Peter Langer

Krawattennazis


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Kassel abkommandiert. Für sie selbst eine Erleichterung, denn Nofri wohnte in Berndorf gleich um die Ecke und musste nun nicht jeden Morgen die Pilgerreise ins weite Kassel antreten. Und sie sprang ins Auge. Ihre lange Zeit kinderlosen Eltern – ihr Vater war immer noch Vertreter für Landmaschinen in Berndorf – hatten vor knapp 30 Jahren die Entscheidung getroffen, ein Mädchen unbekannter afrikanischer Eltern zu adoptieren. In einer sehr ländlich geprägten Region wie Nordhessen zur damaligen Zeit eine bemerkenswerte und eindrucksvolle Entscheidung. So ein Kind fiel auf. Und das tat Nofri bisweilen bis heute. Emde hatte schon gehört, dass sich bei Ermittlungen oftmals, trotz aller gepredigter Offenheit, bei vielen Befragungen Ressentiments ergeben hatten. Manchmal auch offener Rassismus. Die Leute – auch solche, die sich selbst als in keiner Weise von Vorbehalten gegenüber Menschen aus anderen Kulturräumen als dem mitteleuropäischen geprägt bezeichnen würden – sprachen lieber mit dem sichtbar aus heimischen Regionen stammenden Kollegen als mit einer afrodeutschen Beamtin. Sogar dann, wenn Nofri als Kommissarin einen höheren Dienstgrad besaß. Zudem wurde ebenso oft die Frage gestellt, ob denn die Kollegin „aus Afrika ein Praktikum bei der deutschen Polizei“ mache. Einmal war wohl auch das Wort ‚Negerin‘ gefallen. Meistens löste sich das alles auf, wenn Nofri begann, in dem in der Region heimischen Zungenschlag zu sprechen, den sie durch ihre Adoptiveltern perfekt beherrschte. Es war ja auch ihre Muttersprache. Aber das musste man den Leuten einhämmern! Emde hatte sie sofort gemocht. Sie brachte Ruhe ins Team und war durch ihr großes Allgemeinwissen eine Mitarbeiterin von unschätzbarem Wert.

      Tatsächlich war ihr Spitzname, der sich aus den Anfangsbuchstaben ihres Vor- und Zunamens zusammenzusetzen schien, mit großem Bedacht gewählt: Nofris gleichmäßige und schöne Gesichtszüge hatten tatsächlich eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit dem Gesicht der ägyptischen Königin Nofretete. Emde ermutigte sie zu sprechen. „Nofri, du willst etwas sagen?“ Die junge Frau zögerte noch. Doch dann gab sie sich einen Ruck. „Ich denke, wir sollten in Erwägung ziehen, dass wir es vielleicht mit Wissen von größter Bedeutung zu tun haben.“ Emde lehnte sich zurück und wartete ab, was da noch kommen mochte. Wissen von größter Bedeutung. Er beneidete schon jetzt die Kollegen, die in Kassel ständig mit ihr zu tun hatten. Nofri sprach – und alle hingen an ihren Lippen, nicht zuletzt wegen ihrer äußerst gepflegten Wortwahl. Man konnte ihr gut zuhören. Auch, wenn sie sicherlich auch andere Saiten aufziehen konnte. Als Kind mit Landmaschinen groß geworden konnte sie zweifellos eine Wortwahl an den Tag legen, die der groben Natur des Profils eines Traktorreifens in nichts nachstand. „Wissen, für das getötet wird. Gehen wir davon aus, dass es sich um etwas handelt, für das man sich Schweigen mit viel Geld erkaufen kann, dann wäre Lieberknecht nicht ermordet worden. Trotz seiner Millionen, solche Typen neigen immer mehr zur Raffsucht. Sie hätten das irgendwie mit viel Geld unter sich ausgemacht. Außerdem müssen wir bedenken, dass die Tat an sich eine gewisse Strahlkraft hat.“ Sie machte eine Pause und trank einen Schluck Kaffee aus einem Becher, der für irgendein Musikfestival warb. ‚Jazz!‘ las Emde in reduzierter Bauhausschrift. Richtig, Nofri war ja Jazzhörerin, er hatte es schon von Bangert gehört. Vielleicht sollte er sie mal mitnehmen zu Kleine? „Wir haben hier also eine Person oder eine Personengruppe, die den einzigen Ausweg darin sieht, eine ohne jeden Zweifel große Summe zu investieren, damit Lieberknecht dieses Wissen, dass er besitzt, nicht weitergibt. Auf gar keinen Fall. Andere sollen sehen, dass die, die hinter dieser Tat stecken, vor so etwas nicht zurückschrecken. Und damit landen wir bei Hintermännern, die sich entweder gut tarnen und ihre Spuren gut verwischen können oder sich geografisch weit außerhalb der rechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland befinden. Also in Staaten, mit denen die Bundesrepublik kein Rechtsabkommen über Strafverfolgung und Auslieferung hat.“ Bangert schmunzelte: „Also quasi ein Mord mit Aussicht.“ Gelächter durchlief kurz das Team angesichts dieser Anspielung auf eine einst beliebte TV-Krimireihe, die in der ländlichen Eifel spielte, aber in Wirklichkeit im Oberbergischen Land gedreht worden war. Doch Emde nickte. „Guter Ansatz!“ Er deutete auf die Ordner, die immer noch wie ein Bataillon Wachsoldaten in einer Reihe auf seinem Schreibtisch standen. „Da haken wir ein. Nofri, sehr gut. Wir müssen wissen, inwieweit Prospersoil solche Verbindungen haben könnte. Findet mir alles raus über mögliche Mitinvestoren aus Ländern, in denen der Hang zur Gewaltausübung möglicherweise etwas lockerer gesehen wird. Russland, der gesamte eurasische Bereich. Vielleicht auch Südamerika und Afrika.“ Emde stand auf. Es war bald Zeit, sich auf den Weg zum Termin mit Döhrenbach zu machen. „Das ist jetzt die wichtigste Zeit, Leute. Mit jeder Stunde werden die Spuren kälter. Wir müssen gucken, dass wir mit den Ermittlungen vom Fleck kommen.“

      Kapitel 6

      Der Weg nach Kassel, wo Prospersoil eine beeindruckende Niederlassung hatte, führte Emde durch das Twistetal und an Bad Arolsen vorbei in Richtung A44. Von dort sah er schon bald die Kasseler Berge links von der Autobahn in der Sonne des vorangeschrittenen Nachmittags in die Höhe ragen. Am Morgen vor seinem Termin in der Pathologie hatten sie noch eindrucksvoller gewirkt, als sich die tiefen Schatten zu ihren Füßen ausbreiteten und nur vereinzelte Sonnenstrahlen über die Bergrücken leuchteten. Er hatte Nofri kurzerhand gebeten mitzukommen, sie wiederum hatte sich ohne groß zu zögern mehrere Aktenmappen aus zwei Ordnern gezogen. Sie sprachen wenig auf dem Weg. Die junge Ermittlerin blätterte durch die Seiten, machte sich Notizen, recherchierte hin und wieder etwas über ihren Tablet-PC. „Dieser Pressesprecher …“ Sie suchte mit dem Finger schnipsend nach dem Namen. Emde half ihrem Gedächtnis nach: „Döhrenbach …?“

      „Döhrenbach, ja. Was für ein Typ ist das, was hast du für einen Eindruck?“

      Emde dachte nach. Er hatte nur kurz mit dem Mann gesprochen. Das allerdings hatte für einen ersten Eindruck gereicht. „Sehr sicher, sehr bestimmend. Eher unangenehm. Selbstverliebter Typ. Klang relativ jung.“ Sie nickte, ließ ihn aber nicht an ihren Gedanken teilhaben, sondern vertiefte sich wieder in die Unterlagen.

      Sie erreichten das moderne Bürogebäude im westlichen Teil von Kassel nahe der Wilhelmshöhe etwa zehn Minuten später. Es beherbergte neben dem Explorationsunternehmen zwei Anwaltskanzleien, eine Unternehmensberatung und einen Landesverband für Immobilien. Der sehr alerte, blutjunge Mitarbeiter am Empfangstresen trug einen Anzug, der ihn reichlich schlaksig wirken ließ. Er ging eine Liste durch und schaute dann Nora Freese mit einer leichten Missbilligung an. „Ich habe hier nur einmal Emde …“, begann er seinen Satz unsicher und mit der brüchigen Falsettstimme eines jungen Erwachsenen. Emde drehte die Augen zur Decke. „Kommissarin Freese ist meine Assistentin in den Ermittlungen.“ Sein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass er die Rückfrage des jungen Mannes für eine peinliche Entgleisung hielt und sie absolut daneben fand. Doch im gleichen Augenblick ärgerte er sich schwarz. Ermittlungen? Welche Ermittlungen? Dieser Bursche dürfte kaum wissen, was der Grund ihres Besuchs bei Prospersoil war. Nun wusste er es und würde es herumerzählen. Leute, die Prospersoiltypen haben heute Besuch von den Bullen bekommen! Doch, doch! Als Nora Freese mit einer elegant-fließenden Bewegung lautlos ihren Dienstausweis auf den Tresen legte, wurde der Mann vollends blass. Auch das würde er nicht für sich behalten können, eine African Queen, Alter, so etwas habe ich noch nicht gesehen! Ein Telefonhörer war plötzlich an sein Ohr gezaubert, auf einem unsichtbaren Telefon wurde eine Durchwahl gewählt. Nur zwei Minuten später öffneten sich vor ihnen die Fahrstuhltüren in den dritten Stock: Über einen geräumigen Flur mit dezenter Beleuchtung und Teppichboden mit tiefem Flor kam ihnen ein Mann etwa um die Dreißig in einem perfekt sitzenden, modisch-taillierten grauen Anzug und weißem offenen Hemd entgegen. Er hatte eher etwas von einem Startrompeter als von einem Büroarbeiter, dachte Emde und verfluchte sich zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten – er hätte Döhrenbach vorher googeln müssen! Aber offensichtlich schien dies tatsächlich der Sprecher von Prospersoil zu sein. Wie ein Schwert hatte er bereits zehn Meter zuvor seinen rechten Arm zum Gruß ausgestreckt und schien Emde zunächst gar nicht wahrzunehmen. „Frau Kommissarin Freese, es ist mir eine außerordentliche Freude …“ Das freundliche Lächeln erinnerte Emde an das Jungengesicht auf den Pappschachteln von Kinderschokolade. Es schien beinahe echt. Dann war er an der Reihe. „Hauptkommissar Emde. Willkommen bei Prospersoil. Nun, es sind tragische Umstände, die uns zusammenführen, aber was wir tun können, um Sie bei den Ermittlungen zu unterstützen, das wollen wir tun. Auch in unserem Interesse.“ Seine Hand, die vorher wie eine Waffe auf sie gerichtet war, wies ihnen nun den Weg den