Jürgen Roth

Deep Purple


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und Mandolinenpickings (siehe etwa „Renaissance Fair“ – „mit den Sängern spielen, mit den Zigeunern laufen und mit den Rittern kämpfen“, so erklärt einem eine Fanklubzeitung den tieferen Sinn dieser Komposition), nicht viel mehr als furchteinflößende synthetische Trompeten, Hörner, Geigen und Drum-Spuren sowie, zu schlechter Letzt, die katastrophalste „Greensleeves“-Version der Welt­geschichte. „Ja Gott, drehen denn jetzt alle durch?“ fragte die taz anläßlich dieser Offenbarung(en) und antwortete sogleich: „Aber okay, man muß auch die Schattenseiten der Künstlerfreiheit akzeptieren.“

      Andere sahen das anders und schrieben, das „verträumte Romantikalbum“ transportiere „das mystische Flair mittelalterlicher Ritteridyllen perfekt und authentisch in die heutige Zeit“ (Metal Hammer) und sei „makellos gefertigt“ (Fachblatt Musikmagazin), oder sie marschierten sogar in die anberaumten Konzerte auf den bei Blackmore von früh an äußerst angesagten Burgen, in Kirchen oder in kleinen, komplett bestuhlten Hallen, in denen sich, von den gelegentlichen gnadenreichen elektrifizierten Zugaben des „begnadeten Technikers“ (FAZ) abgesehen, ein Spektakel darbot, für das die schmählichsten Worte unpassend erscheinen (der Vorwortautor war vor Ort, am 14. Dezember 1997 im ­Eltzer Hof in Mainz, am 30. September 1998 in der Fürther Stadthalle). Da stand Candice Night in vorderer Rauschgoldengelfront, ohne zu merken, sich vielleicht mal eine zweite Tonlage zulegen zu können, drum herum, unter „einem hellen leuchtenden Käse“ (Mainz Echo), eine Pappschloßsilhouetten-, Mondnacht- und Kunstlaubdekoration, die das ästhetische Desaster des grauenerregenden CD-Covers noch in den fahlen Schatten stellte, und die sogenannte Band gondelte, entweder in wallende Kleidchen oder Strumpfhosen und Stulpenstiefel verpackt, zwischen Krummhorn, Laute, Leier, Tamburin und Dudelsack über die Bretter und repräsentierte, weiß Gott „weit entfernt von den jaulenden Exzessen vergangener Tage“ (FAZ), die verschnarchteste, zuckerwattigste Imitation irgendwelcher mittelalterlicher Spielleute, die man dieser Tage jenseits der hie und da beliebten Renaissancekostümfeste und Ritteraufläufe zu Gesicht bekommen kann. Ein treuer Blackmore-Addict faßte nach dem ergreifenden Termin in Fürth die Foyerplaudereien deshalb folgendermaßen zusammen: „Überhaupt stellte ich aus vielen Gesprächen heraus fest, daß die meisten genug von Blackmore’s Night hatten.“

      Ritchie Blackmore erklärte der Presse die stilistische Umkehr, die er dem eigenen Bekunden zufolge seit fünfundzwanzig Jahren angestrebt hatte, immer wieder mit seiner Liebe zum Mittelalter und zur Renaissancemusik, was, gar nicht mal allzu scharf betrachtet, nicht unbedingt leicht einzusehen sein will. „Die Renaissancezeit fasziniert mich, vor allem die Minnesänger. Sie haben meine Seele berührt“, unterbreitete Blackmore des öfteren. Da fragt man sich mitunter schon, was der höfisch-ritterliche Troubadouren- und Minnesang des Hochmittelalters zumindest mit der Vokalpolyphonie der Renaissance am Pilgerhut hat. Anyway, Mitte der achtziger Jahre war der Knoten endgültig geplatzt: „Es war so um 1986 herum, als Freunde mich zu einem Essen auf eine Burg einluden, wo Des ­Geyers Schwarzer Haufen auftraten. Von diesem Moment an wußte ich, daß ich ein Minne­sänger sein und nicht in einer Rock-’n’-Roll-Band spielen will.“

      Die Dinge besserten sich auch in der Folgezeit, in den späten neunziger Jahren, nicht wesentlich. Die einmal initiierte „Esoterik-Eierei“ und die „einfach gestrickten Weisen zwischen Kelly Family und Gypsy Kings“, wie manch finsterer Herr aus dem Reich der „schwarzen Magie“ (Karl Kraus) höhnte, fanden ihre biedere und bittere Fortsetzung. Zwar vermied es Blackmore auf den Sequels Under A Violet Moon (1999), Fires At Midnight (2001) und Ghost Of A Rose (2003), zum Beispiel Tschaikowskys Schwanensee abermals in einen Drum­computer-Popschmodder wie „Writing On The Wall“ hineinzufrickeln, aber der eklektizistische Flachsinn nahm trotzdem weiter seinen Lauf. Mag sich Black­more, „vom Rüpel zum Ritter mutiert“ (Berliner Kurier), in seinem neuen Anti-Rocker-Ambiente auch zu einem höflicheren, ausgeglicheneren Zeit­genossen entwickelt haben – das macht uns etwa das Magazin Guitar World Acoustic glauben –, so verging er sich doch schamlos an Bob Dylans „The Times They Are A-Changin’“, quasi umgekehrt jenen skandalösen Umschwung wiederholend, als Dylan 1964 auf dem Newport-Festival von der akustischen zur elektrischen Gitarre übergewechselt war. Und mit Ausnahme von solch transparenten, taktvollen Instrumentals wie „Possum Goes To Prague“ und „Fayre Thee Well“, von zögerlichen, bisweilen funkelnden und unvergleichlich singenden E-Gitarren-Einsprengseln und von der Neuauflage des Rainbow-Klassikers „Self Portrait“ schaffte sich das sinistre Duo unvermindert durch sein Lagerfeuerliedgut, in dem sich zuverlässig „night“ auf „light“ reimt und der verfemte Viervierteltakt („Ich finde schnurgerade vier Viertel entsetzlich langweilig. Und Rock-’n’-Roll-Songs wie ‚Roll Over Beethoven‘ machen mich wahnsinnig“) durch einen langweiligen Dreivierteltakt nach dem anderen ausgetauscht wurde. Könnten Photos klingen, die Betrachtung der Hinterwald-Session-Shots für die Booklets besagter Produkte hätte einen schon vorher in denselben getrieben. Beziehungsweise in den Worten des verdienstvollen Deep-Purple-Forschers Ingo Jansen (A Life In Purple – Die ultimative Deep-Purple-Bibel, Selbstverlag, 2000): „Schlimm.“ Respektive: „Man reiche mir den Eimer.“

      „Ein Mann wird älter“ (Italo Svevo), sicher. „Den größten Teil meines Lebens“, so Blackmore, der geläuterte „Ritter der Stille“ (Frankfurter Rundschau), „habe ich in einer Band wie Kiss verbracht: gewaltige Power, Akkorde, Fäuste in der Luft, Rock ’n’ Roll.“ Das reicht vielleicht irgendwann einfach, und man entscheidet sich für eine gemessenere Haltung: „Die Rolle als Rädelsführer an der Gitarre habe ich längst abgelegt. Darum können sich andere streiten. Entweder sind die Leute eifersüchtig auf dein Können, oder sie mögen deine Platten sowieso nicht. Also geht es nur noch darum, andere Gitarristen zu beeindrucken. Das ist kein Thema für mich.“ Aber muß man sich deshalb derart stur und dauerhaft entblößen? Und am 25. Juli 2004, wie bereits etliche Male zuvor, als „absoluter Superstar“ (Andrea Kiewel, ZDF) mit verwelktem Hut und immerhin Sonnenbrille auch noch im ZDF-Fernsehgarten ein blitzsauberes Playback-Stückchen („All Because Of You“) hin- und hinterlegen? Das kann ja eigentlich nicht wahr sein. Drückt sich da, wie ein Fan mutmaßt, Blackmores „perverses Vergnügen daran“ aus, „die ‚alten‘ Rockfans von damals zu quälen“? Oder sollten wir angesichts solcher Vorgänge lieber Hans Mentz, den Humorkritiker der Titanic (9/2003), in den Gerichtsstand rufen und ihm zu „Blackmores Blackout“ das Wort erteilen? Okay. Bitte: „Auf die Neigung des ehemaligen Deep-Purple-Gitarristen zu ‚practical jokes‘ wurde an dieser Stelle schon hingewiesen (Titanic 3/2003), aber damals konnte ich nicht ahnen, was der Meister noch Großes plante. Es begab sich am 20. Juli 2003, daß Blackmore’s Night den ZDF-Fernsehgarten besuchten und diese an Dämlichkeiten nicht eben arme Sendung mit ihrem Auftritt krönten. Blackmore und seine Truppe sahen aus wie Komparsen aus der letzten Herr der Ringe-Verfilmung, die Melodie des auf mittelalterlich getrimmten Schlagers erinnerte aufs peinlichste an ‚Was wollen wir trinken?‘“ – gemeint ist „All For One“ von Ghost Of A Rose; daß ­Blackmore im kleinen Kreis gern Trinklieder klampft, ist bekannt – „und andere einfältige Hymnen, wie sie in den Achtzigern verbreitet waren. Nach Ritchies Lautensolo holte eine blonde Mamsell eine meterlange Blockflöte heraus und begann, darauf Flötenspiel zu simulieren. Während des Vortrags hüpfte die ganze Bande in einer Pseudoausgelassenheit durch die Gegend, die unschön an eine schwedische Stumpfsinnscombo erinnerte, deren Namen ich zum Glück vergessen habe (aber einer ihrer Hits hieß ‚Cotton Eye Joe‘). Einzige Ausnahme war der Bassist, der den Refrain widerwillig wie ein Fußballer die Nationalhymne play­backte und dabei immer wieder furchtsam zu seinem Boß sah. Die Blicke sprachen Bände: ‚Hoffentlich hält er mich nicht für Roger Glover und schmeißt mich raus.‘ Am Ende krähte die Moderatorin [Andrea Kiewel; Anm.] begeistert: ‚Das war Ritchie Blackmore’s Night!‘ – ein Redakteur hatte ihr wohl erzählt, was für ein fulminanter Fang den Fernsehgärtnern da ins Netz gegangen war (‚Der ­Exgitarrist von Deep Purple! Deep Purple!! Damit müssen wir doch die jungen Zuschauer kriegen!!!‘). Mister Blackmore griente derweil in sein frisch gewachstes Menjoubärtchen und verschwand. Musikalisch hat Ritchie Blackmore seinen Zenit schon vor Jahren überschritten; aber als Protagonist semisubversiver Happenings ist offenbar immer noch mit ihm zu rechnen.“

      Kehren wir von der Gegenwart des Ritchie Blackmore zu Deep Purple zurück. Hier, in diesem Buch, alles „komplett haben“ (Christian Gasser), wirklich oder wenigstens „approximativ“ (Gerhard Polt)