Marcus Imbsweiler

Bergfriedhof


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Tut mir leid, Leute, die Sache ist heikel. Ihr wisst ja, als Privatdetektiv … Man kommt da mit unschönen Dingen in Kontakt. Ja, das verstanden sie im Englischen Jäger.

      »Okay, Herbert«, sagte ich kurz darauf und kippte meinen König mit dem Zeigefinger um. »Das wars.« Soeben verließ Jessicas Großmutter die Kneipe, nicht ohne mir einen drohenden Blick zuzuwerfen.

      »Ach, komm«, machte Herbert enttäuscht. »Schon aufgeben? Schau dir mal deinen Turm da an. Und die zwei Bauern.« Wollte mich noch ein wenig zappeln lassen, der einarmige Bandit.

      »Vergiss es. Bin heute nicht bei der Sache. Außerdem brauche ich eine Auskunft von euch.« Ich winkte Maria heran, um ihr und den anderen meinen Auftraggeber so ausführlich wie möglich zu schildern. Beschrieb sein Auftreten, seine Kleidung, seine Stimme und natürlich seinen Wagen. Ahmte seine Haltung nach, seinen Gang, seine Gesten.

      »Und? Habt ihr eine Idee, wer das sein könnte?«

      »Nee«, sagte Herbert.

      »Könnte jeder sein«, rief Tischfußball-Kurt. »In Neuenheim jeder.«

      »Aber nicht jeder fährt so einen Wagen. Absolut auffällig, die Karre.«

      Einhelliges Achselzucken. Kopfschütteln.

      »Überlegt doch mal: so ein satter Rentner, könnte hier um die Ecke wohnen. Ehemaliger Großverdiener, Expolitiker, Manager, Ehrendoktor … na, dämmert euch was?«

      Nichts dämmerte. Auch Maria schüttelte den Kopf. »No«, sagte sie. »Nie gesehe, Max.«

      »Moment«, sagte der Intellektuelle mit dem Rauschebart. Er hört auf den schönen Namen Leander und ist allgemeiner Einschätzung nach zu gut für diese Welt. »Moment.« Dann schwieg er.

      »Wie, Moment?«, fragte ich.

      Er sah mich aus wasserblauen Augen an. Sagte aber keinen Ton.

      »Was ist? Kennst du den?«

      »Ich überlege«, antwortete er würdevoll.

      Herbert machte eine abwehrende Geste und trank sein Bier aus. Ich blickte Leander auffordernd an. Er behauptete zu überlegen, sah aber nicht danach aus. Sah eher aus, als durchforste er die Mundhöhle mit der Zungenspitze nach Pommesresten.

      »Ich bin ganz Ohr«, meinte ich. Immer freundlich.

      Er nickte. Dann kniff er die Augen zusammen und fragte: »Wie, sagtest du, heißt dein Mann?«

      »Welcher Mann? Der, den ich suche?«

      »Ja.«

      »Ich weiß nicht, wie er heißt. Das versuche ich gerade herauszufinden.«

      »Ach so. Verstehe.«

      Jetzt schwiegen wir beide. Er musterte mein lädiertes Auge.

      »Aber hast du nicht eben …?«, begann er, sah sich hilfesuchend am Tisch um und schnappte nach Luft. »Hast du nicht … geht es nicht um diesen Professor?«

      »Was für ein Professor?«

      »Na, dieser Soziologie …«

      »Soziologieprofessor? Ein Soziologe?«

      »Nein, ein … ein Professor der Soziologie, der …«

      »Der was?«

      »Nicht so hektisch, Max«, warf Tischfußball-Kurt ein und hob einen seiner Dackel auf den Schoß, um ihn abzuknutschen.

      »Ja, schon gut. Also, Leander, was für ein Professor?«

      »Der mit dieser Villa oben am Philosophenweg … diese schöne Villa … mit der schönen Frau drin …«

      »Ach, der«, sagte Herbert. »Fehlalarm, den kenne ich. So’n Männchen mit Halbglatze. Keine ein Meter 60 hoch.«

      Leander fing an zu zittern. »Aber seine Frau, eine schöne Frau ist das. Und in der Garage ein Boot, das weiß ich genau.«

      »Ja«, sagte Herbert.

      »Ein schönes Boot …«

      »Schon gut«, meinte ich.

      »Damit fährt er jedes Jahr nach Irland, an die Westküste, um zu diesen Inseln im Atlantik, diesen … diesen schönen Inseln …, und zwar mit seinem Boot …« Leanders helle Stimme kippte ins Schrille, als er den längsten Satz, den er an diesem Abend begonnen hatte, nicht zu Ende brachte.

      »Jaja«, nickten wir und tätschelten beruhigend seine Hand.

      »Seine Frau ist auch dabei«, sagte er abschließend und hatte den Satz also doch noch fast zu Ende gebracht.

      »1,58«, murmelte Herbert. »Höchstens.«

      »Tut mer leid«, sagte Maria. »Kenn den Mann net.«

      Dann ließ Tischfußball-Kurt plötzlich eine Faust auf den Tisch krachen, dass der Dackel auf seinem Schoß jaulend das Weite suchte.

      »Verdammt, ich habs«, rief er. »Du musst den Schorsch fragen, Max.«

      »Schorsch? Welchen Schorsch?«

      »Welchen Schorsch?« Er sah mich an, als hätte ich ihn gefragt, wo sich die Öffnung einer Bierflasche befindet. »Den Ungarn natürlich!«

      »Er meint György«, erklärte Herbert. »Den Rennfahrer.«

      »Ja, verdammt, dann halt György, elender Besserwisser!«

      »Ach so, György«, sagte ich. »Der Ungar.«

      »Sag ich doch die ganze Zeit. Beziehungsweise der Sohn vom Schorsch.« Er fuchtelte mir mit dem Zeigefinger vor den Augen herum. »Schorschs Kleiner, der Dings, na, wie heißt der Depp gleich?«

      »Ah, Francesco«, half Maria. Sie warf einen Blick auf die fast blinde Uhr über dem Durchgang zur Küche. »Sì, sì, komme gleich her. Le due. Giorgio e Francesco.«

      Dann eben Giorgio e Francesco. Oder Schorsch und Franz. Je nachdem, ob man wie Maria aus Piazza Armerina stammt oder wie Kurt aus Ilvesheim. Im Prinzip sprechen sie alle die gleiche Sprache.

      »György«, wiederholte ich. »Das ist doch dieser Typ, der schon ewig hier lebt, nicht wahr? So ein Kurzer, Zappeliger?« Ich kannte den Mann nur flüchtig. Kleine Kanonenkugel nannten sie ihn im Englischen Jäger.

      »Und ein Schwätzer vor dem Herrn«, nickte Tischfußball-Kurt. »Wenn alle Ungarn so sind, will ich da nie hin. 1956 hat er rübergemacht.«

      »In den goldenen Westen«, brummte Herbert und verdrehte die Augen.

      »Richtig, in den goldenen Westen, und seitdem sitzt er da und quatscht dich voll.«

      »Und sein Sohn?«

      »Der Franz?« Kurt zündete sich eine Zigarette an. »Also, der Franz ist ein Depp. Volldepp.«

      »Was heißt das, ein Depp?«

      »Na, wie würdest du das nennen, wenn einer ein bisschen gaga ist? Leicht gestört, plemplem, ein Idiot eben.«

      »Ein Depp«, nickte Herbert.

      »Aber völlig fanatisch, was Autos angeht«, ergänzte Kurt.

      »Ach so. Jetzt kapiere ich.«

      »Der Junge kennt jeden Wagen in Heidelberg«, sagte Kurt begeistert und aschte versehentlich in Herberts Bier. »Und wenn ich sage jeden, dann meine ich jeden. Der leiert dir die Seriennummern aller Neu­zulassungen runter. Ohne Punkt und Komma. Ein Depp, aber ein Zahlenwunder. Max, der verrät dir, wo dein BMW steht, bevor du piep sagst. Und den Kilometerstand gleich dazu.« Seine beiden Dackel kläfften zustimmend. Er nennt sie Coppick und Hansen, nach zwei berühmten Gladbach-Spielern aus den 70ern, wie er behauptet. Komisch; hießen die nicht Köppel und Jansen? Egal. Jedenfalls verdankte ich Kurt den Tipp mit György und seinem Sohn.

      Gut, dann hieß es also nur noch warten. Gedankenverloren schaute ich Coppick und Hansen zu und betastete mein schmerzendes Veilchen. Vielleicht war