Mal in Spanien Urlaub machte – wechselte er an die St. Andrew’s Preparatory School for Boys, die sich in einem sagenhaften alten Gebäude befand – dem Church Hill House in Wilson Way, Horsell. In seinem letzten Jahr in St. Andrew’s fuhr er nur mehr am Wochenende nachhause. Obwohl er kein herausragender Schüler war, arbeitete Gabriel fleißig, um ansprechende Leistungen zu erbringen. Trotz seiner Schüchternheit kam er relativ gut mit den anderen Jungs aus, bevorzugte aber grundsätzlich eher weibliche Gesellschaft, was zweifellos mit dem Einfluss seiner Mutter, seiner Schwester und den Töchtern der Farmarbeiter zu tun hatte. Später sagte er: „Ich war kein sportlicher, machohafter Typ. Ich spielte lieber Doktor und Krankenschwester mit den Mädchen hinter den Blumenbeeten, als Cowboy und Indianer.“ Wenn er und seine Freunde auf ihren Rädern in die Schule fuhren, veralberten die Arbeiterklasse-Kinder aus dem Dorf die „Posh Boys“, was dazu führte, dass sich Gabriel ein dickes Fell wachsen ließ.
„Mit elf hatte ich diesen Traum“, erzählte Gabriel 1988 Spencer Bright. „Ich gelangte zu einer Weggabelung. Ich würde entweder Entertainer – Sänger – oder Farmer werden … aber ich dachte, dass ich nie ein Sänger sein könnte, weil ich nicht fand, dass ich gut singen konnte. Als ich jung war, dachten die Leute, dass ich eine nette Chorknabenstimme hätte, aber als ich versuchte, Rocksongs zu singen, klang das furchtbar.“ Lehrern in St. Andrew’s war zum ersten Mal aufgefallen, dass Gabriel ein vielversprechender Sänger war. Und obwohl er es wieder bleiben lassen würde, folgte er eine Weile den Fußspuren seiner Mutter und nahm Klavierunterricht. Gabriel interessierte sich mehr für das Schlagzeug und kaufte im Alter von zehn dem Bruder eines Freundes seine erste Trommel ab – eine Stand-Tom für zehn Pfund. Sie war der erste Kontakt zu den Rhythmen, die sich später so stark in seiner Musik wiederfinden würden. Obwohl er sich öfter als einmal als „gescheiterten Drummer“ bezeichnete, kehrte Gabriel während seiner Karriere immer wieder zu seiner ersten Liebe, der Percussion, zurück. Sogar, als er Percussion mit seinem Konzept zu Scratch My Back 2010 komplett aus der Instrumentierung strich, ließ er die Streicher wie Schlaginstrumente klingen. Bill Bruford, der in so vielen wichtigen Bands der Siebziger getrommelt hatte, behauptete, dass ein Gig mit Gabriel einer von nur drei Jobs wäre, für den ein Schlagzeuger im ausklingenden 20. Jahrhundert töten würde – die anderen beiden wären mit King Crimson und mit Frank Zappa.
Mit zwölf verfasste Gabriel seinen ersten Song – „Sammy The Slug“ („Sammy, die Nacktschnecke“). Er witzelte später, dass jeder über Mädchen geschrieben habe, „ich aber schrieb über Nacktschnecken, was zeigt, wofür ich mich interessierte“. Dies war nur eines von vielen Beispielen für Gabriels unkonventionelle Herangehensweise an jene Kunstform, mit der er später seinen Lebensunterhalt bestreiten sollte.
Nachdem eine seiner Tanten, die an der Oper sangen, vom Interesse ihres Neffen für Musik erfahren hatte, beschloss diese, ihm unter die Arme zu greifen. Gabriel erinnerte sich später: „Sie steckte mir fünf Pfund zu. Ich sollte herausfinden, wie professionelle Sänger sangen.“ Gabriel kaufte sich stattdessen das erste Album der Beatles. Er hatte die erste Single der Gruppe aus Liverpool – „Love Me Do“ – im Autoradio seiner Eltern gehört. „Sie war radikaler als Punk, als ich sie zum ersten Mal gehört habe.“
Gabriel war genau zur richtigen Zeit im richtigen Alter, um das neue Phänomen aufzusaugen. Er war zu jung gewesen, um die Ankunft des Rock’n’Roll in den Fünfzigern mitzubekommen, im Anschluss war die Musikszene wieder verflacht. Bald nachdem Gabriel 13 geworden war, im März 1963, veröffentlichten die Beatles ihr erstes Album, Please Please Me. Die Auswirkungen, die es auf Teenager gehabt hatte, die es zum ersten Mal hörten, waren unvorstellbar. In diesem Sommer, als Gabriel sich langsam damit abfinden musste, St. Andrew’s den Rücken zu kehren und den nächsten Schritt in seinem Leben zu machen, schienen die Beatles überall zu sein.
Obwohl die Beatlemania noch nicht ganz ausgebrochen war, boten die ersten drei Beatles-Singles, darunter auch ihre erste Nummer 1, „From Me To You“, ihren unschuldigen Hörerinnen und Hörern einen berauschenden Soundtrack. Und der irgendwie exzentrische Mix aus selbst verfasstem Material und R&B-Nummern schwarzer Künstler (etwa Songs von den Isley Brothers, den Shirelles und Arthur Alexander) zeigten, dass es in Ordnung war, eigene Songs zu schreiben, während man sich auch auf den Pfad, den geheimnisumwitterte, schmachtende Acts offenbarten, begeben durfte, was wiederum wie ein Samen in Gabriels intelligentem und neugierigem Geist aufkeimen sollte. Zu seiner Stand-Tom kauften ihm seine Eltern schließlich noch eine Snare-Drum. Gabriel war dabei, sich sein erstes Schlagzeug zusammenzustellen.
Die Beatles belegten gerade mit „She Loves You“ die Spitzenposition in den UK-Charts, als der 13-jährige Peter Gabriel im September 1963 sein erstes Semester in Charterhouse, einer Privatschule in Godalming, antrat. Und ihr Einfluss – sowie der einiger anderer, die in ihrem Windschatten folgten – sollte weitaus größere Auswirkungen auf ihn haben als der hiesige Lehrplan.
„Es ist eine komplett falsche Vorstellung, dass Genesis als Gruppe an der Charterhouse existierten. Die Band existierte nur als vier einzelne Songwriter.“
– Ant Phillips, 2006
„Wir waren in Bezug auf unseren Privatschul-Hintergrund immer offen und ehrlich. Viele Musiker – vor und nach uns – kamen aus der Mittelschicht und verheimlichten es.“
– Peter Gabriel, 2007
Charterhouse School wurde 1611 von Thomas Sutton am Charterhouse Square in Smithfield, London, gegründet. 1872 übersiedelte die Schule dann an ihren jetzigen Standort in Godalming, Surrey. Mitsamt dem Motto „Deo Dante Dedi“ („Da Gott gab, gebe auch ich“) war die damalige reine Jungenschule das Lehrbuchbeispiel einer englischen Privatschule. Das immense Hauptgebäude, entworfen von Charles Hardwick, der auch für die Great Hall in der Euston Station verantwortlich war, befand sich auf einem Hügel. Seine Ausmaße und seine Lage betonten die dominante und repressive Präsenz der Schule. Es war der absolute Inbegriff viktorianischer Erhabenheit.
Charterhouse war Teil der Familientradition im Hause Gabriel. Schon sein Großvater, Christopher Burton Gabriel, war ab 1891 dort Internatsschüler gewesen. Er befand sich in illustrer Gesellschaft. Auch der Dichter Richard Lovelace, der Begründer des Methodismus John Wesley, der Komponist Ralph Vaughn Williams, der Vater der Pfadfinder-Bewegung Robert Baden-Powell, der Bühnenautor Ben Travers sowie der Poet und Autor Robert Graves gehörten zu den Absolventen des Internats. Und so war schon bei Peters Geburt klar, dass er später dieselbe Privatschule besuchen würde. Charterhouse stand für alles, was dem Establishment heilig war – patriarchale Wertvorstellungen, rigoroses Auswendiglernen sowie ein System durchdrungen von exklusiven Ritualen, die als Vorbereitung auf Oxford oder Cambridge und Positionen in einer Londoner Chefetage dienen sollten. Wie in vielen solcher Einrichtungen brachte man den Jungs, die sich nur halbherzig dem Ethos der Schule verschrieben, wenig Geduld entgegen. Als aber die Sixties voranschritten, sahen sich mehr und mehr Schüler – zum Missfallen der Internatsschule – nach Alternativen zu der für sie vorbestimmten Lebensplanung um.
Nachdem Gabriel den relativen Komfort, den ihm St. Andrew’s geboten hatte, und deren Nähe zu seinem Zuhause hinter sich gelassen hatte, wurde er im September 1963 unter einigem Zwang an die Privatschule Charterhouse geschickt. Da sich sein starker Freigeist bereits bemerkbar machte, konnte er sich nie wirklich ins Charterhouse-System einfügen. Die in Stein gemeißelte Gesinnung der Privatschule war nie die seine geworden. Jedoch wäre es übertrieben zu sagen, dass er ein Rebell gewesen wäre. Seine respektvolle Natur und sein stark ausgeprägter Sinn für Höflichkeit bewahrten ihn davor, Ärger zu verursachen. Viel mehr fand die Revolution in seinem Kopf statt. Und eben dort wurde sie von der Musik angetrieben, die er absorbierte und die er schon bald selbst spielen würde.
Die Wirkung, die ihre Zeit an der Charterhouse-Privatschule auf Gabriel und seine zukünftigen Bandkollegen hatte, ist bereits in anderen Büchern detailliert behandelt worden, aber Gabriels lebensnahe Beschreibung seiner ersten Nacht in Charterhouse in Genesis: Chapter and Verse fasst seinen damaligen Gemütszustand am besten zusammen. Nachdem er an die friedliche Atmosphäre der Farm gewöhnt war, erschienen ihm die Lichter von Autos, die unter den vorhanglosen Fenstern