Ian Christe

Höllen-Lärm


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für ein gefährliches Leben und wurde zum Groß­herzog der dreckigen Gleichgültigkeit; Fans imitierten seine Outlawkleidung aus Patronengürteln, Jeanswesten, Cowboyhemden und Motörhead-Aufnähern.

      Die ungehobelten, langhaarigen Mitglieder von Motörhead waren sich der Kluft zwischen Black Sabbath und der Punkexplosion durchaus bewusst und gaben sich mit hämmernden Bassakkorden, verzerrten Gitarren und donnern­dem Schlagzeug einem Speedgelage hin. Lemmy, der mit Politik ebenso wenig am Hut hatte wie mit mythischen Helden, sang mit Schottersteinen anstelle von Stimmbändern und erzählte in verdorbenen Songs von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll. Die ersten drei furiosen Motörhead-Alben – Overkill, Bomber und Ace Of Spades – setzten sich in den englischen Musikcharts fest und machten den Metal-Fans klar, dass eine Band kommerziell erfolgreich sein konnte, ohne ihre ungeglättete Energie und Integrität dafür opfern zu müssen. Black Sabbath hat­ten den Heavy Metal eingeführt, Judas Priest verliehen ihm Glanz, und Motör­head stabilisierten ihn mit neuem Mumm. Heavy Metal schluckte den Punk­rock und drängte weiter voran.

      PUNKROCK

      Punkrock war ein kurzer enthusiastischer Ausbruch mit dem Ziel, die übersättigte Rockszene zu stürzen. Er eroberte London, New York und dann Los Angeles und ersetzte die pseudowissenschaftliche musikalische Hexerei durch einen optisch sehr schroffen Stil. Punk vertrat einen äußerst eigenen Look – man hätte die Sex Pistols und The Clash für Barbands halten können, hätten sie keine orangefarbenen Haare oder rasierte Schädel gehabt. In Kalifornien bewiesen Bands wie Black Flag, Germs und X, dass das Leben nicht allein aus Strandpartys und Sonnenschein bestand. Während der Amtszeit von Gouverneur Reagan attackierten sie die Ideale Hollywoods mit der Wut und der Bedrohlichkeit gesellschaftlicher Außenseiter. Die New-Yorker Szene war dagegen intellektueller, sieht man einmal von ihrer sagenumwobensten Band ab: den legendär minimalistischen Einfaltspinseln The Ramones, die alle die gleichen Jeans und Motorradjacken trugen und nicht müde wurden, von Black Sabbath zu reden.

      Sicherheitsnadel-Klassiker

      Black Flag, Everything Went Black (1982)

      The Clash, The Clash (1979)

      The Damned, Damned Damned Damned (1976)

      The Fall, Live At The Witch Trials (1979)

      Germs, GI (1979)

      The Plasmatics, New Hope For The Wretched (1980)

      The Ramones, Ramones (1976)

      The Ramones, Rocket To Russia (1977)

      Sex Pistols, Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols (1977)

      X, Los Angeles (1980)

      In der Zwischenzeit ging die Sonne über dem britischen Empire unter, das all­mählich in Umweltverschmutzung und Chaos versank. In den späten Siebziger­jahren erreichte die Arbeitslosigkeit zwanzig Prozent, und in Verbindung mit einer wachsenden Inflation entstand so ein Zustand der Stagnation bei steigenden Prei­sen – ein gefürchteter ökonomischer Würgegriff. Die Lebensbedingungen waren so schlecht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, und im Vereinigten König­reich herrschte Bedarf an kreativen Kräften jeglicher Art. Von Punk sprang ein katalysierender Funke über: die Dreistigkeit zu glauben, dass jeder eine Rockband gründen könne.„Mit Punk kam die Idee,dass man in der eigenen Garage oder im eigenen Schlafzimmer eine Plattenfirma gründen kann“, sagt Jess Cox von Tygers of Pan Tang – einer schnelllebigen Mischung aus Riffs und Haaren, die ihre Musik als etwas völlig Neues begriffen.„Auf der rein künstlerischen Ebene war es egal,ob man spielen oder singen konnte – die Idee war, dass man auf eine Bühne stieg und Krach schlug.“ Die Ergebnisse begeisterten eine ganze Generation von Teenagern, die es nicht abwarten konnten, sich auf Vinyl zu verewigen.

      Ozzy Osbourne gab zu, als Jugendlicher vor dem Spiegel im Schlafzimmer zu Beatles-Songs gesungen zu haben. In ähnlicher Manier gründeten John und Mark Gallagher mit einer akustischen Gitarre – einem Mitbringsel von einem Familienurlaub in Spanien – ihre Gruppe Raven. John, der am Bass noch kei­nerlei Erfahrung hatte, stimmte das Instrument einfach tiefer, wenn er mit Üben an der Reihe war. Auf dem BBC-Jugendsender Radio One und in der Fernsehshow Top of the Pops bekamen die Brüder den Glamrock von Slade, Status Quo und Sweet zu hören und saugten ihn voller Begeisterung auf. Obwohl Slade eher eingängigen Fußballrock als Heavy Metal spielten, ver­stärkten Imitatoren wie Raven den exzentrischen Faktor um ein Tausendfaches und verwandelten das Grundrezept in astreine Heavy-Metal-Handelsware.

      Als sie schließlich auf echte Instrumente umstiegen, spielten Raven zunächst an halb privaten Veranstaltungsorten, den Working Men’s Clubs in Newcastle, in denen es billiges Bier und ein Unterhaltungsangebot für die ausgelaugten Hafen- und Fabrikarbeiter gab. Einige dieser Clubs warben Hotelbarsänger an. Andere ließen schlechte Komiker und ein paar um Anerkennung kämpfende Rockbands auftreten. Die Zuschauer warteten auf riesigen Holzbänken an lan­gen aufgebockten Tischen darauf, beeindruckt zu werden. „Man stellte sich vor ein Publikum, das gar nicht die Absicht hatte, sich unterhalten zu lassen, und brachte sie so erst mal gegen sich auf, bis sie reagierten“, erinnert sich John Gal-lagher. „Die Leute warfen mit Biergläsern nach uns. Wir machten Auftritte mit drei Sets. Nachdem wir da auf der Bühne völlig ausgerastet waren, gab es zwi­schen den Sets eine Runde Bingo. Wir saßen hinter der Bühne und versuchten uns das Lachen zu verkneifen, während die Zahlen aufgerufen wurden.“

      Auch Judas Priest sammelten Erfahrungen in Working Men’s Clubs, ebenso wie die frisch gegründeten Saxon aus dem englischen Norden, die damals unter dem charmanten Namen Sonofabitch bekannt waren. Selbst die beinahe schon glamourösen Tygers of Pan Tang bestiegen diese Bretter. „Der ‚Turn‘, wie sie einen nannten, spielte zwei Sets von fünfundvierzig Minuten zwischen dem Bingo und der Fleischtombola“, erinnert sich Tygers-Sänger Jess Cox. „Die Stammkunden kauften sich ein Los, und der Gewinner, dessen Nummer aus dem Hut gezogen wurde, ging mit einem Riesenteller kaltem Fleisch nachhause! Während die Bingozahlen aufgerufen wurden, musste die Band mucksmäus­chenstill sein. Man erwartete eine Menge Coverversionen von uns, und wir polsterten unsere Sets mit Stücken von den Beatles, Motörhead, Ted Nugent und AC/DC auf. Um zehn Uhr abends konnten die Leute tanzen – vorher nicht, wohlgemerkt. Sonst wäre irgendein bulliger Affe im grellen Anzug gekommen und hätte ihnen gesagt, dass sie sich hinsetzen sollen. Das war eine sehr merk­würdige Erfahrung, aber eine großartige Vorbereitung auf die wirkliche Welt.“

      Zehn Jahre, nachdem Black Sabbath regelmäßig im Star Club aufgetreten waren, wurden die liberalen Musikclubs in Hamburg geschlossen – britische Bands konnten nun nicht mehr die Fähre nach Deutschland nehmen und sich dort ihre Lorbeeren verdienen. Londoner Bands hatten ein etwas besseres Leben, da es in der britischen Hauptstadt mehr Gelegenheiten gab, eigenes Material zu entwickeln und nicht nur Coversongs zu präsentieren. 1979 gab es in allen Vierteln Londons unzählige kleinere Clubs, in denen vor allem harte Musik gespielt wurde, dazu gehörten Soundhouse, Music Machine, Marquee und Bandwagon. Sie alle waren Sprungbretter für das berühmte Hammersmith Odeon, die wichtigste Konzerthalle in Westlondon mit einer Kapazität von drei­tausendfünfhundert Besuchern, in der Motörhead, später auch Iron Maiden und Venom, triumphale Livealben aufnahmen.

      Angesichts des Desinteresses, das ihnen seitens der Majorlabels entgegenschlug, nahmen die briti­schen Bands die Sache selbst in die Hand und gründeten unabhän­gige, spezialisierte Plattenfirmen. Kleinere Unternehmen konnten durch den Verkauf weniger tau­send Platten überleben, wenn es ihnen gelang, Minihits in produk­tiver Abfolge zu veröffentlichen. „Die Bewegung entstand durch das ganze Do-it-yourself-Ethos der Plattenfirmen“, sagt Jess Cox. „Heavy Metal Records, Ebony Records, Music for Nations und so weiter. Neat Records ist ein gutes Beispiel. Neat [das Stammlabel von Raven] konnte nicht mit den Majors konkurrieren, aber plötzlich war es cool, unabhängig und klein zu sein. Die Medien unterstützten das, also nahmen die Läden das Zeug in ihre Bestände auf, und die Kids kauften es.“

      Bands entwarfen ihre eigenen Plattencovers, gewöhnlich in Schwarzweiß, und machten deren Schlichtheit durch auffällige Logos und apokalyptische Bil­der aus Fantasy- und Sciencefiction-Comics wieder wett. Als Raven und Tygers of Pan Tang allmählich berühmter wurden, begannen schließlich auch die eta­blierten britischen wöchentlichen Musikzeitschriften wie Sounds