Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Frau - Männin - Menschin


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Aquin der Vorstellung von der Frau als dem „Mangelhaften und Zufälligen“56, weil die Schwächung der wirkenden Kraft des männlichen Samens durch die mindere Materialität der Mutter verschuldet sei. Entsprechend sei der Vater ontologisch mehr zu lieben als die Mutter.

      Zweifellos geht mit diesem Sinn für das „Richtige“ und Aktive auch das Durchsetzen des Vaterprinzips einher, das hier nicht in allen unerhört wichtigen Folgerungen geistesgeschichtlicher Art benannt werden kann; festgehalten sei nur, dass aus dem bisher richtungslosen Verquicktsein mit der Umwelt oder der Natur nun das Bewusstsein des Raumes durchbricht, der dimensional, also messbar gedacht wird. Raum ist nicht ohne Bewusstwerdung von Richtung zu denken. Bereits in dieser kleinen Beobachtung wird deutlich, zunächst unabhängig von der Geschlechterfrage, dass die mentale Struktur zunächst eine Befreiung aus dem Seelisch-Unentschiedenen, Unpersonalen, dem Kreislauf des Immergleichen darstellt. Noch in ihren so deutlich sichtbaren Ungleichheiten liegt die Größe des Durchbruchs in eine Welt der Einzigkeit und Unverwechselbarkeit, des Wissens gegenüber der bloßen Meinung, der Wahrheit gegenüber dem bloß Stimmigen, der Klarheit gegenüber dem Halbdunkel traumhafter Weltbeziehung. Freilich wird die Eindeutigkeit nur als Einseitigkeit durchgesetzt. Die Identifizierung von Recht und Mann bedeutet geschichtlich auch die Identifizierung von Rechtlosigkeit und Frau; alles Bewusste wird nunmehr auf Kosten des Unbewussten, des Unmessbaren gelebt. Auch die mütterliche, den Ahnen und den Toten zugewandte Vergangenheit wird nun auf das Zukünftige männlicher Ausrichtungen hin überholt. Der Mensch als Mann versteht sich verstärkt herkunftslos, autonom, nicht von der Mutter, sondern aus sich selbst begründet, als „Selbstdenker“.

      Solche Formulierungen deuten ein Verhängnis an, das sich in der Spätzeit des mentalen Welt- und Selbstverhaltens deutlich ausprägt. Dennoch wird diese Entwicklung falsch eingeschätzt, ja, es ließe sich sagen, man werde ihrem Rechtsbewusstsein nicht gerecht, solange man die ursprüngliche Befreiung darin nicht als den eigentlich bewegenden Ansatz der Veränderung verstanden hat. Dies entbindet nicht von einer Kritik; sie müsste nur vor dem Hintergrund einer eindringlichen Kenntnis der gewonnenen gedanklichen Leistungen verantwortet werden.

      Zu dieser Kritik hier ein Beitrag. In der „Gegensatzwelt“ herrscht grundsätzlich immerwährende Aufklärung mit dem Pathos immerwährenden Fortschritts, aufbauend auf dem gewonnenen Gedanken einer linearen Geschichtsentwicklung, deren Koordinaten der Mann festlegt. Ein Unterscheiden von Ursache und Folge, von Anfang und Ende ist eine Differenzierung, die zunächst hilfreich wird. Eine weitere ist die Entdeckung der Quantifizierung oder Messbarkeit aller Dinge, die aus einer numinosen Unverfügbarkeit in das Teilen und Herrschen des Mannes einrücken: Analyse als Basismethode der Wissenschaft. Über Platons Akademie stand bekanntlich der Satz: „Nur wer der Geometrie kundig ist, möge eintreten.“ Die alte Mutter Gaia wird hier dem Maß ihrer Söhne unterworfen; und nur wer in der Lage ist, die Göttinmutter messend zu behandeln, ist für das geforderte Denken frei. Insofern Wirklichkeit aber im Folgenden auf das Messende und Vermessene abgestellt wird, wird sie ihrer Qualitäten, des Nichtmessbaren beraubt, als Ganzes aus dem Auge verloren und nur noch sektorenhaft beherrscht. Mit dem Einsatz der Neuzeit verstärkt sich diese Richtung auch den Worten nach zu einer Inquisition; Francis Bacon, einer der „Väter“ der modernen Naturwissenschaft, sprach von der Folterbank, auf welcher der Natur im Experiment ihre Geheimnisse abzupressen wären. Galilei forderte ebenso programmatisch, alles messbar zu machen, was nicht messbar sei57, und noch Kant sprach davon, man müsse die Natur zu einer Antwort „nötigen“.

      Die Naturwissenschaft war damit endgültig in die Quantifizierung eingetreten – eine Entwicklung, die ungeheure Erfolge aufweist. Zu Beginn der „geometrischen Methode“ mit unwiderstehlicher Selbstverständlichkeit gehandhabt, ist es freilich verdächtig geworden, die Natur nur als „Gegenstand“, also als Widerstand zu nehmen, der zu überwinden, ja zu brechen sei. Dieses Verständnis hat sich in der Tat unerwartet auf den Menschen selbst ausgedehnt und damit die Fragwürdigkeit des rein messenden Verhaltens einsichtig gemacht. Je länger, je mehr sich das mathematisch-geometrische Denken durchsetzte, desto mehr wurde der Mensch im 17./18. Jahrhundert dem Regelkreislauf einer Maschine verglichen. Der französische Aufklärer La Mettrie sprach von l’homme machine (1748); literarischen Ausdruck fand die Menschmaschine, der nur das seelenvolle Auge fehle, in E. T. A. Hoffmanns Menschenpuppe Coppelia. Eine der Spielereien derselben Zeit war der Versuch, Automaten-Tiere und -Menschen herzustellen. Schließlich wurden auch die bisher ausgesparten psychischen Gegebenheiten des Menschen in die Zerlegung mit einbezogen. Kennzeichnend sind die noch primitiven Versuche der französischen Enzyklopädisten, auch seelische Gefühle als Maschinenreaktionen zu deuten. Anspruchsvoller wurde diese Denkrichtung im 19. Jahrhundert, wo die Humanwissenschaften (Historie, Psychologie, Anthropologie, Sprachwissenschaften) bewusst das Konzept der Naturwissenschaften nachvollzogen, die Regelabhängigkeit alles menschlichen Verhaltens und die Handlungsschemata des Individuums darzulegen; seelische Zwänge, gesellschaftliche, historische, ökonomische, erziehungsmäßige Abhängigkeiten wurden unleugbar und zunächst unentrinnbar. Das Wissen, das mit dem Charakter der Erhellung und Beherrschung der Natur begonnen hatte, endete mit der ausweglosen Fixierung des Denkenden auf das Gewusste.

      Diese letzte Folge eines ursprünglich entdeckungsfreudig, ja im Namen der Freiheit vollzogenen Ansatzes kann zwar nicht einfach anklagend der mentalen Struktur zur Last gelegt werden; dennoch ist ihre geistige Weichenstellung deutlich auszumachen. Dass die damals verborgenen Rückseiten einer Denkhaltung mit der Technikkritik seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zum Vorschein kommen, weist auf die Notwendigkeit einer Überholung des einst Gewonnenen hin.

      Sofern der Logos die Welt des Mannes durchdringt und durchdringend klärt, wird alles Nicht-Logosbestimmte gerichtet und ausgeschlossen. In dieser Welt des Exklusiven rückt die Frau entschieden auf die Seite des zu Bändigenden, das unter den Schleier gehört, in dieses Dunkel, in dem sie ohnehin „zuhause“ ist, das aber in der Kleidung noch einmal betont wird mit dem Verbinden der Mundpartie, der Unsichtbarkeit ihres Körpers, der Alterslosigkeit unter den schwarzen Gewändern, dem Gesichtslosen. Deutlicher und dualistischer als zuvor gerät die Frau auf die Seite nicht nur des Verborgenen, sondern notwendig des Dienenden. Dies gilt kulturübergreifend auch für die „Achsenzeit“ in China; Konfuzius wird der Satz zugeschrieben: „Nur eine unwissende Frau ist tugendhaft.“58

      Wenn sie an der männlich geprägten Welt teilnimmt, dann zweitrangig, falls nötig maskulinisiert, wie die Bildungsgeschichte (oder Legende?) an den mönchisch oder männlich verkleideten mittelalterlichen Frauen zeigt. In einer Reihe von Kulturen, besonders der europäischen, gelangt die Frau auch zu einem gewissen Recht, ohne dass ihr dies jedoch ursprünglich, vielmehr nur abgeleitet zukommt.59 Der Geschlechter„kampf“ kann von mehrfachen Vollzügen her bestimmt sein: vom „Benutzen“ der Frau als Gebärerin, während sich Liebe im individuellen Sinn von Mann zu Mann aufbauen kann wie im antiken Griechenland; vom Einsetzen der Frau als Arbeitskraft oder auch als Mitgiftbringerin (bis zum heutigen Tag finden sich „Mitgiftmorde“ zum Zweck einer zweiten Heirat in Indien). Die starke Geschlechterspannung entwickelt freilich auch den personalen Bezug, etwa im Minnedienst, im Gedanken der Einzigkeit der Geliebten, sogar der unglücklich Geliebten. Und es gelingt auch, die Liebe als die eigentliche „Versöhnung“ des Kampfes zwischen den Geschlechtern zu erfassen, wie es Hegel in den Vorlesungen über Ästhetik II versucht. Dennoch, auch bei Hegel in der Rechtsphilosophie von 1821 (§§ 161 – 169) gilt als Regel die hierarchische Überordnung des Mannes über die Frau als das Gegebene; im Recht wird nur nachvollzogen, was die Natur ohnehin eingerichtet hat.60

      Diese (noch) vertraute Welt sei mit den wenigen Hinweisen nur angedeutet; gerade hier ist das Forschungsmaterial überreich und muss deswegen als Porträt einer Denkhaltung nicht gänzlich ausgezeichnet werden.

      Für den Gottesbezug des Menschen wird notwendig die Vatergestalt in ihrer befreienden Größe einsichtig und erfahrbar. Gerade, wo die Vaterwelt und das Gottesbild mit ihr neu befragt werden müssen, ist es wesentlich, sich auch den gedanklichen Durchbruch dieser Theologie deutlich vor Augen zu halten, sonst gelangt man in jene Unklarheit, die keine echte Lösung bringt, sondern ein Zurück. So ist zunächst hervorzuheben, dass sich der Vaterwelt, gestützt von Judentum und Christentum, Folgendes verdankt: Die vielen numinosen Mächte und Gewalten werden nun von einem Einzigen, dem Einzigen,