Erik Eriksson

Schärenmorde


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      Wonner sah auf seine Armbanduhr.

      »Ja, sie kommen«, sagte er.

      Entlang der Südseite der Furusundrinne, zwischen Kapellskär und Söderarm, liegt eine Inselkette. Sie beginnt mit Plomman in der Nähe von Kapellskär. Eine sagenhaft schöne Insel mit Sandstränden, an der die Bootsbesatzungen und besonders auch die lokale Bevölkerung anzulegen pflegen, um den allzu heißen Sommertagen auf dem Festland zu entkommen. Die Fahrrinne geht dann weiter an der westlichen und der östlichen Lerschäre vorbei, ehe auf der rechten Seite eine Inselgruppe auftaucht, die Viggskären genannt wird. Eigentlich handelt es sich um eine Riesenansammlung von Inseln, bei denen sich niemand die Mühe gemacht hat, ihnen einen Namen zu geben.

      Ziemlich anspruchslose Inseln. Auf einer der Inseln gibt es einen öffentlichen Abtritt, den aber selten jemand benutzt.

      Dafür gibt es zwei Gründe.

      Der erste Grund ist das Meer. Es ist wichtig festzustellen, aus welcher Richtung der Wind kommt, falls man die Absicht hat, bei den Viggskären anzulegen. Bei nordöstlichem Wind schlagen dort hohe Wellen vom Meer aus auf, und dann kann es gefährlich sein, mit kleinen Schiffen zu diesen Inseln hinauszufahren. Es gibt viele Untiefen. Und das Meer ist tückisch.

      Das Zweite, an das man denken muss, ist der Schiffsverkehr. Die großen Fähren oder Schiffe, die zwischen Stockholm, Norrtälje oder Kapellskär hin und her fahren, werfen große Wellen auf, was dazu führen kann, dass kleinere Boote – oder auch etwas größere – zerschlagen werden können, wenn sie an den Stränden der Viggskären auf der Nordseite vertäut liegen. Das Ganze pflegt damit zu beginnen, dass sich das Wasser immer stärker bewegt, aus den kleinen Buchten herausgezogen wird, um dann anzusteigen. Die Bewegung schaukelt sich dann immer höher. Die Ankerleinen spannen sich, die Boote beginnen zu schwanken. Dann kommen die Wellen.

      Es passiert leicht, dass man davon überrascht wird.

      Und wenn man überrascht wird, dann ist es in der Regel zu spät.

      All das wusste Erik Jansson aus Östernäs auf Rådmansö sehr genau, als er früh bei Sonnenaufgang sein geschütztes Nachtlager auf der Leeseite einer Schäre verließ und um die nördliche, etwas exponierter liegende Seite der Insel segelte. Die Netze sollten geleert werden.

      Und Barsch ist gut, dachte Erik Jansson, als er den Außenbordmotor abstellte. Über seinen schmalen Augenschlitzen befanden sich ein paar buschige Augenbrauen, die vermutlich schon während der Pubertät zusammengewachsen waren.

      Erik Jansson hatte gerade etwas aus dem Augenwinkel heraus bemerkt. Etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Etwas, das ihn dazu veranlasste, nach oben zu sehen, statt hinunter auf den Meeresboden.

      Direkt im Norden sah er Köttkobben, eine Insel, auf der er als kleiner Junge Brassen mit Pfeil und Bogen geschossen hatte. Im Osten sah er, wie schon viele Male zuvor, den Leuchtturm von Söderarm. Er bedeutete Sicherheit auf den Fahrrinnen. Ein immer zuverlässiger Wächter über den Schärengarten und seine Bevölkerung.

      Bei Nygrund, auf der rechten Seite des Köttkobben, glitt in der Morgendämmerung ein rostiges Schiff ruhig vorbei.

      Erik Jansson schielte zum Schiff hin. Plötzlich bemerkte er ein kleineres Boot, das langsam hinter dem Köttkobben hervorkam, einige hundert Meter entfernt von dem Schiff. Das Boot kannte er nicht.

      Alles weitere geschah im Verlauf weniger Minuten.

      Jansson sah, wie das Frachtschiff seine Fahrt verlangsamte. Er fragte sich warum. Kurz darauf beobachtete er, wie das kleine Ruderboot am Heck des Schiffes anlegte. Wieder fragte er sich nach dem Grund. Noch ein wenig später fuhr das kleine Boot auf demselben Weg zurück, auf dem es gekommen war und verschwand hinter dem Köttkobben.

      Jansson kratzte sich am Hinterkopf.

      Das war ja seltsam, dachte er.

      Und dann begann er, die Netze heraufzuziehen.

      Vier Stunden später glitt die Sertem Explorer in den Hafen von Norrtälje hinein. Im Societetspark führten Frühaufsteher ihre Hunde aus. Einige von ihnen gingen die Hafenpromenade entlang. Ein Mann joggte auf dem Rasen in Richtung Landungsbrücke.

      Wonner kümmerte sich nicht um sie.

      Er stand in dem Wäldchen oberhalb vom Societetspark versteckt und suchte den Hafen ab, beobachtete jedoch nicht das Schiff, das begann, im Hafen anzulegen. Wonner interessierte sich für etwas anderes. Er suchte nach etwas, das nicht so war, wie es sein sollte.

      Zuerst blickte er in Richtung S/S Norrtelje. Dann ließ er den Blick langsam über den Kai an den Liegeplätzen vorbeischweifen. Er hielt plötzlich inne, als er einen Mann sah, der am Fuße des größten Silos stand und sich vorbeugte. Wonner senkte den Blick und überlegte eine Weile, dann hob er den Blick wieder und suchte den Hafenbereich weiter ab.

      Plötzlich erblickte er das, wonach er suchte. Eine Abweichung. Er sah etwas, was sich normalerweise nicht dort befand.

      Es war eine Frau.

      Wonner spürte ein warmes Gefühl der Zufriedenheit. Er hatte Recht gehabt. Sein Bauchgefühl war richtig gewesen. Die Frau stand dort, um die Sertem Explorer zu beobachten, das war offensichtlich. Sie stand dort und wartete auf das Schiff, da sie offenbar irgendetwas wusste oder erwartete.

      Wonner sah plötzlich außerordentlich ernst aus. Das zufriedene Gefühl war verschwunden. Sein Gesicht sah aus wie versteinert.

      »Dieses Mal«, sagte er leise zu sich selbst, »dieses Mal kannst du schnüffeln, so viel du willst, Fatima Barsawi.«

      9

       IT Works

       Unternehmensberater Ronald GW Schneider

       Problemlösungen – Sicherheit – technische Übersetzungen

      Elias Mellberg hatte das Schild öfters gesehen, wenn er auf dem Weg zum Spielzeugladen war, um Computerspiele anzusehen und zusammen mit seinem Klassenkameraden William Olsson in der Secondhand-Kiste zu wühlen.

      Er war sein Star-Wars-Legospiel leid geworden, auch wenn ihm der Jedi Shuttle, der im Bücherregal stand, immer noch gefiel. Aber Computerspiele waren cooler. Ganz klar. Am liebsten würde er das letzte Call-of-Duty-Spiel haben, aber seine Eltern hatten abgelehnt. Keine Kriegsspiele. Punkt, aus.

      Jetzt war er unterwegs zum Spielzeugladen, um trotzdem einen Blick darauf zu werfen und sich zudem das neue Shogun-Spiel anzuschauen. Im Rucksack hatte er das komische kleine Gerät, das er im Hafen gefunden hatte.

      Er blieb vor dem Schild von »IT Works« stehen. Es befand sich an der Tür eines Ladens mit einem Fenster zur Straße hin. Manchmal saß jemand dort drinnen und arbeitete, manchmal war es dunkel und leer in dem Geschäft.

      Jetzt saß ein Mann am Schreibtisch. Ein Krawattenmann, dachte Elias, als er das helle Hemd und die rote, gemusterte Krawatte sah. Er kannte bisher keine Krawattenmänner. Weder sein Vater noch die Freunde seines Vaters oder Palle im Freizeitheim trugen Krawatten. Aber dieser da sah recht freundlich aus. Ganz okay eigentlich.

      Er stand draußen und fühlte, wie ihm das Herz bis in den Hals schlug.

      Konzentriere dich, Elias, ein richtiger Detektiv darf nicht feige sein, dachte er. Dann ergriff er die Türklinke. Der Mann am Schreibtisch sah etwas erstaunt auf, als er Elias erblickte.

      »Hallo«, sagte er und lächelte. »Ich heiße Ronald, wie heißt du denn?«

      »Elias.«

      Er holte Luft und fuhr fort: »Du kennst dich mit Computern aus, nicht?«

      Ronald lächelte wieder und zwinkerte Elias zu.

      »Ja, ziemlich gut. Weißt du, ich habe gleich ein Kundengespräch, aber ich kann vorher noch kurz mit dir sprechen. Ist dein Computer kaputt gegangen?«

      »Nein, ich habe überhaupt keinen eigenen Computer. Ich meine Dinge, die man