Paul Trynka

Sympathy For The Devil


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des Ereignisses zu erklären. Man hatte mir strengstens verboten, dorthin zu gehen, da der Verkauf während der Schulzeiten stattfand. Es war wirklich schockierend, ein Schlüsselerlebnis.“

      Brian bekam seine Karte und besuchte das Konzert allein. Die Show wurde aber zu einer Enttäuschung – keine Krawalle und merkwürdig formelhafte Ansagen eines Bill Haley, dessen Band zu allem Überfluss auch noch mit einem Akkordeonisten auftrat.

      Brian hatte sich schon zu einem autarken Menschen entfaltet, obwohl er gerade erst 15 Jahre alt geworden war. Er verhielt sich zuvorkommend und freundlich, stieg sogar vom Fahrrad ab, um sich mit Robin Pike zu unterhalten, als die beiden kurz vor Weihnachten Prospekte austrugen. Doch auf Pike wirkte es seltsam. „Er gab sich außerordentlich freundlich – und das war an sich schon merkwürdig.“ Bei Freundschaften, die auf gemeinsamen Interessen beruhten, gab sich Brian richtig Mühe. Er besuchte zum Beispiel Phil Crowther, um mit ihm an Songs zu arbeiten. Hinsichtlich anderer Lebensbereiche hatte Brian sich jedoch merklich von der Masse abgenabelt.

      Einigen fiel auf, wie sehr er sich in dieser Zeit veränderte. Carole Woodcroft und June Biggar, die auf ihrem Weg zur Pate’s Grammar, der Grammar School der Mädchen im Westen der Stadt, teilweise die gleiche Strecke zu radeln hatten wie er, bemerkten, wie Brian an der Albert Road anhielt und sich mit einer ihrer Mitschülerinnen traf, einem Mädchen mit ziemlich langem, zu einem Pferdeschwanz geflochtenem Haar. Hope (nicht der richtige Name) und Brian „fielen beinahe übereinander her“, berichtet June, „was ungewöhnlich wirkte. Man traf einen Jungen von der Grammar vielleicht im Gaumont, denn dort war es dunkel. Die Leute redeten schnell, und man wollte auf keinen Fall, dass die Eltern etwas davon erfuhren.“

      Brian, der verschroben wirkende Außenseiter, das „Küken“, war zu einem muskulösen Jugendlichen mit glatter und reiner Haut geworden. Er zählte zwar nicht zu den großen Jungs, hatte aber einen eigenen, vereinnahmenden und spitzbübischen Charme und somit kannten ihn die meisten Mädchen der Pate’s. Caroles Erinnerungen nach hielt die schwärmerische Beziehung mit Hope einige Wochen oder Monate. Sie mochte Hope, ein intelligentes und schönes Mädchen, das allmorgendlich die Schulglocke läutete. „Und dann zog Brian weiter, vermutlich zu einem anderen jungen Ding.“

      Trotz all seiner Aufsässigkeit und der Lehrerkommentare über die sich vermindernden schulischen Leistungen waren Brians Resultate in den O-Levels in dem Sommer respektabel: Er erreichte sieben, darunter Englisch, Mathematik, Französisch, Deutsch und zwei Naturwissenschaften – genügend, um den Sprung in die Oberstufe zu schaffen, wo er für die A-Levels General Studies belegte sowie Biologie, Physik und Chemie. Es waren berüchtigt schwierige Fächer, zugleich jedoch am besten geeignet, um ihm zu einer Karriere als Tierarzt oder Apotheker zu verhelfen – zwei seriöse Berufe, die Lewis, zumindest der Vermutung der Nachbarn nach, für den Sohn ausgewählt hatte. Als Brian im September 1957 in die Oberstufe eintrat, bewerteten die Lehrer seine Lernhaltung als „gut“, obwohl einige Anzeichen die unverkennbare Präsenz des Vaters erkennen ließen. Dieser berichtete gegenüber den Lehrern von der „schwierigen inneren Einstellung“, die er zu Hause bei seinem Sohn erlebte.

      In dieser negativen Grundstimmung, dem erdrückenden Gefühl, ständig unter Aufsicht zu stehen, öffnete sich in Brians Leben kontinuierlich ein Weg des Entrinnens. In dem Sommer tauchte er regelmäßig als Gitarrist für Bill Nile’s Delta Jazzmen auf und spielte mit ihnen bei einer Reihe von Konzerten, die in ihrem „Hauptquartier“ stattfanden, dem Hinterzimmer eines pompösen viktorianischen Hallenbads in Alstone. „Er war ein guter Gitarrist, vermutlich besser als viele Musiker der Londoner Szene“, kommentiert Dave Jones, der Sänger der Band. „Er trat zwar nicht regelmäßig auf, doch recht häufig, vielleicht ein Dutzend Mal.“ Dann spalteten sich die beiden ab, um gemeinsam mit dem Drummer (und Vogelliebhaber!) Steve Keegan Brians erste Band zu gründen, die Barn Owls. Der zukünftige Stone hatte schon längst die Grenzen des konventionellen und traditionellen Jazz-Repertoires überschritten und sich mit der Arbeit der beiden Gitarristen James und Lonnie Johnson auseinandergesetzt. Kurz darauf entdeckte er John Lee Hooker, den wohl am sparsamsten spielenden und elementarsten Musiker des elektrischen Blues. Das Programm der kleinen Band war eklektisch – „Ain’t Misbehavin’“, „CC Rider“, „Careless Love“ und einige Nummern von Lonnie Donegan, die sie in den örtlichen Pubs, wie dem Montpellier Arms, dem Duke of Sussex und dem Reservoir Inn, „schrubbten“. Zwischen Dave und Brian entwickelte sich eine enge Freundschaft. Sie besuchten sich gegenseitig oder probten in einer Garage nahe der Hatherley Road. Dave mochte Brian: „In musikalischer Hinsicht konnte man leicht mit ihm arbeiten. Er kam immer zu den Gigs und Proben, was schon die halbe Miete ist. Er war ein Malocher.“

      Dave wusste, dass Brian mit anderen Musikern außerhalb des Trios spielte, ständig experimentierte und dazulernte. Im Frühjahr 1958 schloss er sich den beiden befreundeten Jazzern Mac White und Martin Fry an, um im Wheatsheaf Inn an der Old Bath Road einen kleinen Club zu eröffnen. Macs Gruppe trat meistens Mittwoch auf, während Brian die Karten an der Tür kontrollierte.

      Der spätere Stone befand sich auf der kontinuierlichen Suche nach neuen Songs, und zwar nach dem Zufallsprinzip, das für Kids im Vor-Internetzeitalter üblich war: Er fragte Freunde nach Empfehlungen, hockte sich in die damaligen Hörkabinen im Elektrofachgeschäft Curry’s und verschlang die Seiten der Jazz News. Er schlug dem alten Schulfreund Tim (nicht sein richtiger Name) die Gründung eines Schallplatten-Clubs vor. Die Idee dahinter: Brian stellte den Plattenspieler bereit und Tim sorgte für die Scheiben. Ungefähr zu Beginn 1958 setzten sie den Plan in die Realität um. Die beiden hockten sich in den Bus nach Gloucester, stöberten in den Regalen des Bon Marché, eines großen Kaufhauses, und kehrten mit einem Exemplar von 16 Tons von Tennessee Ernie Ford zurück. Bei Brian zu Hause waren weder die Eltern noch die Schwester zu sehen. Die beiden setzten sich in das picobello gepflegte Wohnzimmer, legten die 78er auf den kleinen Plattenspieler und lauschten der Musik – wieder und wieder. „Das ist schonungslos, das richtige Leben“, bestätigten sie sich gegenseitig. „Der Typ weiß, wovon er singt.“ Die Musik passte zu Brians facettenreichem Geschmack. Er absorbierte neue Musik förmlich, egal, was es war, genoss die tiefen und traurigen Töne eines Ernie Ford oder Johnny Cash, mochte aber auch die funkensprühende Energie eines Little Richard.

      Nun, als 16-Jähriger, erregte er Interesse in der Stadt. Möglicherweise lag der Grund für seinen oftmals von anderen bemerkten Narzissmus in der kürzlich stattgefundenen Transformation von einem hässlichen Küken zu einem jungen Mann. Mit dem kurz geschnittenen blonden Haar, den hohen Wangenknochen und den fein ausgeprägten Gesichtszügen war er sich seiner körperlichen Anziehungskraft bewusst. So manches Mädchen von der Pate’s warf ein Auge auf ihn. „Er war äußerst attraktiv“, meint June Biggar, „mit seiner wunderschönen, elfenbeinähnlichen Haut und den blauen Augen.“ Penny Farmer, eine ehemalige Schülerin, weist auf einen weiteren Punkt hin, der seine Attraktivität eventuell erklärt, denn man kannte ihn als „den Wilden“. Er zählte zu den Menschen, die eine Straße entlangschlendern, schlechte Laune haben und einfach an Bekannten vorbeigehen, ohne sie zu grüßen. „Er blieb verschlossen“, erinnerte sich ein ehemaliger Schüler, der sich hautsächlich – wie auch seine Altersgenossen – für Sport, schulische Belange und „ganz normale“ Freizeitaktivitäten interessierte.

      Tim, auch 16, ließ sich als ein recht schüchterner Junge beschreiben. Die Freundschaft mit Brian und, nicht zu vergessen, der Schallplatten-Club hielten nicht lange. Als er die Beziehung beschrieb, machte Tim – ein angenehmer, freundlicher Mann, der immer noch in Cheltenham wohnt – eine lange Pause, bevor er die Bemerkung folgen ließ: „Es gab etwas an seiner Persönlichkeit, das mir Unbehagen bereitete.“ Dem Unbehagen lag ein Vorfall an einem Nachmittag in Brians Haus zugrunde, wie Tim schließlich aufklärte: „Wir verbrachten den Nachmittag zusammen … und er schlug vor, gemeinsam zu masturbieren. Das war für mich wie ein Schlag vor den Kopf. Ich habe das niemandem erzählt, noch nicht mal meiner Frau.“

      Na ja, in dem Großbritannien der Fünfziger gehörte ein wenig gemeinsames Masturbieren nicht zu den sonderlich anormalen Praktiken. Viele wissen, dass auch ein John Lennon sich an seinen jugendlichen „Wichs-Zirkel“ erinnerte, während dieser „Zeitvertreib“ in einigen Privatschulen zur Tagesordnung der Kids gehörte. Nichtsdestotrotz „war es frühreif“, wie Brians Freund John Keen meint. „Solche Dinge passierten