Klaus Scherzinger

Giordano Bruno - Märtyrer der Gedankenfreiheit


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wie die Philosophie, vielmehr ist sie eine auf das Universale und Fundamentale abzielende Pseudowissenschaft.

      Die Entstehung der abendländischen christlichen Theologie konnte beginnen, als man anfing, priesterliche Gotteserzählungen im Schein von Wissenschaftlichkeit abzuhandeln. Durch einen langen Prozess der Verwissenschaftlichung der christlichen Lehre, man könnte auch sagen, einen Prozess der Anpassung und damit Nutzbarmachung der griechischen Philosophie für die Sache der christlichen Kirche, reifte die Theologie zu der alleinigen, allmächtigen, keine Frage unbeantwortet lassenden Erklärungsinstanz des Spätmittelalters heran. An diesem Adaptationsvorgang arbeitete ein Heer von philosophisch geschulten Männern des Glaubens – an erster Stelle zu nennen sind Augustinus, Albertus Magnus und Thomas von Aquin.

      Wir wollen versuchen, den Unterschied zwischen Philosophie und Theologie noch etwas deutlicher zu fassen und stellen deshalb mit Arno Anzenbacher die Frage: „Warum ist aber die Theologie nicht in gleicher Weise Vernunftwissenschaft wie Philosophie?“17 Seine Antwort lautet: Weil Theologie Aussagen kennt, „die nicht aus bloßer Vernunft aufgewiesen werden“, Aussagen, die sich „unverfügbar“ von einem „Sinn-Grund“ herschreiben, der sich nur Auserwählten offenbart. Philosophische Metaphysik dagegen bleibt jederzeit, auch dann, wenn man mit Kant einräumen muss, dass sie nur „vernünftelt“, in Reichweite der Vernunftkritik, Aussagen der theologischen Metaphysik hingegen sind „übervernünftig“ und somit dem Vernunftdiskurs entzogen.

      Philosophie ist keine Theologie, genau darauf wollten sich Renaissance-Philosophen vom Schlage Brunos wieder besinnen. Zwar stellen beide Disziplinen, anders etwa als die Kunst, ihre „Wahrheit nicht in sinnfälligen Symbolen und konkreten Gestaltungen dar, sondern in Begriffen“18 und beide bemühen sich, aus ihren Begriffen und ersten Sätzen „deduktiv-dogmatisch“, wie die Wissenschaftstheorie es nennen würde, Theorien abzuleiten, doch die Theorien und zentralen Inhalte der christlichen Theologie stehen schon fest, ihre Begriffe und Sätze müssen sich diesem Feststehenden fügen, sind also letztlich aus einer ganz anderen Erkenntnisquelle geschöpft als diejenigen der Philosophie.

      Philosophie ist Selbsterhellung und keine durch Gnade oder Offenbarung gewährte Erhellung, sie „begibt sich“ – so hat es Heidegger einmal ausgedrückt – „der Möglichkeit des sich Haltens an Offenbarung“19. Theologie aber tut genau das. Theologie will Offenbarungswissenschaft sein und will nicht gelten lassen, dass darin ein Widerspruch liegt. Philosophisches Fragen, auch wo es nur spekulierend voranschreitet, „vollzieht sich ausschließlich als Anstrengung der menschlichen Vernunft. Demnach schließt die Philosophie alle jene Aussagen aus, die nicht aus bloßer Vernunft allein aufgewiesen werden“20. Im Gegensatz dazu ist offenbartes Wissen unangreifbar, liegt außerhalb des von der Vernunft selbst zu verantwortenden Denkbereiches. Letzte Instanz der Theologie ist immer Gott, bzw. eine vermeintlich göttliche Vernunft, „letzte Instanz der Philosophie ist die menschliche je eigene Vernunft.“21

      Ein weiteres Kennzeichen philosophischer Vernunft ist ihre Entwurfsfreiheit, man könnte auch sagen Verspieltheit. Philosophie ist unvoreingenommen vernünftig, ihre Neugier nimmt sich die Freiheit, auf der Grundlage neuer Prämissen zu denken und auf diese Weise neue Möglichkeiten des Verstehens auszuloten. Theologie dagegen legt sich fest, ihre Grundsätze und ihre Wahrheit sind in Stein gemeißelt und sie verbittet sich jegliche Kritik daran. Philosophie hingegen fordert Kritik an ihren Theorien ein, sie sucht den Dialog, die Disputation und bleibt so stets dem Risiko ausgesetzt, dass ihre Theorien durch bessere Argumente widerlegt und von neuen Theorien abgelöst werden.

      Philosophie ist Ideologiekritik, sie bleibt kritisch und streitbar gegenüber dem vermeintlich Unumstrittenen. Sie ist immer bereit zu zweifeln, das macht sie so ruhelos. Ihr Zweifel will nicht zerstören, aber er stört und wird so zum Motor eines nicht endenden Weiterfragens. Dadurch hält sich eine Dynamik des unablässigen Wechsels von Erkenntniszuversicht und Erkenntnisfrust in Gang. Schon Platon wusste davon und auch Bruno wird den epistemischen und emotionalen Schaukelgang des Philosophietreibens in seinem Werk „Von den heroischen Leidenschaften“ (im Folgenden mit „HL-Schrift“ abgekürzt) thematisieren. Beide Denker beschreiben die Weisheitsliebe als unentwegten Weg, als chronischen Prozess des Suchens, Findens und wieder Verlierens philosophischer Wahrheit. Im platonischen „Gastmahl“ heißt es über den Dämon Eros, die personifizierte Philosophie: „Einerseits ist er stets arm, gar nicht zart und schön, wie man allgemein glaubt, sondern hart und struppig, barfuß und unbehaust; er schläft stets auf der Erde ohne Decke, übernachtet vor der Tür und auf der Straße im Freien; darin ist er wie seine Mutter, und die Not wohnt immer bei ihm. Aber vom Vater hat er, dass er immer dem Schönen und Guten auflauert, mannhaft, verwegen und beharrlich, als großer Jäger, immerfort Listen spinnend, ein Erkenntnis-Sucher und Weg-Finder, Weisheit liebend sein Leben lang, ein mächtiger Zauberer, Hexenmeister und Sophist. Er ist nicht wie ein Unsterblicher und nicht wie ein Sterblicher: Bald blüht er und lebt, sobald er seinen Weg findet, nach der Weise seines Vaters aber stets verliert er wieder die Bahn. So ist Eros nie arm und nie reich, auch zwischen Weisheit und Torheit steht er in der Mitte.“22

      Bruno hat den Unterschied zwischen der philosophischen, den Zweifel und die Verunsicherung nie ganz ablegenden Wahrheitssuche und der theologischen Wahrheitsverwaltung, die Zweifel und Verunsicherung nicht zulässt, mit seinem Leben und Wirken bezeugt und sichtbar gemacht und ist zum Märtyrer des freien Denkens geworden. Er wollte sich das unabhängige, nur der Vernunft verpflichtete Nachdenken über Natur, Mensch, Gott nicht verbieten lassen und das zu einer Zeit und in einer Gelehrtenwelt, in der die Kirche und ihre Theologen das letzte Wort hatten und sich nicht scheuten, diesem Wort mit Gewalt Geltung zu verschaffen.

      Bruno, aber auch andere Denker trotzten der kirchlichen Drohkulisse. Ihnen ist die Wiederbelebung echter Philosophie zu verdanken, ohne diese Wiederbelebung wäre der Aufbruch in die Neuzeit, wenn es ihn überhaupt gegeben hätte, anders ausgefallen. Mutigen Denkern wie Bruno ist zu verdanken, dass philosophische Wissenschaft wieder blühen konnte, wie sie schon einmal blühte in vorchristlicher Zeit, bevor sie zur vielzitierten „ancilla theologiae“ des christlichen Mittelalters wurde, weil man sie von der Verpflichtung zur je eigenen Vernunft zwangsentbunden hatte, weil man ihre Kritikbereitschaft nicht duldete und weil man ihr den Zweifel austrieb, so dass sie gefügig gemacht wurde und am Gängelband theologisch-christlicher Dogmen gehalten werden konnte.

      Es ist kein Zufall, dass die Wiedergeburt der Philosophie mit den Anfängen der modernen Naturwissenschaft zusammenfällt. Die moderne Naturwissenschaft hat sich aus der wiedergeborenen Philosophie heraus entwickelt. Es darf geradezu als Beleg für die wiedergewonnene Freiheit der Philosophie gelten, dass sich der Wissenschaftszweig der modernen Naturwissenschaft von ihr abspalten und im weiteren Verlauf der Wissenschaftsgeschichte zum Inbegriff von Wissenschaftlichkeit überhaupt werden konnte.

      Diese Entwicklung nahm ihren Lauf, als sich Forscher, wie Galileo Galilei, Nikolaus Kopernikus, dessen Werk und „Hochsinn“ Bruno lobte,23 oder Andreas Vesalius – um nur einige zu nennen – mit ihrer Wahrheitssuche auf die Empirie, aufs Beobachten und aufs Messen verlegten. Mit nie gekanntem Zutrauen gingen sie daran, den Phänomenen und Phänomenbereichen der sichtbaren und sinnlich erfahrbaren Natur – dem sichtbaren Kosmos oder dem menschlichen Körper – auf die Schliche zu kommen, d.h. ihnen ihre Gesetzmäßigkeiten und Funktionsweisen zu entlocken. Das konnte gelingen, weil man anfing genauer und systematischer zu beobachten und weil man umzusetzen begann, was Galilei so programmatisch seinem Zeitalter zugerufen haben soll: „Alles messen, was messbar ist – und messbar machen, was noch nicht messbar ist!“24 Wer diesem Aufruf folgen wollte, musste Messinstrumente zwischen sich und die unmittelbare Naturerfahrung schieben, musste eine unmittelbare zu einer mittelbaren, durch Messdaten vermittelten Naturerfahrung machen. Diese neue Art der metrisierenden und quantifizierenden Naturerfahrung bedeutete eine thematische Reduzierung der Natur. Nur wenn sie sich durch das Nadelöhr der Messinstrumente zwängen ließ, konnte sie zum Thema werden. Natur wurde gleichbedeutend mit messbarer Natur und mit den Messdaten und mit Hilfe der Mathematik wurden abstrakte, von der ursprünglichen, von Messinstrumenten nicht verstellten Naturerfahrung abgelöste Naturmodelle ersonnen.