war zurück, neben ihm stand ein unscheinbarer Mann mit Nickelbrille und einer Haarfrisur, die irgendwie in die Siebziger des vergangenen Jahrhunderts passte. Dabei konnte der Mann gar nicht so alt sein. Linthdorf schätzte ihn auf Anfang dreißig. Aber heutzutage galt das ja als retrochic.
Der langhaarige Brillenträger stellte sich ihm als Dr. Olaf Beutelspieß vor. Auch Beutelspieß sprach mit dem ausgeprägt rollenden R, was die Wichtigkeit seiner Äußerungen noch einmal deutlich unterstrich.
Er bat Linthdorf ins Schloss, führte ihn und Hainkel zielstrebig durch prächtige Säle zu ein paar kleineren Räumen, in denen mehrere Vitrinen standen. Mit kummervollem Blick blieb er vor einer leeren Vitrine stehen. Da standen früher Meits Adam und Eva. Zwei Meisterarbeiten.
Aus seiner Kladde holte er zwei Fotos hervor. Sie waren wirklich wunderschön, eigentlich ihrer Zeit weit entrückt. Bedachte man, dass Conrad Meit das Paar bereits 1516 anfertigte, also in einer Zeit, die von den Bauernkriegen, Hexenverfolgungen und der Inquisition geprägt war, konnte man ihre souveräne Haltung und spielerisch anmutende Körpersprache eigentlich nicht für diese wilde Epoche der deutschen Geschichte nachvollziehen. Sie waren ein humanistisches Vermächtnis dieser uns bis heute fremd gebliebenen Welt des untergehenden Mittelalters.
Dr. Beutelspieß beendete sein flammendes Referat.
Linthdorf fragte nach, wie hoch der Schaden zu veranschlagen sei und ob es Versicherungsschutz gebe.
Beutelspieß sah angewidert zu dem Riesen auf. Als ob der Verlust mit Geld zu beziffern sei! Nein, es gäbe eben auch Dinge in der Welt, die man nicht quantifizieren könne. Wahre und große Kunst, die es geschafft habe, durch die Wirren der Zeitläufe zu kommen, einfach so von einem schnöden Dieb …
Er musste schlucken, hatte den Faden verloren. Linthdorf beschwichtigte. Natürlich, der Verlust, wirklich unersetzlich, er verstehe ja, aber er sei hier, um die Figuren wieder zurückzuholen.
Beutelspieß beruhigte sich, sah durch seine Brillengläser etwas friedlicher auf den fremden Mann aus dem fernen Berlin.
Hainkel fragte noch nach den beiden Miniaturportraits und dem Ratssilber. Beutelspieß winkte ab. Peanuts, nicht wirklich nur halb so wertvoll wie Meits Figuren. Ja, natürlich, die Portraits, zwei Cranachschüler, nicht schlecht gemalt, und das Ratssilber, aus den berühmten Augsburger Silberschmieden. Aber davon gebe es noch viele andere Artefakte.
Die ganzen Thüringer Schlösser und Burgen wären voll damit. Und der Taufkelch aus getriebenem Silber, Luther soll ihn schon benutzt haben …
Aber es musste doch ein ungefährer Wert angegeben worden sein?
Beutelspieß zuckte mit den Schultern. Dafür fühle er sich nicht zuständig. Wenn man einen ungefähren Marktwert für solche eigentlich unverkäuflichen Artefakte angeben wolle, müsste man auf illegale, also Schwarzmarktpreise zurückgreifen. Kein seriöser Antiquar würde Diebesgut aufkaufen. Die Zeiten wären glücklicherweise vorbei.
Aber natürlich es gäbe da schon noch neureiche Sammler, verrückte Typen, die wirklich ein Vermögen für so etwas ausgaben. Man schätze, das in deren Privatsammlungen unglaubliche und einmalige Objekte gehortet seien. Nur wenn ein solcher Irrer einmal starb, gelangten die Artefakte, meist über Auktionen, ins Licht der Öffentlichkeit.
Linthdorf hakte nach. Wieviel?
Beutelspieß flüsterte, kaum verständlich für die beiden Männer, eine halbe Million, möglicherweise sogar noch mehr.
Linthdorf pfiff. Hainkel nickte nur kurz.
Ob es bei der polizeilichen Untersuchung Anhaltspunkte gegeben habe, wie die Täter hereingekommen waren?
Beutelspieß nickte heftig mit dem Kopf. Wahrscheinlich hatte der Täter sich in der Nacht einschließen lassen und sei am Morgen nach Öffnung ganz ungeniert hinausspaziert.
Würde denn bei Schließung nicht kontrolliert, ob noch Besucher in den Räumen seien?
Doch, doch, aber mit der dünnen Personaldecke würde das manchmal etwas schwierig. Man lief alle Säle und Räume noch einmal ab, aber schaue eben auch nicht hinter jede Ecke oder jeden Vorhang.
Die Alarmanlage?
Ja, natürlich, die wichtigsten Objekte seien geschützt, aber eben doch nicht alle, es sei eine Kostenfrage.
Wer über die speziellen Kenntnisse verfüge?
Eigentlich nur die Mitarbeiter, und das wäre eine absolut verlässliche Klientel. Nein, dafür lege er seine Hand ins Feuer. Erst im Februar sei jemand von der Schlösserstiftung dagewesen und hätte den Stand der Sicherheitsmaßnahmen überprüft.
Linthdorf nickte. Langsam ging er mit Hainkel alle Räume und Säle des Schlosses ab, entdeckte unzählige Nischen und Verstecke, bestaunte die Schlosskapelle, den Weißen Saal mit seinen Stuckarbeiten und natürlich den imposanten Riesensaal mit seiner Kassettendecke. Die hessischen Landgrafen verstanden schon gut zu leben. Wenn man noch dazu bedachte, dass Schmalkalden nicht einmal ihre Hauptresidenz war …
Was für eine Fülle, was für eine Pracht!
Kurz bevor sich Beutelspieß von seinen beiden Gästen verabschieden wollte, holte Hainkel sein Handy hervor und zeigte dem Experten das Foto mit dem Medaillon. Ob er vielleicht wüsste, wer die unbekannte Schönheit sei?
Beutelspieß betrachtete intensiv die Fotos, schnaufte und schüttelte den Kopf. Eine kurhessische Prinzessin sei es ganz sicher nicht. Zumal die Initialien M R zu keiner der hiesigen Prinzessinnen passen würden.
Ungewöhnlich!
Zeitlich könne er aber das Medaillon schon einstufen. Stil und Machart würden auf das ausgehende 18. Jahrhundert hinweisen. Vielleicht 1780 oder 1790. Typisch wären solche Miniaturmedaillons am französischen Königshof gewesen, da seien sie groß in Mode und hätten von da aus die übrigen europäischen Länder erobert. Jede bessere Dame war erpicht darauf, solch ein Schmuckstück zu tragen um es als Treuepfand ihren galanten Verehrern zu hinterlassen. Spezialisierte Silberschmiede hatten damals Hochkonjunktur und die Miniaturmalerei kam zu einer ganz ungewöhnlichen Blüte.
Also kein ungewöhnliches Schmuckstück, aber natürlich, ein entsprechend spezialisierter Kunsthistoriker würde die unbekannte Schöne identifizieren können.
V
Sanatorium für Herzleiden in Bad Liebenstein
Mittwochabend, 9. Mai 2007
Hainkel hatte Linthdorf wieder in seinem Sanatorium abgeliefert. Rechtzeitig zum Abendessen war der Riese an seinem Tisch erschienen. Seine beiden Tischnachbarn, ein älterer Herr mit knarrender Stimme, der nur in kurzen Wortgruppen sprach und ein stiller Mensch, der außer für seinen Brotbelag kein wirkliches Interesse an Kommunikation bisher bekundet hatte, saßen bereits.
Jeder von ihnen hatte einen grellbunten Zettel in der Hand, mit dem sie etwas ratlos hin und her wedelten. Linthdorf deutete vorsichtig Interesse an den bunten Zetteln an.
Wo die denn rumlägen?
Ach, vorn an der Tür hätte die jemand verteilt. Keiner vom Personal, nein, nein!
Ober er vielleicht auch mal einen Blick …?
Wortlos schob ihm der Brotbelagexperte seinen Zettel rüber.
Linthdorfs Brauen kräuselten sich. War das ernst gemeint oder eine große Lachnummer?
Auf dem Dolmar solle demnächst ein Ufo landen. Ziemlich konkret in der Nacht vom 26. Mai zum 27. Mai. Das war zu Pfingsten, dem Fest der Niederkunft des Heiligen Geistes. Der Dolmar sei schon lange bekannt dafür, als kosmischer Aktivpunkt zu funktionieren. Die Kelten hätten das bereits vor vielen tausend Jahren gewusst und den Berg zu ihrem Heiligtum erwählt. Heute noch seien Spuren des Keltenrings auf dem Hochplateau zu finden. Außerdem stehe man im Kontakt zu den Außerirdischen, die ihre Ankunft genau für die Zeit angekündigt hätten.
Unterzeichnet war das Ganze mit dem geheimnisvollen Kürzel ATG.
Linthdorf