spuren weiblicher Macht über die Geheimnisse des Lebens und des Sterbens.
Ein im Allgemeinbewusstsein fast immer falsch eingeschätztes Problem ist noch deutlich anzusprechen. Auch in matrilinearen oder -lokalen Gruppen liegt die Dominanz in der Regel bei Männern – jene Dominanz, die über den häuslichen Bereich mit seiner Zuständigkeit für Geburt, Wachsen, Sterben und deren rituelle Sicherung hinausgeht. Gerade die augenfällige Tatsache der Mutterschaft – im Unterschied zu der nicht augenfälligen Vaterschaft – macht die Frau für den häuslichen und mütterlichen Bereich zuständig, dort auch im beschriebenen Sinne mächtig; auch ihre wirtschaftlichen Domänen lassen sich zeigen. Dennoch: Unzweifelhaft nimmt der Mann kraft seiner stärkeren Physis die ausgreifenden Aktivitäten wahr: Jagd, Pflugkultur im Unterschied zum Gartenbau, Viehzucht, Verteidigung, Kampf.22 Dazu gehören ferner die „politische“ Sphäre, aber auch unterschiedliche Formen der Herrschaft über die Frau, z. B. der – genetisch wichtige – Tausch der Frauen durch die Männer und nicht umgekehrt23 oder auch das „Verleihen“ der Frau an den Gast. Die Verehrung, ja Vergöttlichung des Mütterlich-Fruchtbaren geht also durchaus einher mit einer gleichzeitigen Herrschaft des Mannes nach außen; oder, um es deutlicher auszudrücken: Mutterkulturen bedeuten in der Regel nicht eine soziopolitische Höherstellung der Frau über den Mann – tatsächlich kann die Frau ausgeprägt „rechtlos“ sein.24
Ein Beispiel mag die differenzierte Ordnung der Geschlechter anschaulich machen. Bei einem Jagdzauber der Pygmäen im Kongourwald, der um 1900 von Leo Frobenius beobachtet wurde, trafen sich vor Sonnenaufgang drei Jäger und eine Frau. Die Aufgabe der Frau war es, das zu erlegende Wild durch eine Zeichnung in den Sand zu beschwören und durch den ersten Sonnenstrahl „töten“ zu lassen – all dies in unverbrüchlichem Schweigen. Erst danach begann die Jagd, an der nur die drei Männer teilnahmen.25 Für den Bereich der Bannung, das Knüpfen des „Bezugsnetzes“, war also vorrangig die Frau zuständig (ähnlich auch für die Ent-Schuldigung durch ein Opfer nach der Jagd), für den physischen Vorgang aber der Mann.
Im Ganzen zeigt sich also ein verwickelter Befund; und so sehr hier nur Grundsätzliches gesagt werden kann, so sehr muss man sich bei eingehender Beschäftigung mit einer magischen Kultur auf deutliche Differenzierungen der Geschlechter einlassen, auch wenn sie heutigen Erwartungen „anderer“ („besserer“) Geschlechterordnungen entgegenlaufen mögen.
Was die Beziehung zur Gottheit angeht, so gilt für diese Stufe eine Vielzahl von weiblichen und männlichen numina26, von Mächten und Gewalten einer unheimlich-heimlichen Gegenwart. Weibliche Gottheiten sind der Fruchtbarkeit des Alls zugeordnet, sei es in Mensch, Vieh, Pflanze, jahreszeitlichem Wachsen – auf der anderen Seite dem Verfall, Welken, Sterben und damit auch dem Krieg.27 Männliche Gottheiten haben überwiegend mit dem zeugenden Regen, auch mit Himmel28 und vielfach mit Sonne zu tun, auch mit Allwissenheit29, ohne dass dies abgeschlossene und vor allem erschöpfende Bestimmungen wären. Für unseren Zusammenhang sind die weiblichen numina aufschlussreich: Zahllose „Venusstatuetten“ des Mittelmeerraumes zeigen eine auffällige Betonung der Geschlechtszonen und der Fruchtbarkeit. Der Urtypus der weiblichen Gottheit ist offensichtlich die Muttergöttin, die in jeder Schwangerschaft, in jedem Wachstum neue Gestalt gewinnt, etwa im sich rundenden Mond, der eine ihrer Verkörperungen ist. Zunächst aber stellt die Erde am sinnfälligsten die „große Mutter“ vor: Der „Schoß der Mutter Erde“ ist eine breit ausgefaltete, nie verlorene Metapher. Das delphische Orakel ließ – gemäß der Auskunft des Livius – die Herrschaft über Rom dem jungen Mann zukommen, der als Erster nach der Heimkehr seine Mutter küsse. „Brutus aber glaubte, dass die pythische Stimme etwas anderes meinte, fiel, als ob er gestolpert wäre, auf den Boden und berührte die Erde mit dem Mund, weil er sie offenbar für die gemeinsame Mutter aller Sterblichen hielt.“30 Noch ein Renaissancetext, der bereits die neuzeitliche Rationalität ankündigt, nutzt durchgängig die Metaphern (oder sind es noch die magischen Betroffenheiten?) vom Leib der mater terra, von ihrem Schoß, ihren Brüsten und Eingeweiden, ihrer nährenden Milch.31 Dieser chthonischen Anfangskraft ist auch die schwarze Nacht zugeordnet, eben mit dem weiblichen Mondgestirn; es kann ihr auch die Sonne zugewiesen sein, in mehrfacher Hinsicht: sei es, dass sie selbst weiblich empfunden wird (wie es in der „Frau Sonne“ ohnehin zum Ausdruck kommt und auch mit der Sonnengöttin Amaterasu, der Ahnfrau des japanischen Kaiserhauses, für die japanische Mythologie gilt), sei es, dass der Sonnensohn noch vom mütterlichen Dunkel geboren wird (wie von der ägyptischen Nut, der Himmelsfrau, deren Leib mit den Gestirnen der Nacht bedeckt ist).32
Für diese Muttergottheiten gilt ebenso