Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Frau - Männin - Menschin


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sondern auch der Person findet Ausdruck etwa in der Gestalt des Mose, der gegen das Volk ein Ich setzt in jenem heiligen Zorn, in dem die Gruppe nicht mehr gilt, nicht mehr das bisher gehabte Wir, nicht mehr das Kindhafte, das selber nicht unbedingt entscheiden muss, schon gar nicht entscheiden darf, sondern jenes innerste und tiefste Getroffensein von einem Anruf, für den der Einzelne einzustehen hat, wenn es sein muss bis zum Martyrium. Religionsgeschichtlich kennen nur Judentum und Christentum den Martyrer61, aus dem Grunde, weil die mythisch-religiöse Bindung ein Rücktauchen voraussetzt in das, was alle denken, alle glauben, während hier etwas anderes sein Recht fordert: die Unersetzlichkeit des eigenen Standpunktes, eingefordert vom lebendigen Gott. Es ist wohl nicht einfach eine menschliche Entdeckung, sondern eben tatsächlich Durchbruch der Offenbarung, dass Gott anders ist als die Welt – während in den mütterlichen Kulturen Erde, Sonne, Mond, die Elementarkräfte der Welt immer auch dämonisch-göttliche Mächte waren. Gott ist anders als diese Welt, nicht identisch mit der Erde, nicht identisch mit der Fruchtbarkeit, nicht identisch mit Sexualität: eine Grundaussage Israels gegen Kanaan. Ebenso tief greifend die Offenbarung, die auf diesem unerschütterlichen Element aufruht, dass Gott gut ist, licht, ewig, Einer – Formulierungen, die nicht einer früheren Zeit angehören, wo sich helldunkle, unentscheidbare Potenzen, wo sich religiöse Urangst und religiöses Opfernmüssen mischen, wo ein unbekanntes Dunkel befriedet werden muss.

      Gerade am Vater wird nun die entschiedene Eindeutigkeit des Guten offenkundig: „Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm“ (1 Joh 1,5) – während in der mythischen Polarität Licht und Finsternis in den Göttern (oder Gott und Teufel) sich die Waage halten. Auch die Zeit wird nun in ihrem Entscheidungscharakter erkannt; mit der Sprengung der antiken Kreisform wird das Empfinden der Wiederkehr des Gleichen und damit der Gleichgültigkeit des Geschehens aufgehoben. Geschichte wird unwiederholbar, weil fortschreitende Heilsgeschichte, wie im großen Entwurf des Augustinus in De civitate Dei; dies drückt sich in der Jahreszählung seit Christi Geburt aus. Damit setzt eine ungeheure Befreiung aus dem Ungegliedert-Richtungslosen des bloßen Nacheinanders der Jahre ein. (Demgegenüber ist übrigens das Kirchenjahr auf die gegenwärtige Erinnerung des Immergültigen gegründet.) So bringt die Vatergestalt Gottes das Bewusstsein von Endgültigkeit: nicht zuletzt vom unwiderruflichen Angenommensein im Guten, von der Durchsetzung des Rechtes und der Gerichtetheit, auch der Geistigkeit gegenüber dem Ungeordneten und Doppeldeutigen. Altes wie Neues Testament lassen sich daraufhin durchprüfen, wie verflochten die Bildlichkeit von Recht, Licht, Sonne, Gesetz und rechts sind; als auffälliges Beispiel dient Psalm 96: „Es freuen sich die Städte Judas deiner Urteile wegen, o Herr (. . .), ein Licht geht auf dem Gerechten und Freude den Rechtschaffenen im Herzen.“62 Und in der Apostelgeschichte spricht Paulus einen Pseudopropheten an: „Sohn des Teufels, Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, die rechten Wege des Herrn zu verdrehen? Nun ist die Hand des Herrn über dir, blind wirst du sein und die Sonne nicht sehen.“ (Apg 13,5 – 12)

      Paulus spricht von jenem „Vater“, der die „Söhne“ ein für allemal adoptiert hat (Gal 4,5). Er gebraucht damit das Bild des römischen Vaters, der sein Kind nach der Geburt vom Boden aufhebt, es betrachtet und „entscheidet“, ob es rechtlich gesehen das seine ist. Hat er das Kind einmal angenommen – und diese Entscheidung zu Ja und Nein ist möglich –, so bleibt der Entschluss unverbrüchlich. Paulus benutzt die römische Rechtssprache, um die geistige Entschiedenheit, die Nichtumkehrbarkeit dieses Vorgangs auszudrücken, womit der Vatergott die Söhne adoptiert. Damit setzt nicht einfach eine Unterdrückungsgeschichte der mütterlichen Seite in Gott ein, sondern auch ein Durchbrechen von Qualitäten. Denn wenn Gott unerschütterlich zum Menschen entschlossen ist, heißt das wohl, dass auch der Mensch ihn immer ansprechen kann, ohne Angstschrei, ohne Opferzwang. Es ist jene Form des Gegenübertretens in Freiheit, das Nicht-mehr-Ausgeliefertsein, von dem Kierkegaard scharf beobachtend sagte, seit Jesus Christus seien die Menschen „frech“ geworden. In der Tat ist diese „Frechheit“ im Gegenentwurf gegen das Heidentum mitgegeben; denn wo die Treue Gottes so unverbrüchlich wird, wird selbst die Hölle zum Ort menschlicher Willensrichtung, nicht mehr aber – wie in der griechisch-römischen Antike – zu einem aufgezwungenen, unentrinnbaren Ort der schattenhaft Toten. Nochmals Paulus in einem von Grund auf klärenden Text: „Denn der Sohn Gottes (. . .) war nicht Nein und Ja, sondern in ihm war das Ja. Denn alle Verheißungen Gottes finden durch ihn das Ja.“ (2 Kor 1,19 f.)

      Auf der Seite des menschlichen Selbstverständnisses antwortet dieser Versicherung das starke Ichgefühl des Einzelnen als eines Einmaligen, woraus sich der Gedanke der Person als des einzigartig Angerufenen entfaltet. Es gibt keine spätantiken Schriften, die derartig vom Gedanken der Freiheit und Unersetzlichkeit jedes einzelnen Menschen getragen sind wie die Paulus-Briefe. Hier sind auch die Kirchenväter mit der Weckung dieses Bewusstseins gegen die magisch-mythischen Kräfte anzusiedeln, ebenso die Rechtsgestalt der Kirche und ihre dogmatische (auf definitive Klarheit und Allgemeingültigkeit bedachte) Lehrstruktur. Was heute als Belastung und Einseitigkeit seines ausschließenden Charakters wegen empfunden werden könnte, ist in seinen geschichtlichen Ursprüngen eher eine Atem verleihende Eindeutigkeit des endlich gefundenen Begriffs und Inhalts der Wahrheit.

      Hier setzt auch ein, dass die Frau in diese Personalität einbezogen ist: „Nicht Jude, nicht Heide, nicht Sklave, nicht Freier, nicht Mann, nicht Frau – ihr alle seid Einer in Christus.“ (Gal 3,28) Dieser ungeheure Satz kennt keine Parallele in der Literatur der Zeit. Die Frau wird in ihrer Personalität, d. h. in der Form des Geistigen und Verantwortlichen, präsent.63 Dennoch blieb der geschichtliche Träger des Geistigen, jenes Geschlecht, das gleichsam Klarheit, Gutheit, Wissen, Ordnung (auch in der Kirche) repräsentiert, überwiegend der Mann.

      Dass in der Ausfaltung dieser Gedanken die mütterlichen Bilder Gottes in der Bibel nicht nur in der bildenden Kunst, sondern mehr noch im religiösen Bewusstsein weithin verschwanden64, ja dass bereits in der Redaktion der biblischen Texte solche Bilder entschärft wurden, ist ein Vorgang, der vor dem Hintergrund der Vaterkultur insgesamt gesehen werden muss. Noch einmal: Diese Einseitigkeit hat einer wünschenswerten Eindeutigkeit gegenüber den Polytheismen und ihrer mythischen Vieldeutigkeit gedient, ist aber darüber hinaus neu anzufragen.

      5. Das Gewinnen der Zukunft. Die noch unbenannte Struktur

      Die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts abzeichnende „Nachneuzeit“ scheint auf eine Überwindung der Neuzeit hinzuweisen, sofern diese in eine sinn-lose Rationalität verflacht ist. Wie es sich anfänglich in der Kunst (im Wort wie im Bild) ausdrückt, kann es als ein Merkmal der beginnenden Neuzeit gelten, Freiheit von der perspektivischen Fixierung an den Raum, also an die „Richtung“ zu gewinnen. In der Nachneuzeit äußert sich bildende Kunst weithin in der überhaupt verlassenen Perspektive, in Aufhebung der einseitigen Ansicht und des fixierenden Auges.65 Stichworte wie „Raum- und Dingzertrümmerung“, durchaus ungriechisch, weisen auf die irritierende, auch zerstörerisch wirkende Freisetzung von der bisherigen geordneten Räumlichkeit hin.

      Die vielfältigen Entwicklungen, die hier anzuführen wären, sind durchaus noch nicht in einer adäquaten Weise zu ordnen; gerade die Deutungsversuche seit dem New Age zeigen vielmehr die Widersprüchlichkeit und Unschärfe einer Deutung, die die Phänomene nicht mehr rational kategorisieren will, aber kaum in Ansätzen überzeugend entwickelt ist. Bezeichnend ist am ehesten das Hochkommen, sogar der Rückfall in bereits überholt geglaubte Strukturen, wie es sich in der blühenden Esoterik zeigt; ein solches Hochkommen insbesondere magischer und mythischer Zusammenhänge ist aber kein sinnvolles Überholen unzureichend gewordener Lösungen.

      In diesem knappen Versuch sei daher nur auf die deutlicher fassbare Neuordnung der Geschlechterfrage eingegangen. Hier ist eine grundlegende Entdeckung zu kennzeichnen: C. G. Jung hatte in den 1930er-Jahren tiefenpsychologisch die Theorie des gegengeschlechtlichen Anteils in der Seele (anima/animus) erarbeitet. Bei allen kritischen Einwänden gegen diese Theorie: Damit ist insofern der Grundzug einer neuen Anthropologie gewonnen, als es um das Freiwerden des Menschen in Mann und Frau geht. Überhaupt ist mit der Freilegung der Psyche im 20. Jahrhundert der Schritt zur Ergänzung einer bloß einseitig rationalen Männlichkeit als Prototyp des Menschlichen getan. Sigmund Freud hatte mit der unausgewogenen Geschlechterzuordnung den unheilvollen Zug der Neuzeit seit der