Element einer über Jahre hinweg entstanden Installation im restaurierten und zum Gastraum der Kulturkneipe roccafé umgestalteten Maschinenraum einer alten Fabrik im Ortskern der nur wenige Kilometer nördlich von Freiburg im Breisgau gelegen Gemeinde Denzlingen.
Die Gläser der Holzschaukästchen zeigen lodernde Flammenzungen. Wer die Säule umrundet und mit Blicken die Schaukästchen vom Sockel Richtung Kapitell abwandert, kann erkennen, dass ihre Flammenzungen jeweils einen Buchstaben formen. Als wären es auch Münder schreien sie gemeinsam den Namen G i o r d a n o. Gemeint ist Giordano Bruno, Philosoph der Renaissance, unstrittig einer der Könige des freien Denkens und das nicht nur, weil er für seine Lehren den Flammentod sterben musste. Die Giordano Bruno-Säule will an ihn und mit ihm an die vielen Freidenker und Freidenkerinnen vor und nach ihm erinnern.
Der nachfolgenden Text ist der Versuch, den vielen Nachfragen zur Giordano Bruno-Säule, zum Leben und Wirken ihres Namengebers und auch zur Bedeutung des Bruno-Zitates1
, das die Säule dem Betrachter achtfach präsentiert, mit einer verständlichen Einführung in sein Denken zu antworten und zu zeigen, wohin Bruno von den freien Schwingen seines Denkens getragen wurde: einerseits zu einem für die damalige Zeit revolutionären und noch heute von der Kirche bekämpften Gottes- bzw. Naturverständnis und andererseits zu einem Menschenbild, das sehr modern ist, nicht nur weil es zeigt, wie man sich das Eingebettet-Sein des Menschen in Brunos Gottes- bzw. Naturverständnis vorzustellen hat, sondern weil es auch nach dem Selbstverständnis fragt, das sich aus diesem Eingebettet-Sein heraus entwickelt, also danach fragt, wie es für den Menschen ist, wie es sich anfühlt, Teil des Ganzen von Gott und Natur zu sein. Bruno wird deutlich machen: Im Vollzug menschlicher Existenz transformiert sich die unbewusste Dynamik seines kosmo-ontologischen Gottes- und Naturverständnisses zur erlebten Dynamik konkret gelebten Lebens. Der Mensch hat keine Wahl, er muss die kosmo-ontologischen Verhältnisse, in die er ganz und gar hineingehört und deren bewusstseinsfähiger Spiegel er ist, in leidenschaftlich brennender Vergeblichkeit durchleben.
Brunos Philosophie von Gott und Natur übergipfelt vormalige Gottes- und Naturphilosophien, ist ihnen aber in Anwendung der überkommenen aristotelisch-scholastischen Methodik verpflichtet. Gleichzeitig aber schlägt sein Denken eine moderne Richtung ein und eröffnet den Denkraum, mit dem und in dem philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie entstehen konnten.2
Bruno gelingt es zu beschreiben, wie sich die Strukturen der einzigen und alles umfassenden Wirklichkeit im menschlichen Leben „verexistenzialisieren“, d.h. zu etwas werden, was uns nicht egal sein kann, weil es Leid und Freud unseres Lebens ausmacht.
Die vorliegende Einführung lässt vieles beiseite, was sich zu Brunos Denken noch sagen ließe, konzentriert sich auf die Darstellung zentraler Positionen seiner Naturphilosophie und Anthropologie und auf den Aufweis ihrer Modernität. Die erste Absicht setzt voraus, dass aufgezeigt wird, vor welchem wissenschafts- und methodengeschichtlichen Hintergrund Brunos eigene Philosophie entstehen und Kontur annehmen konnte, die zweite Absicht verlangt Ausblicke auf neuere philosophische, psychologische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Biographische Episoden, Anmerkungen zum Inquisitionsprozess, der gegen Bruno geführt wurde, und ausführlichere Einlassungen zur Rezeptionsgeschichte werden den naturphilosophischen und anthropologischen Themenschwerpunkten an die Seite gestellt und komplettieren diese Einführung. Sie wurde verfasst, um die Kühnheit seiner Philosophie und die Faszination, die noch heute von seinem Denken ausgeht, auch für Nicht-Philosophen greifbar werden zu lassen.
1. Wiedergeburt der Philosophie im Denken Giordano Brunos
Was meinen wir, wenn wir vom Menschen in der Epoche sprechen, vom griechischen Menschen oder vom Menschen der Neuzeit? Wir anerkennen, dass es kulturellen Wandel gibt und dass dieser sich im Denken und Wirken der Menschen auf lebendige und individuelle Weise spiegelt. Giordano Bruno war ein Mensch der Renaissance. Als „lebendiger Spiegel“ dieser bewegten Zeit wurde er zerbrochen, am 17. Februar 1600 auf dem Platz der Blumen (Campo de` Fiori), in Rom. Ob er auch gebrochen war, als er nackt, wie es heißt, und auf der Grundlage einer Verurteilung als Ketzer durch das Heilige Offizium „an einen Pfahl gebunden und bei lebendigem Leib verbrannt wurde“3, lässt sich wohl nicht mehr in Erfahrung bringen.
Nun sind alle Menschen Kinder und damit lebendige Spiegel ihrer Zeit. Manche aber gibt es, auf die zeigt man noch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten, weil sie sichtbar geblieben sind durch ihre Werke und Taten und weil das, was noch heute von ihrem Schaffen kündet, den Anschein vermittelt, als hätten sie das Charakteristische ihrer Zeit nahezu idealtypisch verkörpert, weil ihr Leben und Wirken die typischen Konflikte ihrer Zeit besonders deutlich hervortreten ließen, weil sie vor den großen Herausforderungen ihrer Zeit bravourös bestanden oder tragisch daran scheiterten. In der Rückschau werden sie so zu Vorzeigefällen, zu Exempla, zu Fall- und Lehrbeispielen für das Besondere ihrer Zeit, sei es im Guten wie im Schlechten, im Hohen wie im Gemeinen, in Siegen oder in Niederlagen. Bruno ist ein solches Exemplum. Das erschließt sich aus den Quellen, die uns vorliegen, etwa aus den Akten und Berichten zu den Inquisitionsprozessen, die in Venedig und Rom gegen ihn geführt wurden, aber auch aus seinen Schriften, die neben seinen wissenschaftlich-philosophischen Lehren vielzählige Hinweise enthalten auf die Lebensumstände, denen er sich stellen musste. So tritt uns aus den Quellen ein Gelehrter entgegen, der eine der wichtigsten Kennzeichnungen des Renaissancezeitalters auf eigenwillige, individuelle Weise durchlebte, durchlitt und mit seinem Denken exemplarisch vorführte: Die Befreiung der Philosophie aus einer jahrhundertelang währenden Indienstnahme durch die Theologie.
1.1. Die Schlacht um die Gedankenfreiheit auf dem „Kampfplatz“ der Metaphysik
Mit und als Philosophie hat abendländische Wissenschaft begonnen. Wissenschaft meint hier nicht schon moderne Naturwissenschaft, Wissenschaft ist viel älter und umfassender. Wissenschaft lässt nur eine bestimmte Art von Aussagen als wissenschaftliches Wissen, als wissenschaftlich wahre Aussagen über die Wirklichkeit und ihre Teilbereiche gelten, nämlich solche, die nicht mehr in esoterischen Zirkeln und mit Hilfe des „mystisch-magischen“4 Erkenntnisweges gewonnen wurden, sondern öffentlich und unter Einsatz der Vernunft. Wissenschaftliches Wissen liegt nicht mehr bildhaft erzählerisch vor, sondern streng begrifflich, es liegt auch nicht mehr zusammenhangslos nebeneinander, sondern Wissenschaft versucht die Aussagen, die sie für wahr hält, aufeinander zu beziehen und zu einem Systemganzen zu verknüpfen.
Das Menschheitsprojekt Wissenschaft konnte starten, als Philosophie begann, als der Zweifel an den mythischen Welt- bzw. Wirklichkeitserklärungen wuchs, als mit dem Zweifel zugleich das Ideal der Wahrheit, bzw. der Wahrheitssuche erwachte und als man sich einig wurde, dass die menschliche Vernunft, das also, was die Griechen den „logos“ nannten, zum Einsatz kommen müsse, um mit der Wahrheitssuche ans Ziel kommen zu können. Erkenntnis, wenn sie Wahrheit beanspruchen wollte, durfte nicht länger naiv den Göttergeschichten der Priester, Magier und Wahrsager entnommen werden, sondern musste begründet werden, mithilfe von Argumenten und Schlussfolgerungen und idealerweise auch in der Auseinandersetzung mit den Aussagen und Argumenten anderer Wahrheitssucher. Philosophie bzw. die philosophische Wissenschaft ist Vernunftwissenschaft, sie hat „den Anspruch, dass alle ihre Aussagen vernünftig sind, dass also jedes Vernunftvermögen (jeder Mensch) einsehen müsste, dass und warum diese Aussagen Stringenz beanspruchen“.5
Nun gibt es eine Besonderheit mit der menschlichen Vernunft, eine Problematik, so könnte man auch sagen, auf die Kant hingewiesen hat: Sie hat nämlich „das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft“6. Wir können diesen plagenden Fragen nicht ausweichen, doch eine Chance, sie objektiv gültig zu beantworten, gibt es auch nicht. Dennoch wäre es falsch und zudem unmenschlich, sie nicht zu stellen. Die Fragen, von denen Kant spricht und die – wie er sagt – zu „endlosen Streitigkeiten“ unter den Menschen führen, sind metaphysische Fragen.
Metaphysik ist Philosophie