Paul Trynka

Sympathy For The Devil


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und Paul McCartney – dazu, sich in dem „Do-It-Yourself“-Genre zu versuchen. Über den Umweg Donegan erfuhr Brian Jones von einem gewissen Leadbelly, dessen Musik in den verschiedenen Kaffeehäusern Cheltenhams lief. Vermutlich liegt hier die Inspiration zur Anschaffung einer Gitarre ungefähr im Winter 1956. In den Cafés hing Brian mit neuen Bekannten ab. Er lernte von ihnen mehr über den traditionellen und den modernen Jazz von Count Basie und Duke Ellington, über Charlie Parker und, circa in den späten Fünfzigern, Cannonball Adderley. Er „verschlang“ die Musik förmlich wie ein Besessener – als wäre sie ein Kodex für eine neue Existenzebene. Und das war sie natürlich auch.

      Musik bedeutete einen Weg des Eskapismus und zugleich eine Form der Therapie, denn ein weiteres Adjektiv beschreibt Brian zu dem Zeitpunkt: einsam. Pat, seine Freundin aus dem Jahr 1960, erinnert sich an die Einsamkeit. Das Gefühl der Isolation, die Klaustrophobie, die den jungen Brian zu Hause überkam, stellte sich als Initialzündung heraus, die ihn zum Ausbruch aus den beengten Verhältnissen bewog. Mick Jagger, Dick Taylor und all die anderen spielten ihre Musik in den Wohnzimmern. Brian hingegen schnallte sich die Gitarre auf den Rücken und setzte sich aufs Fahrrad. Die Kluft zwischen Lewis Jones und seinem Sohn bedingte in den folgenden Jahren, dass Brian sich eine Spielpraxis aneignete, die weit über der der Stones lag – und möglicherweise auch der anderen aufstrebenden Bluesgitarristen Großbritanniens.

      Cheltenham, das öde, ach so gesetzte und konservative Cheltenham, mauserte sich nun zu einer Spielwiese des musikalischen Experimentierens. Sogar eine kleine Jazz-Clique fand sich zusammen im beliebten Haus an der Priory Street 38, wo die nachsichtige Mutter Mrs. N. E. Filby ihren Töchtern Jane und Ann die Eröffnung eines Club-Cafés im Keller gestattet hatte. „Es begann mit vier Jungs aus der Grammar School, einer Band mit John Picton als Leader“, plaudert Jane. „Eigentlich waren es alles Freunde meiner Schwester, die aber zuerst oben ihre Hausaufgaben machten. Dann kamen Freunde der Freunde hinzu, doch es war niemals öffentlich.“ Innerhalb von ungefähr einem Jahr schauten Musiker vorbei, wenn sie während einer Tour in der Stadthalle auftraten, darunter Lonnie Donegan und der Bandleader und Posaunist Chris Barber. Ende 1956 stellte der winzige Club praktisch das zweite Zuhause für Bill Nile dar, dessen Delta Jazzmen zu den heißesten Attraktionen der Stadt gehörten. Schon im Alter von 15 Jahren zählte Brian zu den Stammgästen. „Ich sah ihn Anfang 1957 im Filbys“, erzählt Graham Keen, der damals mit Ann Filby ausging. „Er hatte eine Gitarre mitgebracht. Allerdings kann ich mich nicht an sein Spiel erinnern. Ich weiß noch genau, welchen Bammel er hatte, rechtzeitig zu Hause zu sein, denn seine Mum und sein Dad bestanden darauf, dass er um 22 Uhr da war.“

      Brians Interesse, der beste Schüler der Klasse zu sein, mag sich 1957 vollkommen in Luft aufgelöst haben – laut den Lehrern zeichnete er sich nur noch durch eine „faule Grundhaltung“ aus –, jedoch richtete er die ausgeprägte Eigenschaft des Fokussierens auf die Musik. Zu Hause verbrachte er Stunden mit dem Hören von Platten auf dem Familien-Grammofon. Brian lernte die Riffs, Akkorde und Sounds mit einer leidenschaftlichen Hingabe, die ihn schon bald von anderen abheben sollte. In der Grammar hatte sich eine kleine Gruppe von Jungen getroffen, die unter der Aufsicht des Lehrers Bill Neve in der Mittagspause Sessions arrangierte. Neve ließ störrisches Verhalten auf keinen Fall durchgehen – wenn Brian Widerworte gab, verpasste er ihm eins hinter die Ohren –, doch in musikalischer Hinsicht zeigte er sich offen und flexibel. Er erlaubte den Jungs die Gründung einer Jazzband, geleitet von dem Klarinettisten Colin Partridge. Der Bandleader kam gut mit Brian klar, der mit einer Gitarre bei den Sessions auftauchte. Für ihn war es offensichtlich, dass er intensiv geübt hatte. „Er spielte schon eine längere Zeit und hatte die richtige Musik gehört, obwohl mich das Gefühl beschlich, dass seine Vision sich nicht nur auf Jazz beschränkte.“ Zumindest nicht auf Partridges Vorstellung vom Jazz, der einen puristischen New-Orleans-Revival-Stil anstrebte, ähnlich wie ein Bunk Johnson. „Es wirkte alles verbohrt, war überhaupt nicht Brians Stil“, erklärte der Sänger der Band Dave Jones, der mit seinem Namensvetter noch in der Zukunft spielen sollte. Partridge meint zusammenfassend: „Meinem Eindruck nach war er ein Einzelgänger.“

      Das stimmte auch, zumindest nach der Begrifflichkeit der Kids des Establishments. Während Brian durch die Musik neue Beziehungen aufbaute, verschwanden die alten Freunde – oder er vergraulte sie, darauf bedacht, die zu schockieren, die er als Langeweiler oder als zukünftige Aktenschieber betrachtete. Colin Dellar zählt zu den Freunden, die sich in Feinde verwandelten. Er saß anfänglich in der Strebergruppe neben ihm. „Wir waren zwei Jahre lang Freunde. Und dann hatte sich das mit der Freundschaft erledigt. Zum Ende hin glich das alles zwei Gangs – der Jones-Gang und der Dellar-Gang. Ich sagte meist, dass die Dellar-Gang für das Gute stand, während die Jones-Gang das Böse symbolisierte.“ Dellar zufolge begann der Bruch, als er den Jones’ einen Besuch in ihrer Doppelhaushälfte abstattete. Drinnen wirkte alles blitzblank und gepflegt, doch Brian schien Spaß daran zu haben, seiner Mutter eine möglichst große Unordnung zu hinterlassen. „Er sagte: ‚Damit hat sie erst mal was zu tun!‘“ Freunde von Brian interpretierten das als typisches Schuljungen-Gebaren, das darauf abzielte, zu schockieren. Falls es so war, funktionierte es. Doch gerade Dellar dachte, dass Brian etwas „Teuflisches“ anhaftete.

      Die Fehde der beiden verwandelte sich nicht in einen gewalttätigen Konflikt, doch es gab ständige Verbalattacken. Einmal zog Dellar einen besonders befriedigenden Coup ab. Schülergruppen mussten sich gegenseitig die Geschichtstexte bewerten, und seiner Gruppe gelang es, sich Brians Essay unter den Nagel zu reißen. „Da er ein äußerst intelligenter Junge war, fiel seine Arbeit dementsprechend aus. Doch wir überzeugten den Geschichtslehrer, ihm eine schlechte Note zu geben. Das war der reine Spaß.“

      Brians Gegenangriff war so verschlagen wie effektiv. Während ihres vierten Jahres an der Schule wandelte der stellvertretende Schulleiter Frederick Jessop würdevollen Schrittes den Flur entlang, als er plötzlich eine Reihe Obszönitäten hinter seinem Rücken hörte. Unverzüglich rannte er die Treppe hinauf, um des Missetäters habhaft zu werden, doch wer auch immer es gewesen sein mochte, war verschwunden. Mr. Jessop war sich sicher, Dellars Stimme erkannt zu haben, woraufhin er den Schüler zur Rede stellte. „Er zeigte sich mir gegenüber hochgradig verärgert, aber ich hatte gar nicht gerufen – sondern Brian Jones.“ Doch der stellvertretende Direktor glaubte ihm nicht. Nach dem Vorfall in der Oberstufe der Grammar School musste sich Dellar ein ganzes Jahr darüber ärgern, nicht mehr Vertrauensschüler zu sein. Später erfuhr er, dass der Direktor Dr. Bell „all die Geschichten über mich vom stellvertretenden Schulleiter erfahren hatte. Der behauptete, dass ich all diese Dinge gesagt hätte. Das war aber Brian Jones gewesen, der sich damit revanchierte. Letztendlich erkannten sie, dass Brian meine Stimme imitiert hatte, und so wurde ich doch noch Vertrauensschüler – ein Jahr später als alle meine Freunde. Brian hat mir das angetan!“

      Dellar stellte eine Ausnahme hinsichtlich seiner Antipathie gegenüber Jones dar, doch viele der anderen Jungs bemerkten beim zukünftigen Stone einen völligen Respektverlust, ja, sogar einen Hass gegenüber Autoritäten. „Er verhöhnte das Establishment“, bestätigt sein Klassenkamerad Ian Standing. „Ihn umgab ständig eine Aura der schlummernden Aggression oder Sturheit. Es mag zwar alles eine Art Fassade gewesen sein, war jedoch eindeutig spürbar. Keine Frage, er widersetzte sich Autoritäten.“ Ein oder zwei Jungs provozierten die Lehrer, doch wie Mitschüler Robin Pike hervorhob, „konnte man zwar ungebührliches Verhalten feststellen, doch keine direkten Beleidigungen der Lehrer. Es waren noch die Fünfziger, einhergehend mit körperlicher Züchtigung, womit sich eine gewisse Angst erklären lässt.“

      Brian Jones zog eine Prügelstrafe förmlich auf sich, deutlich sichtbar im Februar 1957, als Bill Haley, der dickliche Rock ’n’ Roller mit der Entenschwanzfrisur, seine zusätzlichen Termine für eine Großbritannien-Tournee bekannt gab, darunter auch ein Konzert in Cheltenham. Haley war damals zur Ikone der Jugendrebellion erkoren worden – vermutlich, weil es zu dem Zeitpunkt keinen Besseren gab. Am 22. Februar standen die Teenager in einer langen Schlange vor dem Ticket-Kontor, um Eintrittskarten zu ergattern, was einen empörten Aufschrei in der Stadt provozierte. Die Stadtverwaltung ergriff eine paranoide Angst vor unruhestiftenden Jugendlichen, insbesondere Teddy Boys, die schon für einige wütende Schlagzeilen in der Lokalzeitung gesorgt hatten und die Veranstaltungshalle nicht betreten durften. Die Polizei ließ die Menge nicht aus den Augen, und das Gloucester Echo druckte ein Foto der sich