Ian Christe

Höllen-Lärm


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Scorpions achtminütige Jams zu gitarrengetriebenem Overdrive. Sie flirteten mit Tabus. Auf ihrem Album Virgin Killer von 1976 war ein nacktes vierzehnjähriges Mädchen mit einer zer­brochenen Glasscheibe vor ihrer pubertären Schamgegend zu sehen – prompt wurde die Platte in Amerika verboten. Das Bild war eine Überzeichnung der vor­herrschenden Haltung gegenüber sexueller Experimentierlust, und die Musik zeugte von einer wilden neuen Mentalität, die lautstark erregende Konzepte for­derte. Das Heavy-Metal-Publikum wollte geschockt werden, und es sehnte sich nach dem Reiz schwieriger Themen. „Wir haben andere Bands wie Deep Purple und Led Zeppelin respektiert, aber wir wollten es anders machen“, sagt Rudolf Schenker, Gitarrist der Scorpions. „Wir waren eine andere Generation.“

      Black Sabbath, die vorzeitig als Minimalisten abgestempelt wurden, behaup­teten ihre metallische Meisterschaft auf ihrem sechsten Album, dem 1975 erschie­nenen Sabotage. Die Band raste wie von realen Albträumen bedrängt durch die­ses Album, verfolgte dabei aber den Weg, den sie mit Sabbath Bloody Sabbath 1973 beschritten hatte, konsequent weiter. „Hole In The Sky“ und „Symptom Of The Universe“ waren seit langem überfällige, eindringliche psychedelische Meister­werke einer Gruppe, die allmählich neue Realitäten schuf; das vorherrschende Thema auf Sabotage war jedoch die protzige Darstellung der eigenen Größe gegenüber kalten, finanzstarken Eindringlingen – die übermächtige Klaustro­phobie in „Megalomania“ und „The Writ“ schubste die Anwälte und Manager weg, welche die Band hatten ausbluten lassen. Zu diesem Zeitpunkt durchlebten Sabbath die für Rockstars typischen ersten Scheidungen und Drogenzusammen­brüche, und „Am I Going Insane“ dokumentierte Ozzys Moment der Klarheit, nachdem er die gesamte Zeit von 1972 bis 1974 angeblich im LSD-Rausch ver­bracht hatte. Sabotage war ein Höhepunkt für die Band. Black Sabbath, die bei dem opulenten „Supertzar“ vom English Chamber Choir unterstützt wurden, behaupteten stolz ihren Wahn und ihre Größe.

      Judas Priest traten aus dem Schatten ihrer Mentoren heraus und präsen­tierten sich auf der 1978 erschienenen Stained Class mit einem rundum moder­nisierten Sound. Als Kommentar auf das Informationszeitalter bildete das Cover einen metallischen, menschenähnlichen Kopf ab, der von bunten Licht­strahlen durchbohrt wurde. Statt protestierend gegen die herrschenden Mächte aufzuschreien, sprachen Songs wie „Exciter“ und „Saints In Hell“ vom autori­tären Standpunkt aus und schwenkten die unnachgiebige Kraft der Musik wie eine Waffe. Obwohl Ozzy Osbournes Stimme eine bemerkenswerte emotionale Qualität besaß, wurde er im Allgemeinen nicht als begabter Sänger betrachtet; Rob Halford jedoch perfektionierte den brennenden, vibrierend-erschüttern­den Gesangsstil, der von gespenstischem Heulen bis zum wütenden, gepressten Knurren reichte. In Kombination mit modernen Studioeffekten und dem Zwie­gespräch der knackigen Gitarren von Tipton und Downing führte die Verbin­dung von Talent und Technik zu genialem Metal-Sound auf höchstem Niveau.

      Da Heavy Metal in der Presse noch immer marginalisiert wurde, richtete er sich an ein noch unentdecktes Publikum – und Künstler aus dem Metal-Sektor begannen sich auf der Suche nach ihrer Gefolgschaft zu langen Konzerttourneen zusammenzutun. „Mit jedem weiteren Album haben wir wirklich und wahr­haftig mehr und mehr Metal-Fans geschaffen“,meint Rob Halford.„Damals gab es keine breite Metal-Kultur. Wir fuhren durch England und Europa und schließ­lich rüber nach Amerika, und die Leute sprangen auf diesen brandneuen Stil und Sound erst sehr langsam an. Jede Generation sucht nach einer Musik, die sie ihrem Lebensgefühl zuordnen kann, sie will sich mit etwas identifizieren, das nur ihr gehört – und so entstand die Beziehung zu unseren ersten Fans.“

      Die Nahrung, von der Heavy Metal während seines langen Lebens zehren sollte, war bereitgestellt. Als Black Sabbath auftauchten, war der Sound eine Abweichung, die viele nachahmten, aber kaum weiterentwickelten und aus­bauten. Mit der Ankunft von Judas Priest wurde aus Heavy Metal eine voll aus­gereifte Bewegung, die ihre Flugbahn von A nach B zurückverfolgen konnte. Als sich die nächste Welle von Bands auf den Weg machte, glich die Bewegung einer Lawine, die sich mit wachsender Wucht ihren Weg bahnte.

      Gegen Ende der Siebzigerjahre fiel der Name Black Sabbath in Großbritannien häufig, wenn neue Bands über ihre Einflüsse sprachen – dennoch versagte die Band als Einheit. Die siedende Energie einer neuen Generation von Bewunde­rern hätte den Lebensgeistern von Sabbath Auftrieb geben können, allerdings hatte die Band 1976 England verlassen und war nach Los Angeles gezogen, um die exorbitant hohe britische Einkommensteuer zu umgehen. Ozzy, Iommi, Butler und Ward waren zu weit entfernt und erlebten die damalige Musikszene Großbritanniens der späten Siebzigerjahre wie abwesende Väter – nur bei gele­gentlichen Besuchen. Die abgeschlossene Welt, in der sie lebten, begann sich aufzulösen, und zehn Jahre der Tourneen, persönliche Isolation, juristische Pro­bleme und der Missbrauch harter Drogen forderten ihren Tribut.

      Ozzy Osbourne, der sich in sein Alkoholikerdasein verkrochen hatte, verließ Black Sabbath vor den Aufnahmen für Never Say Die von 1978 und wurde kurzer­hand durch den Sänger von Savoy Brown, Dave Walker, ersetzt. Zwar kehrte Ozzy zurück, um das Album fertig zu stellen, verließ Sabbath aber endgültig im Anschluss an eine katastrophale Tour durch Großbritannien, die sich nieder­schmetternd auf die Stimmung der Band ausgewirkt hatte. Eine merkwürdige New-Yorker Band namens The Ramones spielte in jenem Jahr als Sabbath-Vor­gruppe in den Vereinigten Staaten, während Van Halen aus Los Angeles – die sich ursprünglich nach einem Instrumentalstück auf Paranoid Rat Salad genannt hatten – anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens im Vorprogramm von Sabbaths Englandtournee auftraten. Die athletischen Auftritte von Van Halen stellten die alternden Dämonen aus Birming­ham Abend für Abend in den Schatten. „Die waren so gut“, sagt Ozzy, „und wir waren am Ende unse­rer Kräfte.“

      Die beiden letzten Alben der Ozzy-Ära, Never Say Die und Tech­nical Ecstasy von 1976 zeigten eine erschöpfte Band. Es scheint, als hätten sich Black Sabbath auf dem siebten Album ausge­ruht – und auf dem achten schon wieder. Die mitreißende Härte von Sabotage machte einem lässigen, bluesartigen Swing Platz, der den Zuhörern eine Ver­schnaufpause gewährte; die großartig beklemmenden Gefühle wurden durch Zuversicht ersetzt. Die Band wollte den Fortschritt, zog sich dann aber doch wieder oft auf reine Therapie zurück. Wie Let It Be von den Beatles war es der Sound alter Freunde, die sich gegenseitig bei einer allerletzten Runde unter die Arme griffen. Bill Ward erinnert sich sogar daran, bei den Aufnahmen für Never Say Die als Orientierungshilfe für Ozzy Gesangsspuren eingesungen zu haben.

      Als Ozzy Osbourne Black Sabbath schließlich verließ, war es mehr als nur das Ende einer Ära. Mit seinem Weggang verschwand die persönliche Chemie, die seit der Zeit bestanden hatte, als der Schulhofrüpel Tony Iommi Ozzy als Teenager verprügelte und die acht Alben lang Musik in eine schwermütige, dröhnende, neue, verheerende Tiefe getrieben hatte. Ob Black Sabbath ohne Ozzy weitermachen würden, stand nicht fest. Wer auch immer seinen Platz ein­nehmen würde – wenn die Band überhaupt ohne ihn weitermachen wollte –, musste in die Fußstapfen eines Riesen treten.

      So, wie sich die Beatles trennten, löste auch Ozzy die Band auf, indem er die Anweisungen für ein neues musikalisches Protokoll einprogrammierte. Obwohl sie vorübergehend selbst nicht am Drücker waren, beeinflussten Black Sabbath weiterhin die jüngere Generation, wenn auch von der anderen Seite des Ozeans. Wie sich herausstellen sollte, wurde Heavy Metal immer wieder am besten aus der Ferne inspiriert – von dort, wo starke Eindrücke, Erinnerungen und Bilder dazu führen, dass die Fantasie Amok läuft. Als immer mehr Bands auftauchten, die sich die von Sabbath in Gang gesetzten Kräfte zunutze mach­ten, sollten schließlich der Erfolg und die Exzesse aller anderen Hardrock-Supergroups der Siebzigerjahre daneben verblassen.

      PROTO-METAL DER SIEBZIGER

      Ende der Siebzigerjahre spürten junge Bands die Härte in den unerforschten Felsspalten auf, welche die Dinosaurier des Hardrock hinterlassen hatten. Kiss und AC/DC komprimierten die großartigsten Sounds der Vergangenheit zu mundgerechten Hymnen. Judas Priest und die Scorpions fügten elektrifizierende, sich duellierende Gitarren hinzu – eine unglaubliche neue Dimension, die schließlich das Fundament des Heavy-Metal-Songwritings bildete. Obwohl sie wie Hardrocker aussahen, schufen diese Bands die Grundlage für etwas Neues. Ihre Texte waren weniger abstrakt und stärker dem Leben verpflichtet, wie es sich tatsächlich auf den Straßen abspielte. In den Siebzigern gewannen sie an Macht, nacheinander ließen sie die schleppende