erinnere, fand unser erster echter öffentlicher Auftritt als The Jackson 5 am 29. August 1965 statt, an dem Tag, als Michael sieben Jahre alt wurde. Das fiel allerdings niemandem auf, denn mit den Geburtstagen war es wie mit Weihnachten, sie wurden im Hause Jehovas nicht gefeiert. Aber Michaels siebter Geburtstag war insofern anders, als es eben doch kein ganz normaler Tag wie alle anderen war.
Evelyn Lahaie, die Frau aus der Nachbarschaft, die unseren Gruppennamen vorgeschlagen hatte, eröffnete uns die Chance, bei einer Modeveranstaltung für Kinder aufzutreten, die sie im Big-Top-Einkaufszentrum an der Kreuzung von Broadway und 53. Avenue veranstaltete. Sie war die Moderatorin des „Tiny Tots Jamboree“, einer Fete für die Kleinen, und wir wurden angekündigt als „The Jackson Five Musical Group: eine neue, spektakuläre Band der kleinen Leute“. Ich erinnere mich nur noch daran, dass eine ganz ordentliche Zahl junger Mädchen da war und Joseph uns nach dem Auftritt sagte, wir sollten „runter zum Publikum und unsere Fotos verkaufen“.
Für uns war diese Fete in erster Linie eine gute Möglichkeit, uns für die richtig große Sache aufzuwärmen, die einige Monate später, Anfang 1966, an der Schule von Jackie und Rebbie stattfinden sollte, der Theodore Roosevelt High. Bei dem Auftritt im Einkaufszentrum hatte uns Mutter schon gesagt, dass wir bald auf besseren Bühnen stehen würden. Die Schule veranstaltete einmal im Jahr einen Talentwettbewerb, bei dem die verschiedensten Bands aus der Stadt gegeneinander antraten – Garys Version der Ed Sullivan Show sozusagen. Wir waren bei weitem die Jüngsten, und wir konnten es nicht erwarten, neben den anderen zu bestehen.
Hinter der Bühne trommelte Michael auf den Bongos, die er noch immer spielte. Jackie schüttelte seine Maracas, und noch zwei weitere Bandmitglieder stießen zu uns: Jungs aus der Gegend, Earl Gault, unser erster Schlagzeuger, und Raynard Jones, der bei ein paar Gelegenheiten Bass spielte. Die Turnhalle der Schule war gerammelt voll. Dieses Mal handelte es sich um zahlendes Publikum; ein Ticket kostete 25 Cent. Wir wussten außerdem, dass ein paar vertraute Gesichter darunter sein würden, zum Beispiel einige von denjenigen, die sich schon zuvor die Nasen an unserem Fenster plattgedrückt hatten und die nur darauf warteten, dass wir uns blamierten.
Als Tito unsere Gitarren holen wollte, die abseits der Bühne an einer Wand lehnten, stellte er fest, dass jemand versucht hatte, uns zu sabotieren, indem er an den Wirbeln der Instrumente herumgefummelt hatte. Josephs guter Rat – „Überprüft immer, ob die Gitarren richtig gestimmt sind“ – rettete uns gerade noch rechtzeitig den Hals. „Da will jemand nicht, dass ihr gewinnt“, sagte unser Vater, „also geht jetzt da raus und zeigt’s ihnen!“
Er stand neben uns am Bühneneingang, und er sah nicht halb so zuversichtlich aus, wie wir uns fühlten. Vor unseren Auftritten war er immer nervös – in unseren Anfangstagen, als wir in Talentshows spielten, aber auch später noch, als wir schon einen Plattenvertrag hatten. Während wir auf der Bühne standen, besaß er keine Möglichkeit mehr, auf uns einzuwirken, und keine Kontrolle. Aber wir waren bereit. Wir traten vors Publikum, höflicher Applaus schallte uns entgegen, und wir schalteten auf den Autopiloten unserer Proben. Den Anfang machten wir mit „My Girl“ von den Temptations. In dem kurzen Augenblick, als der Applaus verhallte und die Musik noch nicht eingesetzt hatte, sah ich kurz zu Tito hinüber, und hinter ihm im Schatten sah ich Joseph. Immer noch angespannt. Raynard am Bass legte mit dem pulsierenden Anfang los … dann folgte Tito mit dem Melodiebogen auf der Gitarre … Jackie mit seinen Maracas, Michael mit seinen Bongos … und dann fing ich an zu singen.
Wir kamen richtig in Schwung, als ich eine weitere Temptations-Nummer anstimmte, das etwas schnellere „Get Ready“. Und Jackie, Marlon und Michael ließen die Bühne erbeben, als sie auf Michaels Gesangsfinale hinarbeiteten – James Browns „I Got You (I Feel Good)“. Schon bei der ersten Strophe sprangen die Leute von den Sitzen. Ich guckte nach rechts, dorthin, wo Joseph stand, um zu sehen, ob er es gut fand. Er war noch immer angespannt, hielt die Arme seitlich am Körper. Nur seine Lippen bewegten sich, als er tonlos den Text mitsprach, die Augen starr auf Michael gerichtet. „Eeeeoooowwww!“, schrie Michael. „I FEEEEL good …“ Bei seinem hohen, hyänenartigen Schrei blieb den Zuschauern der Mund offen stehen, dann kreischten sie vor Begeisterung. Und bei „I Got The Feeling“, unserem letzten Song, brachte er das Feeling wirklich rüber. Er sprang vor die Bühne und fing an zu tanzen, ein perfekt choreographierter Derwisch. Ein siebenjähriger Derwisch.
Niemand hatte erwartet, dass wir so gut sein würden, aber Michael riss die Leute mit. Uns war egal, dass es nur die örtliche Schule war. Für Kinder ist eine jubelnde Menge eine jubelnde Menge.
Nach dem Konzert sprangen wir hinter der Bühne wild herum und durchlebten den ganzen Auftritt noch einmal. Es war ein bisschen so, als hätte man einen Homerun geschafft oder ein entscheidendes Tor geschossen. Joseph war … zufrieden. „Im Großen und Ganzen wart ihr recht gut“, erklärte er, „aber es liegt noch einiges an Arbeit vor uns.“
Das Nächste, woran ich mich erinnere, war der Moderator, der uns zu den Gewinnern erklärte. Wir rannten zurück auf die Bühne. Noch mehr Kreischen. Lustigerweise war unter den anderen Künstlern, gegen die wir uns durchgesetzt hatten, auch Deniece Williams, die einige Jahre später mit „Let’s Hear It For The Boy“ einen Riesenhit landete. Josephs Anerkennung brauchten wir an diesem Abend nicht: Wir hatten bei unserem ersten großen Auftritt richtig abgeräumt, und das reichte uns erst einmal.
Wir fuhren nach Hause und feierten mit reichlich Eiscreme. Joseph deutete in die Ecke unseres Wohnzimmers, in dem unsere stolze kleine Auswahl von Baseball-Pokalen stand, die von der anderen großen Begeisterung kündete, die wir alle teilten. Die Pokale standen da, als wollten sie unabsichtlich die These untermauern, die er immer wieder aufstellte: Bei Wettbewerben geht es nur darum, der Beste zu sein!
Aus unserem Zimmerfenster hatten wir einen freien Blick auf das Baseballfeld neben der Theodore Roosevelt High, auf dem wir spielten. Wenn man uns damals gefragt hätte, ob wir lieber als Musiker oder als Sportler Erfolg haben wollten, hätten wir uns sicherlich für Baseball entschieden. Vor allem Jackie, die Sportskanone unserer Familie. Wenn er Ärger mit Joseph hatte und für kurze Zeit abhaute, dann wussten wir, wo er zu finden war – er hockte auf dem Feld vor der Tribüne, warf den Ball mit einer Hand und fing ihn immer wieder mit seinem Fängerhandschuh.
Wahrscheinlich hätten wir vor allem eher deswegen Ja zum Baseball gesagt, weil uns dieser Traum realistischer erschien und sich drei von uns als Spieler bereits hervorgetan hatten. Die winzigen goldenen Figuren, die oben auf den Pokalen ihre Schläger schwangen, waren Beweis für den Ruhm und die gewonnenen Wettbewerbe mit den Katz Kittens, unserem Team aus der Baseball-Kinderliga von Gary. In unserer Jugend sahen wir uns viele Spiele der Chicago Cubs an und wollten unbedingt ihren Stars Ernie Banks und Ron Santo nacheifern.
Jackie war so gut, dass sich bereits die ersten Talentsucher um ihn bemühten, und er war sich sicher, dass er schon bald einen richtigen Vertrag bekommen würde. Er war ein großartiger Pitcher und Batsman und holte einen Homerun nach dem anderen für unser Team. Sein Herz gehörte dem Baseball, das war bei ihm noch ausgeprägter als bei uns anderen. Bei den Spielen war Michael unser Mini-Maskottchen und saß mit Marlon und Joseph in einem kleinen grünweißen Trikot, das ihm über der Jeans bis zu den Knien hing, auf der Tribüne, futterte rote Zuckerschnüre und jubelte begeistert, sobald einer von uns den Ball bekam. Eines Abends fand unter der Woche einmal ein großes Spiel gegen einen Konkurrenten aus der Gegend statt, ein Playoff oder dergleichen. Ich spielte im Outfield, Tito stand am zweiten Base, und Jackie war Pitcher. Wir drei hatten inzwischen schon einen recht guten Ruf, vor allem aufgrund von Jackies hervorragenden Würfen.
Während der Aufwärmphase schlug der Trainer immer wieder Bälle in die Luft, damit wir uns beim Fangen locker machten. Einer der Bälle flog so hoch, dass er beinahe die Wolken kratzte, bevor er wieder zur Erde fiel. Wir wussten, dass wir laut rufen sollten, wenn wir einen Ball für uns beanspruchten, also rannte ich los, die Augen auf den Ball gerichtet, und brüllte: „Den hab ich! Das ist meiner!“ Wesley, unser Fänger, der sich schon die Maske heruntergerissen hatte, lief ebenfalls los, aber er forderte den Ball nicht für sich und hatte mich offensichtlich nicht gehört. Auch er hatte nur Augen für den Ball. Und dann – KRACH! – stießen wir zusammen. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Sterne, ohne dass ich Josephs Gürtel auf meinem Hintern fühlte. Wesleys Stirn prallte gegen meine rechte Augenbraue