Erik Eriksson

Schärenmorde


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die Arbeit bei der großen Baufirma, die den Hauptteil der Nutzbarmachung übernehmen sollte, auch wenn er über die Entwicklung an sich nicht besonders erfreut war. Ihm gefiel der Hafen, so wie er war. Er mochte das etwas Verwahrloste und Heruntergekommene, die Schuppen, das Gerümpel, die Frachtschiffe, die kamen und gingen. Aber Arbeit ist Arbeit, dachte er, als er Schritte näherkommen hörte.

      »Hallo, Jimmy. Ich habe mir gedacht, dass ich dich hier treffen würde.«

      Malin Skogh schielte zu Jimmy hin und sah die Reaktion in seinem Gesicht. Das Lächeln verwandelte sich in einen »Du-Ärmste-Blick«.

      Alle wissen es, dachte sie. Alle in dieser kleinen Stadt wissen es. Malin hob den Kopf und blickte Jimmy in die Augen.

      »Ich brauche deine Hilfe, Jimmy. Du arbeitest hier unten und kennst andere Leute, die hier herumlaufen. Ich wollte fragen, ob du irgendetwas gehört hast. Ob jemand etwas gesagt hat über das, was passiert ist. Du weißt schon, als Lars Gustavsson getötet wurde.«

      »Ich weiß, dass Robert unschuldig ist«, fuhr sie fort, hielt jedoch inne, als sie Jimmys Blick sah.

      »Ich weiß, was du denkst. Dass ich das nur sage, weil ich seine Schwester bin und so weiter. Aber das stimmt nicht. Du kennst Robert, er würde nie jemandem etwas antun. Du musst mir helfen. Bitte, Jimmy, wir waren doch immer gute Freunde.«

      Sie hatte recht. Sie kannten einander seit der Kindergartenzeit. In der achten Klasse waren sie sogar kurz miteinander gegangen, danach waren sie Freunde geblieben. Jetzt sahen sie sich nicht mehr so häufig; er war eine Zeitlang nicht in Norrtälje gewesen, aber sicher mochte er Malin. Die aufrechte Malin, die versucht hatte, Macke Melander zu verprügeln, als dieser Tobias Olsson mobbte. Das war nicht besonders gut ausgegangen, aber es war mutig gewesen.

      »Malin, man weiß nie, was ein anderer zu tun imstande ist. Denk daran. Aber natürlich kann ich mich ein wenig umhören. Deinetwegen.«

      Malin bedankte sich bei Jimmy und setzte ihren Weg am Kai entlang fort. Die Absperrungen waren verschwunden, doch die Blutflecken waren immer noch sichtbar. Als sie sich davor hinhockte, fühlte sie, wie ihr Puls in die Höhe ging. Hier also ist es passiert, dachte sie, aber was ist hier eigentlich noch zu finden? Sie blickte auf die Bucht von Norrtälje hinaus, wo sich ein Frachtschiff näherte. Dort draußen muss ich suchen, dachte sie. Ich muss herausfinden, welche Schiffe in dieser Nacht dort lagen.

      Eine halbe Stunde zuvor hatte Elias Mellberg seinen Feldstecher herausgeholt und sich um den Hals gehängt.

      Er war vor kurzem zehn Jahre alt geworden und hatte den Feldstecher geschenkt bekommen. Er eignete sich ausgezeichnet für seine Untersuchungen. Elias liebte Kriminalgeschichten und hatte alle Lasse-Maja-Bücher gelesen. Er sammelte Spuren und Beweise in einem Schuhkarton, in dem er mehrere unleserliche Quittungen, einen verdächtigen Briefumschlag, drei geheime Schnüre und einige Knochenstücke, die eindeutig dubios waren, aufbewahrte.

      Er setzte seine Sportmütze auf und schlich sich von der Gransättersgatan hinunter zum Hafen. Er hatte gehört, dass dort jemand umgebracht worden war, seine Mutter wollte jedoch nichts Näheres darüber sagen. Jetzt hatte er vor, die Sache auf eigene Faust zu untersuchen, irgendwo musste es Anhaltspunkte geben.

      Vorsichtig schlich er sich an der Pizzeria vorbei, duckte sich hinter ein Auto und schlüpfte durch ein angelehntes Gartentor. Plötzlich hörte er Stimmen und verkroch sich hinter einem struppigen Gebüsch. Als er versuchte, weiter zu kriechen, hörte er, wie es unter seinem Fuß knirschte.

      Ein Beweis, dachte er, als er den kleinen bräunlichen Karton bemerkte, auf den er getreten war. Ein richtiges Beweisstück. Cool.

      Es stand etwas auf der Schachtel, aber die Buchstaben waren seltsam. Wie in Griechenland, dachte er, ehe er den Verschluss auffingerte. Drinnen lag etwas, was aussah, als ob es zu einem Computer gehörte.

      Elias spähte aus dem Gebüsch. Nirgendwo war etwas zu hören oder zu sehen.

      Das beste Beweisstück, das ich je gefunden habe, dachte er, als er die Schachtel in die Tasche seiner Kapuzenjacke steckte und sich auf den Heimweg machte.

      Er sah weder die junge Frau, die im Hafen hockte, noch bemerkte er, dass ihm ein Mann in einem gesprenkelten T-Shirt folgte.

      5

      Soundcheck. Ove trommelte mit den Fingern auf dem Mischpult herum. Werner testete die Basstrommeln. Es hallte in dem Theaterraum. Wo sich der Sänger aufhielt, derjenige, der im Fernsehen kochte und der mit dem großen runden Bauch aussah wie eine schwangere Eisbärin, wusste man nicht genau. Möglicherweise in dem Käsegeschäft an der Ecke. Mit der Kennernase tief in einem Stilton.

      Eldkvarn würden zwei Konzerte im hiesigen Theater spielen. Auf ihrer Tournee lenkte die Band ihren vierzig Jahre alten Chevrolet immer selbst über die offenen Landstraßen, einen extra Fahrer brauchten sie nicht.

      Kleinstadt reihte sich an Kleinstadt. Alle Kleinstädte haben etwas Gemeinsames. Der Schnee fällt etwas sachter. Der Regen sammelt sich lautlos in den Gräben des Stadtparks. Der Frühling kommt versöhnlicher, und die Menschen grüßen einander höflicher mit leiser Stimme.

      Ove stellte die Regler für Werners Drums ein und blickte zu Carla hinüber, die sich in einem der Kunstledersessel fläzte. Sie hatte immer ein neues Riff dabei, ob von den Stones oder Captain Beefheart, spielte keine größere Rolle.

      Ove drückte den Memory-Stick in das Mischpult und übergab das Ganze dem Tontechniker Isak, der das Konzert betreuen sollte. Alles war fertig für den Gig. Jetzt galt es nur noch, etwas zu essen, ehe es Zeit wurde, auf die Bühne zu gehen.

      »Alice, der Himmel kann warten«, summte er und ging durch den Keller hinauf ins Restaurant, wo Plura saß und über einem Wisby Klosterbier chattete.

      Drinnen im Theater war es eng und warm. Fatima Barsawi bestellte zwei Drinks an der Bar und drängte sich zu Malin Skogh durch, die ein paar Meter von der Bühne entfernt stand. Vor einigen Tagen hatte sie Malins Bruder wegen des Mordes im Hafen verhört, jetzt befand sie sich mit ihr auf diesem Konzert.

      Es war nicht leicht gewesen, Malin dazu zu überreden. Ihr Bruder saß in Untersuchungshaft, und obwohl die Beweislage nicht allzu gravierend war, so stand er doch unter Mordverdacht. Ein brutaler Mord, der die kleine Norrtälje-Idylle in Aufregung versetzt hatte.

      Roberts Freunde waren ebenfalls verhört worden, jedoch ohne großen Erfolg. Trotzdem war alles sehr ernst, wenn auch das Motiv noch ein großes Rätsel aufgab. Fatima nahm an, dass der Verdacht sich nicht halten ließ. Wenn sich jedoch der Verdacht gegen Robert weiter verhärten sollte, dann musste sie darum bitten, von dem Fall abgezogen zu werden.

      Fatima blickte sich um und sah, dass auch Sommergäste eingetroffen waren. Es herrschte eine etwas angespannte Stimmung, und es gab mehr skeptische Blicke.

      In der kleinen Projektornische, ein, zwei Meter über der Bar, meinte sie die Konturen eines wohlbekannten Gesichts zu erahnen. Einer der Fotografen der Zeitung, einer der besten. Einer von denen, die fast instinktiv über jemanden etwas erzählen konnten, was dieser selbst glaubte verbergen zu können. Er war hier in der Gegend zuhause und schien an deren Nervensystem angekoppelt zu sein. Man konnte damit rechnen, dass dort, wo er sich aufhielt, etwas passieren würde. Fatima schielte zu Malin hin. Malin beugte sich vor und schrie fast in Fatimas Ohr: »Er kann es nicht gewesen sein. Das ist nicht Robert.« Fatima legte ihren Zeigefinger auf Malins Mund und schrie zurück: »Versuch jetzt, dich zu entspannen, Malin. Wir sprechen morgen darüber.« Malin nickte und konzentrierte sich auf die Bässe, die alles übertönten. Der erste Schock der Festnahme hatte sich gelegt und war in Zorn umgeschlagen und in die Entschlossenheit, ihren Bruder frei zu bekommen. Sie hatte sich selbst mit dem Argument überredet, dass es vielleicht etwas für ihre eigene Untersuchung bringen könnte, mit Fatima auszugehen.

      Und sie sollte Recht behalten.

      Fatima ging zurück an die Bar. Sie sah zu der Projektornische über der Bar hinauf. Der Fotograf war nicht mehr da. Schade. Vielleicht kommt er gerade herunter, dachte Fatima, nahm die beiden Gläser und ging hinauf zum Projektorraum. Auf der steilen gewundenen Treppe schüttete