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Rede ist, dann ist das nicht nur historisch gemeint, weil schon die platonische und die aristotelische Philosophie in weiten Teilen Metaphysik war, sondern es meint auch, dass Metaphysik mit ihren Fragen in Bereiche vorzudringen versucht, von woher sich alles Erfahrbare letztgültig und letztbegründend verstehen lässt. Metaphysik – so hat es Martin Heidegger einmal formuliert – stellt die Grundfrage: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“8 Sie ist Philosophie, die nach „den letzten, den nicht-empirischen Gründen“9, Wurzeln und Voraussetzungen alles Empirischen fragt. So gesehen ist sie philosophische Universal- und Fundamentalwissenschaft.

      Der Metaphysikbegriff ist nicht so alt, wie die Sache, die er bezeichnet. Einer oft vertretenen Auffassung nach haben Peripatetiker des ersten vorchristlichen Jahrhunderts den Titel „Metaphysik“ (von griech. meta ta physika, „nach, bzw. hinter dem Physischen“) ausgewählt, um damit jene aristotelischen Schriften zu bezeichnen, mit denen Aristoteles die philosophische Grundwissenschaft erstmals systematisch und für die nachfolgende Philosophiegeschichte Beispiel gebend ausgearbeitet hatte und die man seinen Schriften zur Philosophie der Naturdinge (im Regal) nachfolgen ließ, weil Aristoteles darin „das für uns erst nach den konkreten Naturdingen Erkennbare, diesen Zugrundeliegende und somit an sich erste behandelte.“10 Weil sie das „Zugrundeliegende“ und das „an sich erste“ thematisiert, hat man die Metaphysik auch „Erste Philosophie“ genannt. Ab der Spätantike und im Mittelalter ist dann der Schriftentitel „Metaphysik“ zum Titel der entsprechenden Disziplin überhaupt geworden.

      Die Auseinandersetzung mit Brunos Philosophie wird zeigen: Ihre Befreiung aus der Indienstnahme durch die Theologie musste sich die Philosophie erkämpfen, genauer gesagt, zurückerkämpfen auf ihrem ureigensten Feld der Metaphysik, auf dem sie selbst einst zu Größe und Ruhm gekommen war. Hier herrschte seit Jahrhunderten das christlich-theologische Denken und Philosophie war an die Kette theologischer Vorgaben gelegt.

      Kant sagt über die Metaphysik, sie sei ein „unhintertreibliches“11 Anhängsel der menschlichen Vernunft, denn diese „geht unaufhaltsam, ohne dass bloße Eitelkeit des Vielwissens sie dazu bewegt, durch eigenes Bedürfnis getrieben bis zu solchen Fragen fort, die durch keinen Erfahrungsgebrauch der Vernunft und daher entlehnte Prinzipien beantwortet werden können, und so ist wirklich in allen Menschen, sobald Vernunft sich in ihnen zur Spekulation erweitert, irgendeine Metaphysik zu aller Zeit gewesen, und wird auch immer darin bleiben“12.

      Wenn das geschieht, wenn die Vernunft Metaphysik treibt und über letzte Fragen spekuliert, dann sind ihre Einsichten wohl eher „vernünftelnde“ Schlüsse als „Vernunftschlüsse“, wie Kant es ausdrückt, „wiewohl sie, ihrer Veranlassung wegen, wohl den letzteren Namen führen können, weil sie doch nicht erdichtet, oder zufällig entstanden, sondern aus der Natur der Vernunft entsprungen sind. Es sind Sophistikationen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen … kann“13.

      Kant forderte kein Ende der Metaphysik und das wird es, solange es Menschen gibt, auch nicht geben, das war ihm bewusst. Kant wollte, dass uns bewusst ist, was wir tun, wenn wir Metaphysik treiben. Es ging ihm um Selbstdurchsichtigkeit hinsichtlich unseres Erkenntnisvermögens, um eine Selbstkritik der Vernunft mit Blick auf die Grenzen ihres sinnvollen, weil echte Erkenntnis gewinnenden Gebrauchs und auch um eine davon sich ableitende Entspanntheit im Umgang mit metaphysischen Dingen, bei denen sich objektive Wahrheit nicht erlangen lässt.

      Von Metaphysik-, bzw. Vernunftkritik und von einer Entspanntheit im Umgang mit metaphysischen Dingen war man zu Zeiten Brunos noch weit entfernt, letzteres wird er leidvoll zu spüren bekommen, durch die Lebensumstände, die man ihm aufzwingt und den Tod, den man ihm bereitet. Die Zumutungen, die seine Antworten auf zentrale metaphysische Fragen den theologischen Dogmenhütern bereiteten, waren erheblich. Bruno entwickelt diese Antworten im Rahmen und im Zuge seines Nachdenkens über Natur und Gott. Seine Schrift „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“ (im Folgenden mit „UPE-Schrift“ abgekürzt), die die Ergebnisse seiner Natur- und Gottesphilosophie in konzentrierter Form zusammengefasst enthält, ist Metaphysik, wie überhaupt die ganze theoretische Philosophie vor Kant Metaphysik war. Die UPE-Schrift ist also – um es mit Kant zu sagen – ein Beispiel frühneuzeitlicher Spekulation und vernünftelnder Sophistikation, aber – und das wird Bruno zum Problem werden – sie ist keine Philosophie mehr im Dienste der Theologie.

      Menschen existieren in einer Erfahrungswirklichkeit. Die Erfahrungswirklichkeit wird eröffnet, wird erfahrbar, ist „da“, sobald wir wach, sobald wir bei Bewusstsein sind (von der Möglichkeit des Traumerlebens sei an dieser Stelle abgesehen). Die Erfahrungswirklichkeit ist ein in sich strukturiertes Ganzes, eine Strukturganzheit.

      Eine befriedigende naturwissenschaftliche, die biologischen und neuronalen Voraussetzungen und Bedingungen dieser Strukturganzheit bedenkende Erklärung ihrer Emergenz, bzw. ihres „Sich-Eröffnens“, steht noch aus und manche Denker vermuten, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, dass dies so bleiben und es niemals gelingen wird, eine naturalistische bzw. materialistische Geisttheorie zu finden, die den Geist als Naturphänomen, als Kind der Natur zu erklären vermag.

      Wollte man versuchen, die Ganzheitlichkeit der Strukturganzheit der Erfahrungswirklichkeit sprachlich zum Ausdruck zu bringen, so wäre Heideggers Begriff des „In-der-Welt-seins“ nicht schlecht gewählt. „Das In-der-Welt-sein, dieses ‚Apriori‘ der Daseinsauslegung ist keine zusammengestückte Bestimmtheit, sondern eine ursprüngliche und ständig ganze Struktur. Sie gewährt aber verschiedene Hinblicke auf die sie konstituierenden Momente. Bei einem ständigen Im-Blick-behalten des je vorgängigen Ganzen dieser Struktur sind die Momente phänomenal abzuheben.“14 Die phänomenologischen Analysen, die Heidegger unternimmt, um diese Momente „phänomenal abzuheben“ bzw. aufzuweisen, können wir hier nicht weiter verfolgen, nur so viel sei gesagt: Die Erfahrungswirklichkeit ist ein Ganzes, in dem das „Selbst“ als derjenige Teil „vorkommt“, der sich auf den Teil, der es nicht selbst ist und den wir „Welt“ nennen dürfen, bezieht. Das Selbst existiert in vielerlei Bezügen zur Welt. Im Vollzug seines Sich-Beziehens erfährt und versteht es nicht nur die Welt, das „Worauf seines Bezogen-Seins“, sondern auch sich selbst in seinem Bezogen-Sein und als dieses Bezogen-Sein. Sören Kierkegaard wird diesen formalen existenzialontologischen Sachverhalt zur Art unserer Selbst-Gegebenheit im 19. Jahrhundert wie folgt ausdrücken: „Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das an dem Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.“15 Selbst- und Welterfahrung jedenfalls gehören zusammen, sind notwendig miteinander verbunden, sie hängen voneinander ab und beide verändern sich und werden auf eine nicht mehr alltägliche Weise erfahren, wenn Menschen ins Fragen kommen, d.h. eine Fragehaltung einzunehmen beginnen.

      Ins Fragen kommen Menschen immer dann, wenn sie ihre alltägliche und „zunächst und zumeist“ gegebene Vertrautheit im besorgenden Umgang mit der Welt und mit sich selbst verlieren, wenn „defiziente Modi des Besorgens“16 auftreten, wie Heidegger es nennt. Diese „defizienten Modi“ machen Teile oder das Ganze der Erfahrungswirklichkeit fragwürdig, man erfährt sich selbst in eine Fragehaltung versetzt, spürt das Erwachen von Erkenntnisinteresse und beginnt Fragen zu stellen, an die Welt und auch an sich selbst, das können kleine, lebenspraktische Fragen sein, aber eben auch jene großen Fragen, die die philosophische Metaphysik auf vernunftwissenschaftliche Art zu klären versucht.

      In Zeiten vor dem Epoche machenden Schritt vom Mythos zum Logos erzählte man Mythen, um sich diese großen Fragen zu beantworten. Mythen sind Geschichten von dunkeln und hellen Mächten, von Göttern und ihrem Eingreifen in die Belange der Welt, es sind nicht-wissenschaftliche Universal- und Fundamentalerzählungen, Philosophie dagegen – wir hörten davon – ist Universal- und Fundamentalwissenschaft, sie ist um wissenschaftliche, d.h. vernunftwissenschaftliche Antworten bemüht.

      Und was im Vergleich zur Philosophie ist die Theologie, die christliche zumal? Auch die Theologie fragt nach dem Universalen, d.h. nach der Erfahrungswirklichkeit im Ganzen und nach dem Fundamentalen, d.h. nach