Klaus Scherzinger

Giordano Bruno - Märtyrer der Gedankenfreiheit


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Kirchenvätern in der Ausgabe des Erasmus von Rotterdam“.32

      Geistesgeschichtlich war die Renaissance ein Sammelbecken der unterschiedlichsten Ideen, alter wie neuer, dazu kam der mit Macht entbrannte innerkirchliche Kampf zwischen Reformation und Gegenreformation. Wer sich so vorbehaltslos, wie Bruno das offensichtlich tat, der Führung durch seinen eigenen Intellekt anvertraute und sich deshalb nur schwer auf ideologische Linie – welche auch immer – bringen ließ, konnte es sich leicht mit allen verderben und irgendwie ist auch genau das geschehen.

      Wohl in der Absicht den Querelen in Neapel zu entgehen und sich zu rehabilitieren, reist er nach Rom, dem Hauptsitz des Dominikaner Ordens. Dort jedoch kommt es zum Austritt aus dem Orden und damit zum Beginn seines rastlosen Wanderlebens, das erst durch die Einkerkerung in Venedig ein Ende finden wird. Dazwischen wird er Station machen in vielen Universitätsstädten westlich und nördlich der Alpen, um zu lehren und damit seinen Lebensunterhalt zu sichern. Die Umstände, die er vorfinden wir, sind sich oft ähnlich. Sein Auftreten und die Gedanken, die er in Vorlesungen und Schriften äußert, provozieren Anfeindungen und Drohungen. So etwa in Genf, wo er 1579 eintrifft, zum Calvinismus übertritt, sich in die Universität einschreibt und eine Streitschrift vorlegt, die einen Prozess im Konsistorium, dem für die Überwachung des Lebenswandels zuständigen Gremium der Genfer Kirchenordnung, nach sich zieht. Manchmal sind es aber auch äußere Umstände, die ihn forttreiben, 1581 etwa in Toulouse. Dort gerät er in die Wirren der Hugenottenkriege und zieht weiter nach Paris. Nur selten bleibt er länger in einer Stadt. In London und Wittenberg sind es jeweils fast zwei Jahre. Rar bleiben Zeiten, in denen er unbelastet durch wirtschaftliche Nöte und konfessionell motivierte Streitereien lehren und schreiben kann.

      Vor dem Aufkommen des Massenmediums Buch wären freie und frei sich Gehör verschaffende Gelehrte vom Schlage Brunos gar nicht möglich gewesen. In der literalen Manuskriptkultur des Mittelalters war die Wissensproduktion, -sammlung, -speicherung, -verbreitung und -rezeption an die Skriptorien und an die Klöster, also insgesamt an einen von der Theologie beherrschten Wissenschaftsbetrieb gebunden, der nur wenige Eingeübte umfasste. Die mediale, von Gutenbergs Erfindung eingeleitete Revolution brach den engen Kreis mittelalterlicher Wissensproduktion und -zirkulation auf. Der Eintritt in die „Gutenberg-Galaxis“ (ein Begriff des Medientheoretikers Marshall McLuhan) in eine vom Leitmedium Buch geprägte Gesellschaft erschuf dem Denken bzw. der Wissensvermittlung ein neues, bürgerlich-städtisches Publikum, eine Öffentlichkeit, die es vorher gar nicht gab, auch deshalb nicht gab, weil niemand lesen konnte. Diese Öffentlichkeit wollte mitdenken, mitgestalten, wollte frei und auf der Grundlage von volkssprachlichen und nicht mehr nur lateinischen Texten diskutieren, was zuvor ausschließlich in esoterischen Zirkeln scholastischer Theologie besprochen werden durfte, und diese Öffentlichkeit hatte ihre ganz eigenen, neuen, weltlichen, humanistischen Themen und suchte nach Formen des Kulturschaffens, um sich diese Themen vor Augen stellen und bearbeiten zu können. Die Kirche fürchtete zurecht, dass der Prozess der Entstehung einer neuen städtischen Bürgerschicht und ihrer Öffnung und Hinwendung zur Kultur und zur Wissenschaft die Fundamente ihrer eigenen Macht und die mittelalterliche Gesellschaftsordnung insgesamt zersetzen würde.

      Zeichen dieser Öffnung und Hinwendung ist nicht nur die enorme Zunahme der Literaturproduktion, z.B. der volksprachlichen religiösen Literatur, sondern auch das Erblühen von Literaturgattungen, die das christliche Mittelalter nicht kannte oder marginalisierte. Verfasst wurden jetzt nicht mehr nur wie vordem vor allem wissenschaftliche Texte, sondern auch Texte, die ihre Botschaften für den ästhetischen Genuss aufbereiteten, d.h. poetische Texte auch Satiren sowie Texte für die Bühne, Dichtung und Theater hatten Konjunktur.

      Bruno hat diesen Prozess der Ausdehnung der Kultur-, Kreativ- und Wissensproduktion auf eine neu entstehende Gesellschaftssicht, eine Ausdehnung, die auch die Inhalte und Ausdrucksformen dieser Produktion verwandelten, aktiv und notgedrungen mitgetragen. Er wollte gehört werden, konnte die Kanäle kirchlicher Wissensdistribution aber nicht mehr für sich nutzen und ist zum Verräter am Kultur- und Wissensmonopol der Kirche geworden. Die Kirche, das wurde ihr alsbald bewusst, hatte eine Schlange am Busen ihrer Ausbildungs- und Lehrinstitute genährt. Weil Bruno dem mächtigsten Sprachrohr der Zeit, der Kirche, den Rücken gekehrt hatte, war er auf Mäzenatentum und auch darauf angewiesen, die Möglichkeiten neuer literarischer Ausdrucksformen für die Publikation seiner Ideen zu nutzen. Zu Hilfe kam ihm sein sprachliches und literarisches Talent. Die Wurzeln der großen Bandbreite seiner Ausdrucksfähigkeit – er konnte wissenschaftliche ebenso wie lyrische oder komödiantische Texte verfassen – reichen zurück in die Zeit des Beginns seiner Ausbildung. Sie machte ihn mit Methode und Gestalt des auch im 16. Jahrhundert noch immer mittelalterlich geprägten Wissenschaftsbetriebs vertraut. Bruno übte sich ein, wissenschaftliche, d.h. der innerwissenschaftlichen Wissensvermittlung- und Wissensgenerierung dienende Textarten zu lesen, zu diskutieren und selbst zu verfertigen. Doch auch das, was sich hinter dem Tellerrand des scholastischen Wissenschaftsbetriebes verbarg, das vielseitige kulturelle Leben und die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit, sind ihm nicht fremd geblieben. Das hat viel mit seiner eigenen Neugierde und seiner intellektuellen Verwegenheit zu tun. Mehr als andere hat er die Nähe zur Welt des aufstrebenden und nach eigenen kulturellen Ausdrucksformen strebenden Bürgertums gesucht. Schon während der Studienzeit reichte seine Wissbegierde und das damit verbundene Leseinteresse weit über den für Kirchenkarrieren vorgesehen Bildungskanon hinaus.

      Paul Richard Blum schreibt: „In jenen frühen Studienjahren dürfte Bruno sich auch seinen enormen Fundus an philosophischen und literarischen Quellenkenntnissen angelesen haben. Er kennt und zitiert die atomistische Naturphilosophie des Lukrez, die Schriften Platons und der Platoniker in der Übersetzung des Marsilio Ficino. Er kennt dessen Schriften und die anderen Renaissancephilosophen, vor allem Nikolaus Cusanus, ferner klassische lateinische Autoren wie Ovid, Horaz und Vergil, aber auch italienische Dichter wie Lodovico Ariosto oder seinen Landsmann Luigi Tansillo, dessen Dichtungen er häufig in seinen italienischen Dialogen zitiert. Wenn der junge Student sich damals in Neapel frei bewegen konnte, hatte er auch vielleicht Gelegenheit zu Kontakten mit Valdesianern, die sich auf den Humanisten Erasmus von Rotterdam beriefen und antitrinitarischen Lehren zugeneigt waren.“33 Man fühlt sich, wenn man Blums Schilderung liest, unweigerlich an Berichte über Schellings Zeit im Tübinger Stift erinnert. Umstürzlerische, verbotene Ideen konnten einsickern in die Welt der württembergischen Kaderschmiede protestantischer Theologie und unter dem Einfluss heimlicher Rousseau- und Kantlektüre nahm Schellings intellektuelle Entwicklung eine Richtung, die die vorgesehen Karriere zum protestantischen Geistlichen verunmöglichte. Bei Bruno könnte es ähnlich gewesen sein. Die Entfremdung von der Kirche, zu deren Diener er ausgebildet werden sollte, muss schon früh begonnen haben. Sein neugieriger Geist konnte die Augen nicht verschließen vor einer Welt im Umbruch, eine Welt, die sich mit dem Theater seine eigenen Tempel schuf und die Dichter und Denker hervorbrachte, die sich weltlichen und menschlichen Themen öffneten. Das alles muss er aufgesogen haben, mit dem jugendlichen Hunger für das Verbotene und soweit es die kirchliche Institution, der er angehörte, nicht zu verhindern wusste.

      Zum Weltinteresse gesellte sich seine Lust am Fabulieren und an der Poesie. Es sind Schriften wie die HL-Schrift, die davon künden. Es gefiel ihm, philosophische Einsichten auch auf ungewöhnliche, nicht-wissenschaftliche, weil vom Wissenschaftsbetrieb nicht dafür vorgesehene Weise zu vermitteln. „Als Dichter und Philosoph gleichermaßen begabt, tritt Bruno daher nicht nur als Verfasser von Komödien in Erscheinung, sondern fasst auch seine naturphilosophische Thematik als Material poetischer Gestaltung auf. In der Folge hiervon werden die Leserinnen und Leser mit der erstaunlichen Tatsache konfrontiert, dass so ‚prosaische‘ Gegenstände wie Kosmologie, Physik oder Mathematik in der ungewohnten Einkleidung polemisch burlesker Dialoge oder pathetisch aufgeladener Lehrgedichte begegnen können. Der damit erzielte ästhetische Effekt der brunianischen Philosophie stellt freilich – um einem nahe liegenden Missverständnis vorzubeugen – die logische Stringenz der Gedankenführung keineswegs in Frage.“34

      Doch nicht immer ist sie leicht zu entdecken, die strenge Beweiskraft seiner Gedankenführung. Immer wieder, fast schon zwanghaft und mit offensichtlicher Freude am Polemisieren schweift er ab, um überkommene