Jermaine Jackson

You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson


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von einem Musiklehrer empfohlen worden war. Er war ein lebhafter, gut gelaunter kleiner Kerl mit einem frechen Grinsen, etwa 14 Jahre alt und vermutlich der beste junge Schlagzeuger der ganzen Umgebung, der von seinen Fähigkeiten ebenso überzeugt war wie Michael von seinem Tanz. Johnny spielte einen tollen Backbeat und verfügte vor allem über ein exquisites Timing. Er schlug so heftig auf seine Drums ein, dass wir den Rhythmus meist über die Bühnenbretter in unseren Füßen spüren konnten. Johnny Jackson prägte unseren Sound entscheidend.

      Und noch jemand stieß in dieser Zeit zur Familie: Jack Richardson, ein Freund von Joseph und ein unglaublich netter Kerl. Er sprang als Fahrer ein, weil unser Vater die langen Touren nicht mehr allein bewältigen konnte. Jack blieb jahrelang bei uns und wurde ein fester Bestandteil unseres Teams. Die vielen Stunden am Steuer, die er ohne zu klagen hinter sich brachte, verrieten uns, wie sehr er an uns glaubte. Wo auch immer ein Auftritt für uns gebucht worden war – Kansas City, Missouri, Ohio –, Jack war sofort voller Begeisterung mit dabei.

      Unsere Marathontrips quer durchs Land seien wichtig, sagte Joseph, weil wir „ein weißes wie auch ein schwarzes Publikum ansprechen“ sollten. Er war fest entschlossen, uns eine gemischtrassige Fangemeinde zu schaffen, und das zu einer Zeit, da die Bürgerrechtsbewegung in vollem Gange war. Wir waren Kinder, wir verstanden die Bedeutung der Rassenfrage ohnehin nicht. Uns war es egal, ob die Gesichter in der Menge schwarz oder weiß waren, und es wirkte sich schon gar nicht auf unsere Show aus. Die Reaktion des Publikums war ohnehin immer die gleiche – die Leute liebten uns.

      Auch von den ganzen geschäftlichen Abmachungen verstanden wir nichts: Wir sprangen einfach in den Bus, fuhren zum Club, der uns gebucht hatte, und gingen auf die Bühne. Mehr interessierte uns auch nicht. Während wir nach den Auftritten noch backstage oder im Hotel herumsaßen, war Joseph für uns unterwegs, schüttelte Hände und knüpfte Verbindungen. Wir wollten eigentlich immer nur nach Hause, aber oft genug kreuzte er noch mit einem neuen „Kontakt“ auf, und wir wussten, dass wir nun wieder engagiert dreinschauen und unser Bühnenlächeln aufsetzen mussten. Während wir an unserem Durchbruch arbeiteten, musste sich Joseph immer wieder mit dem Vorurteil herumschlagen, dass ein Haufen „Milchbubis“ gar nicht richtig gut sein könne. Aber er ließ sich niemals beirren und hielt daran fest: Wenn Stevie Wonder es schaffen konnte, dann auch seine Söhne.

      Und dann zeigte sich ein erster Hoffnungsschimmer am Horizont, in Gestalt eines Gitarristen namens Phil Upchurch, den wir nach einem Konzert in Chicago kennenlernten. Joseph erzählte uns ganz begeistert, dass Phil bereits mit Künstlern wie Woody Herman, Curtis Mayfield und Dee Clark gearbeitet habe. 1961 hatte er mit „You Can’t Sit Down“ eine Single veröffentlicht, die sich über eine Million Mal verkaufte. „Und er wird jetzt mit euch ein Demoband aufnehmen“, erklärte uns Joseph. Das war eine große Sache, denn Phil hatte eine Menge Einfluss in der Szene von Detroit, und wir sprangen herum, als ob Jackie gerade einen verbotenen Homerun geschafft hätte.

      Michael löste sich aus unserer euphorischen Umarmung und umklammerte Phils Beine. „Könnte ich bitte ein Autogramm von Ihnen bekommen?“ Phil, der selbst gerade erst 25 war, zog ein Stück Papier aus seiner Jackentasche und kritzelte schnell seine Unterschrift darauf. Michael umklammerte seine Beute den ganzen Weg nach Hause wie einen kostbaren Schatz. An dieser Geschichte gefällt mir vor allem der Nachsatz: Mehr als zehn Jahre später schrieb Phil an Michael und bat ihn um sein Autogramm. Aber er bekam weit mehr als das – er wurde eingeladen, bei „Working Day & Night“ von Michaels erstem Soloalbum Off The Wall Gitarre zu spielen.

      Doch damals, in Gary im Jahr 1967, machte sich Mutter vor allem darüber Sorgen, wer für das Studio und die Bandkopien zahlen würde. „Ich“, erklärte Joseph. „Die Sache kommt gerade in Schwung“, versicherte er ihr erneut.

      Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht mehr genau daran, in welcher Reihenfolge nun alles Weitere geschah, aber es verhielt sich so: Phil Upchurch hatte denselben Manager wie die R&B-Musikerin Jan Bradley. Diese hatte 1963 mit „Mama Didn’t Lie“ einen Hit gelandet, und der Mann hinter dem Arrangement dieses Songs war der Saxophonist und Songwriter Eddie Silvers, der früher bei Fats Domino gespielt hatte und jetzt als musikalischer Leiter bei dem aufstrebenden Label One-derful Records arbeitete. Und so kam es, dass wir über Phil und Jan schließlich Kontakt zu Eddie bekamen, der dann den Song für unser Demo schrieb, „Big Boy“.

      Ich vermute, dass Pervis Spann ebenfalls seine Finger im Spiel hatte, aber leider spielt mein Gedächtnis hier nicht mit. Ich weiß nicht mehr, wieso sich das Label One-derful letztlich dann doch nicht für uns interessierte, aber kurz darauf klopften Steeltown Records bei uns an, in Gestalt des Songwriters und Label-Mitbegründers Gordon Keith. Joseph war nicht einmal besonders begeistert, weil Keith ebenso wie er Stahlwerker von Beruf war und das Mini-Label erst ein Jahr zuvor gemeinsam mit dem Geschäftsmann Ben Brown aus der Taufe gehoben hatte. Der große Wurf schien das gerade nicht zu sein. Aber Keith wollte uns wirklich gern unter Vertrag nehmen. Mutter schildert die Geschichte so: „Er wollte euch langfristig an sich binden, aber Joseph sagte immer wieder: ‚Nein, wir haben so viele Angebote, das mache ich nicht.‘ Keith wollte euch aber so unbedingt auf seinem Label haben, dass er der kürzesten Vertragsdauer zustimmte – sechs Monate.“

      Joseph betrachtete Steeltown zwar nie als Label, das wirklich etwas im Musikgeschäft bewegen konnte, aber er wusste, dass ein Plattenvertrag an sich erst einmal einige Vorteile mit sich brachte: Vor allem würden wir von den Lokalradios gespielt werden, wenn es erst einmal eine richtige Platte gab. „Big Boy“, unsere erste Single, erschien also 1967. Keith zufolge verkaufte sie sich im amerikanischen Mittelwesten und in New York um die 50 000 Mal. Wir wurden sogar unter den Top 20 der Musikzeitschrift Jet geführt. Aber der größte Augenblick kam für uns, als WVON Radio die Single zum ersten Mal spielte. Wir saßen alle um unser kleines Empfangsgerät herum und konnten es kaum glauben, dass das unsere Stimmen waren, die aus dem Kasten drangen. Es war ein bisschen so, als ob man ein Gruppenfoto in die Hände bekäme und zuerst das eigene Gesicht suchte und guckte, wie man aussieht. Genauso war das jetzt am Radio – wir lauschten unseren eigenen Stimmen in den Harmonien und den Oohs und Aahs des Begleitgesangs. Hier, in diesem Wohnzimmer, hatten wir die ersten Schritte unternommen, wir hatten verdammt hart gearbeitet, und nun erfüllte unsere Musik die Wohnzimmer von Gary und Chicago. Wir waren überwältigt.

      Da wir uns fast nur noch auf die Shows konzentrierten, trat unsere Schulausbildung immer mehr in den Hintergrund. Es war nicht so einfach, sich den Anforderungen des Unterrichts weiter zu fügen, wo wir doch längst wussten, dass die Bühne einmal unsere Lebensgrundlage sein würde – was Joseph längst ganz genauso sah.

      In der Schule war ich ohnehin oft traurig, weil wir da voneinander getrennt waren. Wir mussten in verschiedene Klassenzimmer, Jackie und Tito sogar auf ganz andere Schulen. Ohne meine Brüder in meiner Nähe fühlte ich mich angespannt und verletzlich. Und wenn ich Brüder sage, meine ich das auch im übertragenen Sinn – wir waren mehr als nur Geschwister, wir waren ein Team. Immer wieder guckte ich auf die Uhr und freute mich auf die Pause, wenn ich wieder mit Marlon und Michael zusammenkam. Die Lehrer hielten meine Niedergeschlagenheit fälschlicherweise für gutes Benehmen, und so wurde ich aus ganz verkehrten Gründen zum Liebling vieler Lehrer. Auch gehörte ich zu den Glücklichen, die sich nicht besonders anstrengen mussten, um einigermaßen gute Zensuren zu bekommen. Daher wurde ich oft ausgewählt, um Besorgungen zu erledigen, Sachen zu holen oder irgendwohin zu bringen.

      Diese Botengänge nutzte ich oft, um an Michaels Klassenzimmer vorbeizugehen und mich davon zu überzeugen, dass bei ihm alles in Ordnung war. Vom Flur aus konnte ich durch die offene Tür sehen; vorsichtig stellte ich mich so hin, dass die Lehrerin mich nicht entdecken konnte. Michael war stets sehr konzentriert, entweder über sein Schulheft gebeugt, wenn er etwas schrieb, oder aber seine Blicke waren auf die Tafel gerichtet. Sein Banknachbar sah mich meist zuerst und gab ihm dann einen kleinen Stups. Michaels Augen glitten dann zwischen der Lehrerin und mir hin und her – er war stets bestrebt, nicht aufzufallen. Wenn sie sich umdrehte, traute er es sich, mir kurz zuzuwinken.

      Mutter fand es seltsam, dass ich nach ihm sah, aber für mich war es völlig in Ordnung, dass ich mich als der Ältere gelegentlich überzeugte, wie es meinem kleinen Bruder ging. Damit tat ich meine Pflicht.

      Michael machte sich auf der Schule besser als ich. Sein Wissensdurst