Thomas L. Viernau

Todesluft


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Hainkel machte zuerst eine kleine Rundfahrt durch die Altstadt, zeigte Linthdorf den »Hessischen Hof«, in dessen Keller Wandmalereien aus der Ritterzeit gefunden worden waren, ebenfalls das »Lutherhaus« mit dem Schwan als Zierde. Eine gewaltige gotische Kirche thronte im Zentrum der Stadt. Viel zu groß für die gerade mal 17000 Einwohner. Das sei die Georgenkirche, in der habe schon Luther gepredigt und auch Melanchthon.

      Dann fuhr Hainkel mit ihm auf einer kleinen einspurigen Straße bergauf. Vor ihm lag die Wilhelmsburg, das Residenzschloss der hessischen Landgrafen. Frisch geputzt in Weiß mit rotbraun abgesetzten Fenstern präsentierte sich die majestätische Vierflügelanlage. Ein kleiner Turm bekrönte den Prachtbau. Linthdorf war beeindruckt. Hainkel bemerkte kurz, dass auch die Wilhelmsburg zu den von Einbrechern heimgesuchten Residenzen gehöre. Der Schaden wäre allerdings überschaubar.

      Allerdings wären die abhanden gekommenen Objekte gerade für die Stadt sehr kostbar gewesen. Teile des Ratssilbers, ausgesprochen kunstvoll ausgeführte Arbeiten der berühmten Augsburger Silberschmiede, zwei kleinere Gemälde mit Portraits hessischer Landgrafen, ein Abendmahlskelch aus Luthers Zeiten und der vielleicht schmerzlichste Verlust, die beiden Bronzeminiaturen aus der Werkstatt des berühmten Conrad Meit, Adam und Eva, beide auf das frühe 16. Jahrhundert datierend.

      Er grübelte, wo in Brandenburg eine ähnliche Stadt existieren könnte. In Gedanken sah er die Kleinstädte der Mark, allesamt graue Mäuse im Vergleich zu dieser prächtigen Residenzstadt.

      Nein, mit so viel Prachtentfaltung und Geschichte konnte seine Heimat nicht mithalten. Obwohl, Sanssouci … aber das war ja noch einmal etwas ganz Anderes.

      Zumal er von Hainkel erfahren hatte, dass Schmalkalden nur eine von vielen Residenzen in dem kleinen Bundesland war. Wer weiß, vielleicht gab es ja noch prächtigere Städtchen?

      Langsam rollte der Hyundai auf der Rückseite des Berges wieder hinab in die Altstadt. Hainkel kannte sich aus, kutschierte gekonnt durch die engen Straßen, parkte seinen Wagen auf einem der kleinen Parkplätze und dirigierte Linthdorf zu einem Café in einer dunklen Gasse. Das Café war im Stil der Sechziger Jahre eingerichtet. Vorn waren Bäckerei und Konditorei, zwei Treppenstufen führten hinauf zum ruhigen Teil. Junge, dralle Frauen mit weißen Zierschürzen und eng sitzenden schwarzen Röcken bedienten.

      Ein Blick auf die Kuchenauslage genügte Linthdorf. Auch hier waren die Kuchenstücke groß wie halbe Backsteine. Kein Wunder, dass die Thüringer Damen so propper aussahen. Hainkel bestellte zwei Kännchen Kaffee und die Spezialität des Hauses, frischen Rahmkuchen.

      Wieder musste sich Linthdorf eingestehen, solch Hochgenuss nur selten erlebt zu haben.

      In einer Pause berichtete ihm Hainkel von seinem gestrigen Erlebnis am Hermannsberg, speziell von dem Medaillon, welches er glücklicherweise noch mit seinem Handy abgelichtet habe. Und natürlich von den zwei seltsamen Toten, zwei Belgier, Blaireau und Renard …

      Linthdorf musste lächeln.

      Etwas irritiert hielt Hainkel inne. Linthdorfs Kenntnisse der französischen Sprache waren nicht perfekt, aber er hatte Französisch in seiner Schulzeit gelernt und war durch seine Urlaubsreisen immer wieder dazu angehalten gewesen, die Sprache aufzufrischen.

      »Wissen sie, was Renard und Blaireau heißt?«

      »Nein, das sind eben einfach zwei Namen…«

      »Nun, ein seltsamer Zufall vielleicht. Aber Renard heißt Fuchs und Blaireau heißt Dachs. Die beiden würden also Fuchs und Dachs heißen. Sehr ungewöhnlich.«

      »Meinen Sie, dass die beiden vielleicht …?«

      »Es ist auf alle Fälle ein ungewöhnlicher Zufall.«

      »Aber die Reisepässe…«

      »Nun, die könnten ja auch gefälscht sein. Man sollte das auf alle Fälle prüfen.«

      Hainkel war sich nach diesem kurzen Dialog sicher, dass an dem Vorfall etwas faul war.

      Ob er denn …?

      Linthdorf wehrte energisch ab.

      Er könne nicht in die Ermittlungsarbeit seiner Kollegen vor Ort eingreifen, dass ginge gar nicht. Außerdem sei er auf Kur, das Herz …

      Hainkel nickte. Ob er ihm wenigstens ein paar Tipps geben könnte. Er würde eigenständig Recherchen anstellen. Schließlich habe er ein persönliches Interesse an dem Fall, er habe die Toten ja entdeckt. Und das Medaillon, vielleicht gehörte das ja zum Diebesgut. Eine Spur, die es zu verfolgen lohne.

      Linthdorf nickte. Als erstes müsse Hainkel herausfinden, wo die beiden gewohnt hätten. Sicherlich in einem Hotel oder einer Pension in der näheren Umgebung. Dann wäre es wichtig, herauszubekommen, an welchen Orten sie sich sonst noch aufgehalten hatten und, ganz wichtig, ob die Namen wirklich existieren.

      Da müsse er sich mit den Behörden in Belgien in Verbindung setzen.

      Ja, und das Medaillon. Da wäre es klug, das Foto den Sachverständigen der Thüringer Schlösserstiftung zu zeigen. Möglicherweise könnten die es ja zuordnen. Ob es sich um eine Thüringer Prinzessin handele, würden die bestimmt herausfinden.

      Hainkel zeigte Linthdorf noch seine Fotos vom Fundort unterhalb des Felsens.

      Die beiden Toten wirkten seltsam unwirklich inmitten der Kräuter und Farne. Der Anblick von Toten hatte für Linthdorf jedes Mal etwas Unangenehmes. Obwohl er nun schon so viele Jahre beim LKA tätig war, konnte er sich mit dem direkten Blick auf den Tod nicht arrangieren. Etwas in ihm rebellierte. Wenn die Fotos wieder in ihren Mappen waren, konnte er ohne Probleme darüber sprechen, nur der direkte Anblick, der brachte ihn immer wieder ins Grübeln, ob das wirklich der richtige Beruf für ihn sei.

      Hainkel bemerkte die Veränderung in Linthdorfs Gesicht. Was er denn darüber denke, zumal wie seltsam die beiden Toten dalagen. Beide auf dem Rücken. Also rückwärts vom Fels gefallen, oder vielleicht doch gestoßen?

      Normalerweise würde ein selbst ungeübter Kletterer niemals rückwärts auf einem frei stehenden Felsen herumturnen. Ob sie sich während des Sturzes gedreht haben könnten?

      Eher unwahrscheinlich, dafür war der Felsen nicht hoch genug. Nur knapp fünfundzwanzig Meter würde er an dieser Stelle hinaufragen. Zu wenig für einen Dreher während des Sturzes.

      Was denn die Frau für Schuhwerk getragen habe?

      Sneaker? Ach! Und der Mann? Ebenfalls.

      Nicht gerade typische Kletterschuhe. Zumal die dünne Laufsohle sehr glatt und rutschig sei. Völlig ungeeignet für das Felsenklettern.

      Linthdorf nickte. Irgendetwas war an dem Vorfall wirklich seltsam. Ein Unfall, wie die Thüringer Kollegen etwas voreilig postuliert hatten, schien das nicht zu sein. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Vielleicht hatte es jemand wie einen Unfall aussehen lassen wollen. Möglich wäre es.

      Ob Linthdorf etwas dagegen habe, wenn Hainkel ihn am Wochenende mit nach Rudolstadt nehmen würde. Dort wäre der Sitz der Thüringer Schlösserstiftung. Vielleicht erführen sie ja etwas über das geheimnisvolle Medaillon.

      »Rudolstadt? Wo liegt das denn?«

      Hainkel winkte ab. Alles keine großen Entfernungen in Thüringen. Rudolstadt liege östlich des Thüringer Waldes, schon im Saaletal am Rande des Schiefergebirges. Wäre wohl auch eine Residenzstadt ähnlich Schmalkalden.

      »Ach?«

      Hainkel erklärte wieder etwas umständlich die Regionalgeschichte. Dort residierten die Schwarzburger, auch ein uraltes Fürstenhaus.

      Schon seit den Ludowingern in Thüringen ansässig. Die Schwarzburger waren in diverse Linien aufgeteilt. Rudolstadt war eines der Schwarzburger Fürstentümer mit Besitzungen quer durch ganz Thüringen. Der Kyffhäuser gehöre wohl dazu und das Schwarzatal und große Teile des Ilmtals. Die Heidecksburg, eines der größten, gut erhaltenen Barockschlösser Thüringens beherberge heute den Sitz der Stiftung.

      »Und was ist aus den Fürsten geworden?«

      Hainkel