Jermaine Jackson

You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson


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dass sich in seinem Kopf ein Aufnahmechip für Daten, Fakten, Zahlen, Texte und Tanzschritte befand.

      Morgens ging ich mit Michael noch in recht gemütlichem Schritt zur Schule, aber nachmittags rannte er nach Hause. Der Heimweg zeigte deutlich, wer von uns Brüdern mit wem am engsten verbunden war. Michael und Marlon liefen herum wie Batman und Robin. Auf der Straße oder auf der Aschenbahn forderte Michael Marlon ständig zu Wettrennen heraus, und jedes Mal hängte er ihn beim Sprint ab. Marlon hasste es, wenn er verlor … und er behauptete gern, Michael habe gemogelt. Dann fingen die beiden an, sich zu prügeln, und Jackie musste sie auseinanderbringen. Michael war jedes Mal wieder verblüfft, wieso die Dinge so aus dem Ruder liefen. „Ich habe ganz ehrlich gewonnen!“, erklärte er dann schmollend.

      Ihre gemeinsame Energie war schlicht überwältigend, wenn sie durchs Haus liefen oder durch den Garten, wenn sie schrien, lachten, brüllten. Das Gespann Michael-Marlon machte Mutter oft verrückt, wenn sie beim Kochen war. Manchmal wirbelte sie herum, packte sie im Lauf an beiden Armen und drückte ihnen die Knöchel an die Schläfen.

      „Aua!“

      „Ihr müsst euch mal beruhigen, Jungs!“, rief sie dann.

      Und das taten sie meist auch. Für vielleicht zwanzig Minuten. Dann standen sie schon wieder am Kinderzimmerfenster und spielten „Soldat“, indem sie zwei Besenstiele über das Fensterbrett legten und so taten, als ob sie auf Passanten schössen.

      Tito und ich waren auch wie der Schatten des jeweils anderen, und Mutter zog uns auch gleich an, wobei unsere Kleidung später natürlich als Garderobe für die jüngeren Geschwister diente. Wir kommandierten Michael und Marlon gern herum und befahlen ihnen, Sachen für uns zu holen und dies oder das zu tun, aber Jackie ließen wir meist in Ruhe, weil er älter und leicht reizbar war, und Randy war sowieso der Kleinste, der erst noch dabei war, die Welt für sich zu entdecken.

      Für Außenstehende war Michael derjenige, der am schwersten einzuschätzen war, denn er erwachte nur in zwei bestimmten Umgebungen wirklich zum Leben – in der geschützten Atmosphäre bei uns zu Hause und auf der Bühne. Wenn es um die Jackson 5 ging, gab er all seine Energie und Konzentration – kein anderes Kind hätte so selbstsicher und kontrolliert agieren können wie er. Wenn man ihn auf der Bühne erlebte, dann zeigte er ein überragendes, außergewöhnliches Selbstbewusstsein, aber auf dem Schulhof wirkte er sehr zurückgezogen, bis er angesprochen wurde.

      Zu Michaels engsten Freunden zählte ein Junge namens Bernard Gross. Er war eigentlich mit uns beiden befreundet, aber Michael mochte ihn wirklich sehr. Er fand, er sei „wie ein kleiner Teddybär“ – mit rundem Gesicht und mollig, jemand, der rot wurde, wenn er lachte. Er war so alt wie ich, aber nur so groß wie Michael, und ich glaube, Michael schmeichelte es, dass ein älterer Junge mit ihm befreundet sein wollte. Bernard war ein unglaublich netter Kerl. Uns allen tat er leid, weil seine Mutter ihn ganz allein großzog; wir konnten uns gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, ein Einzelkind zu sein. Ich glaube, auch deswegen hatte er einen gewissen Exotenstatus bei uns und wurde der einzige Außenstehende, der die Ehrenmitgliedschaft im Club der Jackson-Brüder erhielt.

      Michael fand es schlimm, wenn Bernard weinte. Er hasste es, wenn sein Freund sich über etwas aufregte, und wenn das geschah, dann weinte Michael gleich mit. Mein Bruder entwickelte schon in jungen Jahren eine große Sensibilität und Mitgefühl. Aber umgekehrt taten wir auch Bernard leid. Einmal bekam er mit, dass ich in den Schnee hinausgehen sollte, um Limonade zu kaufen, aber ich hatte keine Lust und sagte das auch. Daraufhin bekam ich von Joseph mehrere Male eins mit einem Holzlöffel übergezogen; heulend lief ich anschließend zum Laden und wieder zurück. Bernard begleitete mich, damit ich mich besser fühlte. „Joseph macht mir Angst“, sagte er.

      „Könnte schlimmer sein“, schniefte ich.

      Könnte schlimmer sein. Wir könnten gar keinen Vater haben, dachte ich.

      Musikalisch sollte vor allem eine Band auf Michael großen Einfluss haben, die damals gerade erst durchstartete: Sly And The Family Stone. Wir wurden über Ronny Rancifer auf sie aufmerksam, der gerade als Keyboarder zu uns gestoßen war. Er stammte aus Hammond, East Chicago. Mit seiner beeindruckenden Größe nahm er im VW-Bus zwar recht viel Platz ein, aber seine lebhafte Art sorgte auf unseren Fahrten für noch mehr Spaß. Michael, er und ich träumten oft davon, eines Tages gemeinsam Songs zu schreiben. Und deswegen erzählte er uns von den Brüdern Sly und Freddie Stone, ihrer Keyboard spielenden Schwester Rose und den anderen Mitgliedern der siebenköpfigen Gruppe, die 1966/67 erstmals von sich reden machte, bis ihre Poster schließlich neben denen von James Brown und den Temptations in unserem Zimmer hingen. Mit ihren engen Hosen, den psychedelischen Hemden und den großen Afro-Frisuren bot diese neue Band eine visuelle Explosion. Wir liebten alles an ihren Songs und ihren Texten, in denen es um Themen wie Liebe, Harmonie, Frieden und Verständnis ging, wie in ihrem Hit „Everyday People“ von 1968. Sie schenkten der Welt eine Musik, die ihrer Zeit weit voraus war: R&B, versetzt mit Rock, gewürzt mit Motown.

      Für Michael war Sly der ultimative Performer, er beschrieb ihn als musikalisches Genie. „Ihr Sound ist anders, und jeder von ihnen ist irgendwie anders“, sagte er. „Sie sind zwar zusammen, aber auch einzeln sind sie stark. Das gefällt mir!“

      Wie wir anderen spürte auch Michael allmählich, dass Josephs Vertrauen in uns gerechtfertigt war. Wir veröffentlichten noch eine Single auf dem Steeltown-Label, „We Don’t Have To Be 21 To Fall In Love“, aber wir wollten längst mehr als nur regionalen Erfolg.

      Im Sommer schliefen wir immer bei offenem Fenster, damit die kühle Nachtluft hereinwehte, aber Joseph machte sich deswegen Sorgen, denn schließlich lebten wir in einem Viertel mit hoher Kriminalität. Erst als wir älter wurden, merkte er jedoch, dass wir es vor allem deswegen offen ließen, damit wir tagsüber ins Haus konnten, wenn wir die Schule schwänzten. Michael war zwar viel zu wohlerzogen, um so etwas zu tun, aber wenn ich keine Lust auf den Unterricht hatte, dann ging ich mit den anderen zusammen aus der Haustür, löste mich dann irgendwann von der Gruppe, versteckte mich irgendwo und kletterte später wieder ins Zimmer. Dort versteckte ich mich im Wandschrank, der eine großartige Höhle für diesen Zweck darstellte, und saß dort oder schlief, aß etwas aus meinem Süßigkeitenlager oder ein paar Salamisandwiches. Tito und ich nutzten den Schrank jahrelang als Versteck. Wenn es Zeit zum Nachhausekommen war, sprang ich durch das Fenster in den Garten hinaus und trat durch die Vordertür wieder ein.

      Irgendwann hatte Joseph es satt, uns dauernd wegen des offenen Fensters anzubrüllen. Eines Nachts wartete er, bis wir alle schliefen, ging nach draußen und kroch dann zum Fenster herein, eine hässliche, furchteinflößende Maske vor dem Gesicht. Als sich diese große Gestalt mit den Beinen voran in unser Zimmer schob, wurden wir fünf Jungen mit einem Ruck wach und kreischten das ganze Haus zusammen. Michael und Marlon klammerten sich aneinander und waren außer sich vor Angst. Joseph schaltete schließlich das Licht an und nahm die Maske ab. „Ich hätte jemand anderes sein können. Und jetzt haltet ihr das Fenster geschlossen!“

      Anschließend hatten einige von uns Albträume, vor allem die beiden im mittleren Etagenbett, aber dass Michael davon richtiggehend traumatisiert wurde, wie später gelegentlich behauptet wurde, das ist lächerlich. Joseph trug häufig mal Masken und fand es lustig, uns im Dunkeln anzuspringen, sich von hinten anzuschleichen oder eine Plastikspinne oder Schlange in eines unserer Betten zu legen, vor allem rund um Halloween. Zu 99 Prozent fand Michael das ebenfalls herrlich und genoss den Gruselkitzel. Wenn jemand einen Schaden davontrug, weil fortan das Fenster tatsächlich geschlossen blieb, dann war ich das, weil ich ab sofort gezwungen war, meine Anwesenheitsquote an der Schule gewaltig zu verbessern.

      Joseph meldete uns dann für einen Talentwettbewerb im Regal Theater in Chicago an, und wir gewannen mit deutlichem Vorsprung. Auch an den nächsten beiden Sonntagen versuchten wir unser Glück, und wir siegten jedes Mal, drei Mal hintereinander also. Damals galt die Regel, dass man für so einen Hattrick belohnt wurde, indem man anschließend für einen echten Auftritt engagiert wurde, für den es auch tatsächlich eine richtige Gage gab, und so standen wir schließlich eines Abends vor Gladys Knight & The Pips auf der Bühne, die gerade von Motown Records unter Vertrag genommen worden waren.

      Bei den Proben waren wir gerade mitten in