kommt die Weisheit mit zunehmendem Alter. Ich habe das vor langer Zeit gelesen. Nun bin ich weit in meinen Achtzigern und muss mit leichtem Bedauern zugeben, dass ich nur sehr wenig weiß. Ich habe jedoch genügend Abgeklärtheit erlangt, um den Glauben, dass Weisheit sich mit dem Alter einstellt, abzutun. Allerdings kommen mit dem Alter Beschwerden und Schmerzen! Manchmal habe ich das gleiche Gefühl wie damals, als ich zum ersten Mal im Leben die Stadt verließ und die weite Natur aufsuchte. Ich bin in Montreal aufgewachsen, einer Metropole voller heller Lichter. In so einer großen Stadt ist es kaum möglich, das ganze Panorama des Nachthimmels zu sehen. Im Alter von elf Jahren schickte man mich in ein Ferienlager für Kinder aus sozial schwachen Familien. Eines Nachts schlich ich mich aus der Hütte, setzte mich auf einen Holzstamm, schaute hoch und überblickte zum ersten Mal die unendliche Weite des Universums. Ich sah zum Himmel hinauf und fiel buchstäblich hintenüber, überwältigt vom riesigen Ausmaß des Weltraums, denn ich hatte weder ein Konzept dafür noch eine Vorstellung davon. Ich glaube, niemals diese Ehrfurcht verloren zu haben oder das brennende Verlangen, mehr davon zu verstehen, als ich bisher weiß. Mein ganzes Leben habe ich mit der Suche nach Antworten verbracht, und ich bin immer noch dabei. Nur in einer Hinsicht bin ich mir sicher: Menschen, die vom Vortäuschen dessen leben, sie hätten Antworten gefunden, haben es in der Regel nicht.
Mit Sicherheit können wir nur Veränderungen und Wandel vorhersagen. Wir wissen, dass die Erfahrungen und das Wissen, auf denen unsere Entscheidungen basieren, sich verändern werden. Man erklärt uns, viele Kohlenhydrate und wenige Proteine zu uns zu nehmen, sei gut, doch nur ein paar Jahre später wird das exakte Gegenteil propagiert. Vermeiden Sie Fette, raten uns die Experten, und dann berichtet man, dass einige Fette doch sehr gesund seien. Einstein postulierte, dass die Lichtgeschwindigkeit konstant sei und dass sie sich niemals ändere, doch wer weiß das schon? Möglicherweise findet jemand heraus, dass die Lichtgeschwindigkeit variiert? Wir haben gerade erst eine Unregelmäßigkeit im Gravitationszentrum der Erde entdeckt, die sich überall auswirkt. Vor Jahren haben Menschen vertrauensvoll ihre Zukunft geplant, einen Beruf gewählt, dafür gelernt und hart gearbeitet, nur um wenig später herauszufinden, dass diese Profession nicht mehr existiert. Die Möglichkeiten der Technologie hatten sie ersetzt. Der Weg, den diese Menschen gewissenhaft verfolgt haben, das Gebiet, auf dem sie in vielen Fällen Experten wurden, mündete in eine Sackgasse. Mit der Verfügbarkeit des Computers wurde sogar die Tätigkeit des besten Schreibmaschinenmechanikers aller Zeiten überflüssig. Für das Überleben war nun die stetige Veränderung notwendig.
Falls ich überhaupt ein bisschen weise bin, beschränkt sich mein Wissen auf meine persönlichen Erfahrungen. Ich kann mich bestenfalls an das Erlernte erinnern und Ihnen die Wahlmöglichkeit überlassen, das auszuwählen, was auf Sie zutrifft. Das ist alles, was ich anbieten kann. Dies und das ist geschehen, hier habe ich so oder so gehandelt, und jenes ist das Ergebnis. Ich kann Sie nicht belehren, nur das vermitteln, was für mich in einigen Fällen funktionierte und in anderen eben nicht.
Ich hörte einmal einen Ratschlag, der großen Eindruck in meinem Leben hinterließ. Jemand, ich bin mir nicht einmal mehr sicher, wer es gewesen war, erklärte mir: „Du verfolgst eine Karriere, und es ist deine Karriere. Es ist die Karriere, die du verdienst. Es ist, allgemein gesprochen, deine Lebensreise und …“ Meine Karriere? Meine Karriere und die damit verbundenen Pläne hingen immer vom nächsten Telefonanruf ab. Und ich wusste nie, wann – oder ob überhaupt – das Telefon läuten würde.
Wir hegen die Illusion, dass wir unseren Lebensweg wählen, doch das stimmt nicht. Die Straße ist noch nicht mal gepflastert. Während unseres Weges wird sie gerade erst geteert. Die großen Baumaschinen befinden sich nur knapp vor Ihnen – auf einem Weg, den Sie vermeintlich selbst auswählten, doch im Grunde genommen können Sie Ihr Leben kaum kontrollieren. Die Verhältnisse ändern sich stetig, und man passt sich ihnen ab. Man folgt einer sich dahinschlängelnden Straße, man fällt Entscheidungen, doch größtenteils sind wir von unkontrollierbaren Faktoren abhängig. Dinge geschehen. Ich hätte niemals damit gerechnet, Schauspieler zu werden, ein Album aufzunehmen oder Bücher zu schreiben. Ich hätte niemals damit gerechnet, Vorträge über Themen zu halten, zu denen ich recherchieren musste. All die unterschiedlichen Tätigkeiten, denen ich nachging – das Schauspielern, das Reisen, die Musik, die Beschäftigung mit Büchern, Pferden und Motorrädern –, hätte ich mir niemals erträumt. Die Möglichkeiten eröffneten sich mir, und ich habe sie beim Schopfe gepackt.
Manchmal wird von uns verlangt, wichtige und das Leben oft verändernde Entscheidungen zu fällen. Wird das notwendig, verbringen wir viel Zeit mit Grübeln, ängstlichen Vorstellungen und Kopfzerbrechen, versuchen, all das aus unterschiedlichen Winkeln zu beleuchten, um ganz sicherzugehen, die beste Wahl zu treffen. Dieser oder jener Job? Heiratet man diese Frau oder jenen Mann – oder besser doch nicht? Nimmt man das Angebot an? Welche Entscheidung führt uns zu Wohlstand oder Glück? Welche zu Verdammnis und Pech? Folgendes lernte ich: Es gibt niemals so etwas wie die richtige Entscheidung. Es gibt keine Sicherheiten, da man niemals weiß, was das Schicksal für jeden von uns bereithält.
Ich erinnere mich gut an einen Scheideweg meines Lebens, an dem ich eine Wahl treffen musste. Nachdem ich Raumschiff Enterprise fertiggestellt hatte, nahm ich – wie man es im Schauspielerjargon so schön umschreibt – eine kleine „Auszeit“, legte eine kurze Ruhepause ein. Das bedeutet aber tatsächlich, dass man kein nächstes Engagement bekommt. Ich begann im saisonalen Sommertheater zu spielen und reiste gemeinsam mit meinem Hund in einem kleinen Pick-up-Truck. Auf der Ladefläche des Wagens hatte ich einen Aufbau montiert, eine Art kleines Häuschen zum „Reinkriechen“. Statt das Geld für ein Hotel oder ein Motel auszugeben, stellte ich den Truck beim Erreichen des nächsten Theaters auf dem Parkplatz ab, schloss ihn an die Stromzufuhr an und wohnte dort für die jeweilige Spielzeit. So lebte ich drei Jahre lang.
Wenn im September die Saison endete, fuhr ich wieder nach Los Angeles zurück. Nach Ende der zweiten Spielzeit in Boston machte ich mich auf den langen Weg durch die USA, um die jüdischen Feiertage mit meinen drei Töchtern zu verbringen. Irgendwann am ersten Tag legte ich einen Stopp ein und machte das, was jeder Schauspieler tut. Ich setzte mich mit meinem Agenten in Verbindung. Nur für den Fall, dass … Das war lange vor der Zeit der Handys, und so rief ich ihn von einem Münztelefon am Rande des Rastplatzes aus an. „Großartige Neuigkeiten“, meinte er überschwänglich. „Rose Kennedy möchte dich zu einer Party auf dem Kennedy-Anwesen einladen. Dreh um, und fahr nach Boston zurück …“
Die Kennedys wollten mich zu einer Party einladen? Einerseits war das eine ganz große Sache, aber ich hatte keine Ahnung, wer dort wohl auftauchen würde. Andererseits wollte ich unbedingt die Kinder sehen. Ich war hin- und hergerissen, erklärte ihm aber schließlich: „Ich schaffe das nicht, denn ich muss nach Hause, um endlich meine Töchter zu sehen.“ Er gab sich große Mühe, mich zu überzeugen, war aber erfolglos.
Zwei Tage später rief ich ihn aus Arizona an. „Rose Kennedys Büro hat schon wieder angerufen. Bill, sie wollen dich gerne bei der Party sehen. Sie haben sogar angeboten, eine Privatmaschine zu schicken, die dich abholt und wieder nach Hause fliegt!“
Die Kennedys waren die mächtigste Familie im ganzen Land und hatten gute Beziehungen nach Hollywood. Ich hätte eigentlich antworten müssen: „Ich bin gerade in Arizona. Schickt die Maschine hierher, wir fliegen nach L.A., um die Kids abzuholen, und nehmen sie mit zur Feier.“
Das hätte ich sagen sollen. Ich antwortete jedoch: „Ich muss nach Hause, weil ich die Kinder sehen will!“ Ich musste mich entscheiden, und tat es auch. Als ich zuhause ankam, waren meine Kinder ganz aufgeregt. Ich kann mich noch exakt an ihre Worte erinnern: „Oh, hi, Dad, wir gehen jetzt raus zum Spielen.“
Wer weiß, was geschehen wäre, hätte ich mich anders entschieden und die Party der Kennedys besucht? Möglicherweise wäre ich einem Produzenten begegnet, der mich als exakt den Schauspieler erkannt hätte, den er gerade suchte? Vielleicht hätte er mich unverzüglich für einen extravaganten Film mit einem riesigen Budget gebucht? Dann wäre der Streifen ganz groß rausgekommen, und ich hätte nie wieder einen Aushilfsjob annehmen müssen und stattdessen eine lange und erfolgreiche Karriere erlebt …
Ich habe das Leben eines Schauspielers geführt. Gibt es überhaupt einen schlechter vorhersagbaren Beruf? Die Straße wird oft nur mit einem Tag Vorlauf