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Prüfstein der Theorie und deshalb die Überprüfbarkeit zum entscheidenden Wahrheitskriterium. Die dadurch notwendig gewordene Überprüfungspflicht hat einen folgenreichen Doppeleffekt: Eine gelungenes Überprüfungsverfahren lässt das, was zuvor nur eine auf der Basis von empirischen Daten erstellte Hypothese war, zu einer belegten Theorie mutieren und ist zugleich auch schon der erste Schritt zur technischen Verwertbarkeit dieser Theorie. Der „äußere Aspekt“, d.h. der praktisch-physikalische Aspekt der Überprüfungshandlung – so drückt es der Wissenschaftsphilosoph Paul Hoyningen-Huene aus – kann eben meistens auch „mit anderem Handlungsziel“ als dem der Hypothesenprüfung durchgeführt werden.25

      Bruno kannte und diskutierte die Einsichten jener seiner Wissenschaftskollegen, die wir heute als Begründer der modernen Naturwissenschaft verehren. Wie erfolgreich dieser neue Weg der Wissenschaft war, sollte sich alsbald zeigen. Naturerscheinungen ließen sich besser prognostizieren und manipulieren, viele Erscheinungen entdeckte man allererst, weil man neue Instrumente zur präziseren Beobachtung zum Einsatz brachte. Ein schönes Beispiel dafür ist Galileis Entdeckung der Jupitermonde mit Hilfe eines Teleskops. Sie gelang ihm im Jahre 1609, da war Bruno schon neun Jahre tot und sie leistete einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Anerkennung der Lehre des Kopernikus, die seinerzeit noch sehr umstritten war.

      Die Erfolgsgeschichte der damals noch in den Kinderschuhen steckenden Naturwissenschaft lässt sich als eine Art von Beschränkung begreifen. Moderne Naturwissenschaft beschränkt sich mit ihren Fragen auf Teilbereiche der Erfahrungswirklichkeit, sie klammert Fragen nach dem Ganzen der Erfahrungswirklichkeit aus, sie erklärt „Empirisches durch Empirisches“26 und kümmert sich nicht um die Suche nach letztgültigen und letztbegründenden Antworten. Carl Friedrich von Weizsäcker hat es einmal so ausgedrückt: „Philosophie stellt diejenigen Fragen, die nicht gestellt zu haben die Erfolgsbedingungen des wissenschaftlichen Verfahrens war. Damit ist also behauptet, dass die Wissenschaft ihren Erfolg unter anderem dem Verzicht auf das Stellen bestimmter gewisser Fragen verdankt.“27

      Die Wiedergeburt der Philosophie fällt nicht nur mit den Anfängen der modernen Naturwissenschaft zusammen, sondern auch mit den Anfängen neuer philosophischer Disziplinen, für die metaphysische Fragen in den Hintergrund rücken, weil sie sich mit dem Menschen, seiner Lebenssituation und seinen Existenzbedingungen befassen wollen. Die Philosophie wird humanistisch, entdeckt das Subjekt und verschiedene Hinsichten auf das Subjekt.

      Auch Brunos Denken bezeugt dieses neue Interesse am Menschen: Während die UPE-Schrift noch eine naturphilosophisch-metaphysische Schrift ist, ist die ein Jahr später erschienene HL-Schrift von ganz anderem Charakter. Die UPE-Schrift bezeugt, welche Gestalt ein metaphysisches Weltbild annehmen kann, wenn das Denken keine Rücksicht auf theologische Dogmen nehmen will, die HL-Schrift dagegen wendet sich der Lebenssituation des nach Glück und Wahrheit strebenden Menschen zu. Mit ihr beginnt etwas durchaus Neues in der Philosophie: die philosophische Frage danach, was es bedeutet, Mensch zu sein. Gemeint ist die Frage nach der Konstitution unseres Weltverhältnisses, nach der „typischen Seinsgestalt, der inneren Struktur und Dynamik“28 dieses Verhältnisses, aber auch nach dem typischen Seinsgefühl, das mit ihm verbunden ist.

      Es geht der HL-Schrift also nicht bloß um eine formale Bestimmung des Wesens des Menschen, wie sie von der Metaphysik ja auch geleistet wird, etwa durch die aristotelische Metaphysik, die den Menschen als „animal rationale“ als vernunftbegabtes Lebewesen fasst, vielmehr zielt sie mit ihrem Erkenntnisinteresse auf das Herz des Menschen. Sie beschreibt und will verstehen, wie es für uns Menschen ist und zuweilen sein kann, unser wie auch immer bestimmtes Wesen sein und erleben und durchleben zu müssen. Das Thema der HL-Schrift ist also eher ethisch, anthropologisch, lebensphilosophisch und existenzialistisch, denn metaphysisch zu nennen, auch wenn es sich – aufs Ganze der brunianischen Philosophie gesehen – einfügen lässt in seine Metaphysik, bzw. mit seiner Metaphysik zusammen ein faszinierendes Ganzes bildet.

      Eine Kirchenkarriere stand Bruno offen, wie sie hätte aussehen können, zeigt ein interessanter Vergleich des Sprachwissenschaftlers Wolfgang Wildgen zwischen den Lebensläufen von Bruno und dem im Jahre 1930 heiliggesprochenen Jesuiten und Kardinal Robert Bellarmin, der als Großinquisitor den Häresieprozess gegen Bruno leitete und ihn ins Feuer schickte. Bellarmin kam aus der Toskana und war nur wenige Jahre älter als Bruno. Wie Bruno genoss auch er eine „klösterliche Elite-Erziehung“ und war mit erheblichem intellektuellem Talent gesegnet. Was die beiden unterschied und über Wohl und Weh ihres Verhältnisses zur Kirche entschieden hat, drückt Wildgen so aus: „Bellarmin und Bruno können zeitlos für zwei Typen von Wissenschaftlern oder Intellektuellen stehen, für einen Scheideweg … zwischen zwei Arten des intellektuellen Engagements.“29 Brunos Wahrheitssuche war rücksichtslos gegen die längst schon ausgehandelten Wahrheiten einer Kirche, die Bellarmin Rückhalt und Sicherheit gewährte, weil er seine Geisteskraft nutzte, sie zu verteidigen. Bruno wagte es, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue zu suchen, Bellarmin wollte ausgetretene Pfade sichern, sie noch breiter und prächtiger ausbauen.

      Die Befreiung des Denkens, von der Brunos Philosophie Zeugnis ablegt, ist, aufs Ganze des 16. Jahrhunderts gesehen, ein Prozess, der nur von einer kleinen Gruppe gebildeter, Wissenschaft treibender Menschen in Gang gebracht und in Gang gehalten wurde und doch war er stark genug, Grundstürzendes auf den Weg zu bringen und unser Bild der Zeit zu prägen. Dabei sollte uns bewusst bleiben, was nicht nur für kulturgeschichtliche sondern auch für individualgeschichtliche Entwicklungen gilt: Der Aufbruch zu Neuem ist immer auch eine Ablösung vom Alten und Ablösungen – wenn sie überhaupt gelingen – gestalten sich oft zäh und langwierig. Das Alte bleibt noch lange stark, auch weil es das Gewohnte und Eingeübte ist und Sicherheit und Halt verspricht. Unser Blick in die Geschichte, so diagnostiziert es der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga, neigt dazu, die zurückliegenden Verhältnisse zu verzerren: „Wir sind so empfindlich für die Verwandtschaft, die wir in der Vergangenheit entdecken mit demjenigen, was später voll aufgeblüht ist, und an dem auch wir teil haben, dass wir fast immer die erst knospenden Elemente einer Kultur überschätzen. Die Quellen selbst müssen uns immer wieder korrigieren, indem sie uns die Zeit viel primitiver zeigen, viel schwerer beladen mit der Aufstapelung des Alten, als wir erwarten.“30 Der Tod, den Bruno gezwungen wurde zu sterben, zeigt auf traurige und grausame Weise, wie mächtig das Alte in der Zeit des Aufbruchs zu Neuem noch war. Dass es im Falle Brunos soweit kommen musste, ist dennoch nicht allein seinen radikal neuen, vor allem das Verhältnis von Gott und Natur betreffenden Einsichten geschuldet. Sein Denken vollzog sich nicht im Stillen und nahm wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten seiner Zeit. Er wollte sagen, was er dachte, wollte disputieren, suchte die Öffentlichkeit und hat sich dadurch immer wieder in Gefahr gebracht, konnte nirgends lange bleiben, musste fliehen vor denen, die nicht gelten lassen wollten, was er sagte und schrieb, solange bis es keine Fluchtmöglichkeit mehr gab, weil er eingekerkert wurde, zunächst im Jahre 1592 in Venedig, im Gefängnis des Dogenpalastes, dann, nach seiner Überführung nach Rom, für sieben Jahre, von 1593 bis zur Urteilsverkündung am 8. Februar 1600 im Keller des Gebäudes des Heiligen Offiziums und schließlich, nachdem er dem „weltlichen Arm“, d.h. dem Präfekten von Rom zur Urteilsvollstreckung übergeben wurde, für die letzten Tage bis zur Hinrichtung, im Stadtgefängnis im „Tor di Nona“, einem kleinen Viertel am der Engelsburg gegenüberliegenden Tiberufer.

      Dabei begann alles so vielversprechend: Bruno wurde im Jahre 1548 im Königreich Neapel, unweit von Neapel, im Ort Nola geboren. In Neapel studierte er Logik sowie die humanistischen Fächer Grammatik, Rhetorik und Poetik und tritt siebzehnjährig in das dortige Dominikanerkloster San Maggiore ein. Viele Jahre des Ordensstudiums folgen. Im Jahre 1573 wurde er zum Priester geweiht und im Jahre 1575 schloss er sein Theologiestudium „mit einer Verteidigung der Summa contra gentiles des Thomas von Aquin und der Sentenzen des Petrus Lombardus“31 ab. Diese kurze Aufzählung der Stadien seiner frühen Laufbahn verbirgt, dass es schon damals erhebliche Unruhe um seine Person gab. Achtzehnjährig ist er auffällig geworden, weil er den Marien- und Heiligenkult ablehnte