Nané Lénard

SchattenHaut & SchattenWolf


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Gefühl, dass sie nicht die Wahrheit sagte, wollte es aber jetzt auf sich beruhen lassen. Die Seniorin hätte nichts Schlechtes über ihren Pfarrer gesagt, mit dem sie – wie auch immer – so viele Jahre unter einem Dach gelebt hatte. Hetzer würde bei seinem Nachfolger in der Gemeinde weiterbohren. Vielleicht wusste der etwas oder es stand irgendetwas Verwertbares in den kirchlichen Aufzeichnungen.

      „Das erwarten wir auch gar nicht von Ihnen“, sagte er zu Fraas‘ Haushälterin. „Sagen Sie, wie war denn der Pfarrer so als Mensch? War er streng oder eher weich? Hatte er Verständnis für die Sünden seiner Schäfchen?“

      „Des is schwer zum soag’n. Er woar fei a sehr guader Mensch, oaber er hoat die schwarzen Schafer’l scho a ins G’wissen g’red. Grad recht is er g’wen. Net zu hart und net zu weich. In die letzten Joahr is er a weng milder woarn. Un ruhiger a. Es woar a schene Zeit und jetzad muss i mir a neue Bleibe suachen, auf meine oiden Doag.“

      „Ach, das tut uns aber leid. Wir dachten nicht, dass sich etwas für Sie verändern würde. Sagen Sie, hatte Pfarrer Fraas einen Computer?“

      „An richtig großen net, nur so a kloan’s Ding zum Auf- und Zuaklapp’n.“

      „Ah, ein Laptop also. Dürften wir das mal sehen?“

      „Jo mei, warum net. Bitte kommen’s mit nunter in sei Wohnung. Er hoat des Ding imma am Schreibtisch liagn.“

      Frau Brüderl hielt sich gut am Handlauf der Treppe fest. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht, wenn sie woanders hinzog, dachte Wolf bei sich. Das Treppensteigen machte ihr sichtlich Mühe. Peter, der sich nur ungern aus dem Sessel gequält hatte, weil er die Kekse verlassen musste, hatte sich während der Befragung Stichpunkte notiert. Er ging jetzt hinter der alten Dame die Treppe hinab, während Hetzer fragte, ob der Pfarrer denn auch Kinder und Jugendliche betreut hätte. Er sah eben noch, wie sie ins Wanken geriet, konnte aber nicht eingreifen. Im letzten Moment bemerkte Wolf, vor allem durch Peters Aufschrei, dass etwas nicht in Ordnung war, und drehte sich um. Nur mit großer Mühe konnte er Heides Sturz abfangen. Mit dem einen Arm packte er sie. Leider etwas unsanft, sodass sie stöhnte. Mit der anderen Hand hielt er sich am Geländer fest, sonst wären sie beide zu Fall gekommen. Heide Brüderl war noch nicht wieder ganz bei sich. Inzwischen hatte ihr Peter jedoch von hinten unter die Arme gegriffen. Gemeinsam trugen sie die alte Dame nach unten, nahmen Fraas’ Schlüssel aus der Tasche ihres Kittels und legten sie auf dessen Sofa. Wolf Hetzer rief Notarzt und Krankenwagen, während Peter ihr die Beine erhöht bettete und sie langsam wieder zu sich kam.

      „Jo mei, wo bin denn i? Beim Herrn Pfarrer selig? Ach, meine Herrn, mir is a bisserl schwindelig worn. Jetzad hoab i Eahna a noch Scherereien g’moacht.“

      „Das ist nicht so schlimm, Frau Brüderl, der Arzt wird gleich hier sein. Ich glaube, wir haben Sie zu sehr beansprucht.“

      „Seit dem Herrn Pfarrer sein Tod bin i net mehr die Oide. Des hoat mit Eahna nix zum dua.“

      „Frau Brüderl, Sie sind doch sicher einverstanden, wenn wir den Laptop von Pfarrer Fraas mitnehmen. Vielleicht finden sich dort Hinweise auf das Verbrechen, das an ihm verübt worden ist. Wir würden uns auch gerne noch ein wenig in der Wohnung umschauen.“

      „Machens nur, woas sie moana. Und nehmens des Ding nur, meine Herrn Inspektoren. Er koa eh nix mehr damit oafoanga.“

      Es dauerte nicht lange, bis Notarzt und Rettungswagen in der Fontanestraße hielten und sich um Heide Brüderl kümmerten. Sie rief ihnen noch ein „Vergelt’s Gott!“ nach, bevor sich die Türen des Krankenwagens schlossen. Immerhin regnete es jetzt nicht mehr. Hetzer dachte, dass er etwas gesagt haben musste, das sie umgehauen hatte.

      „Du, Peter, vielleicht ist da was dran, an der Homosexualität. Wenn so gar keine Frauengeschichten bekannt sind.“

      „Ich glaube ja eher, dass wir uns auch auf seine Kontakte zu minderjährigen Schutzbefohlenen konzentrieren sollten. Immerhin leitete er in der Gemeinde St. Elisabeth in der Arndtstraße die Verwaltungsstelle für die katholische Jugend.“

      „Denkst du an Missbrauch, Peter? Das müsste dann ja wahrscheinlich etliche Jahre zurückliegen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in der nahen Vergangenheit für ihn möglich war, sich Kindern oder Jugendlichen so einfach zu nähern.“

      „Das vermutlich nicht. Er müsste ungefähr zehn bis fünfzehn Jahre außer Dienst sein. Mögliche Opfer wären dann jetzt zwischen zwanzig und – je nach Zeitraum – vierzig oder mehr Jahre alt.“

      „Wie willst du das jetzt noch herausfinden? Du glaubst doch nicht, dass die Kirche brisante Dokumente oder Protokolle aufbewahrt hat?“

      „Wer weiß, es ist in letzter Zeit so vieles ans Licht gekommen. Lass uns aber erst mal seinen Rechner und die Wohnung kontrollieren. Pädophile können von ihren Vorlieben meist nicht lassen. Es wäre möglich, dass wir irgendetwas, irgendeinen Hinweis finden. Fotos, Dokumente, Briefe.“

      Kruse und Hetzer überlegten, wie sie am besten vorgehen sollten.

      „Nimm du das Wohnzimmer, ich fange im Arbeitszimmer an“, schlug Peter vor.

      „Du, da habe ich eine andere Idee. Wir haben offiziell die Erlaubnis von Heide Brüderl, dass wir uns hier umschauen und den Laptop mitnehmen dürfen. Lass uns die Kollegen von der KTU anrufen. Wenn es irgendwelche Dinge gibt, die in diese Richtung weisen, werden es die Kollegen finden. Wir fahren zu Pfarrer Martin und klopfen einfach mal so auf den Busch. Ich habe da so ein Gefühl.“

      „Du immer mit deiner weiblichen Intuition!“, lachte Peter. „An dir ist eine wunderbare Frau verloren gegangen. Du kochst gerne, bist häuslich, hast dein Leben im Griff. Also, ich würde dich glatt heiraten.“ Peter musste lachen, weil Hetzer so vollkommen doof aus der Wäsche guckte, dass er den anderen damit ansteckte. Sie hielten sich am Sofa fest vor Lachen. Die Kekse in Peter hüpften förmlich.

       Die Täuschung

      Sabine Schreiber, Leiterin der Bückeburger Außenstelle in der Schwenstraße, wollte soeben die Tür des Schaumburger Jugendamtes abschließen. Es war bereits weit nach 18 Uhr und schon dunkel. Als sie die Treppen hinabging, kam wie aus dem Nichts ein Mann auf sie zugelaufen. Er trug einen Trenchcoat und einen Hut und war sichtlich aufgeregt.

      „Bitte kommen Sie schnell, Sie müssen mir helfen. Das Mädchen wird sonst totgeschlagen.“

      Sabine geriet in Panik.

      „Was sagen Sie da? Wo ist das? Wie alt ist das Kind?“

      „Schnell, wir müssen nach Obernkirchen fahren, in den Weheweg. Es handelt sich um meine Nachbarn. Sie schlagen ihr Kind. Ich kann diese schrecklichen Schreie nicht mehr ertragen.“

      Sabine Schreiber eilte mit dem Mann zu seinem Auto. Er hatte den Wagen vor dem Nachbarhaus geparkt.

      „Ich rufe jetzt parallel die Polizei an. Wo ist das genau im Weheweg? Ich kenne mich nicht so genau in Obernkirchen aus.“

      „Weheweg 47 bei Schröder. Mein Name ist Hildebrandt. Ich wohne in 49. Das Mädchen ist höchstens acht Jahre alt. Ich hatte neulich schon den Eindruck, dass da etwas nicht stimmt. Aber jetzt diese Schreie aus dem Keller.“

      Sabine Schreiber zögerte keine Sekunde. Sie rief 110 an und schilderte den Fall. Gab die Adresse durch. Dass sie vor Ort warten sollten, war ihr sowieso klar gewesen. Sie hätte nicht im Traum daran gedacht, ohne Polizei in das Haus zu gehen.

      Sie bat Herrn Hildebrandt, nach Obernkirchen in den Weheweg zu fahren und dort in einigem Abstand mit ihr zusammen auf die Beamten zu warten.

      Hildebrandt fuhr sofort los.

       Im Keller

      Es tropfte. Susi stand im Heizungskeller. Gleich würde er kommen.

      Die Heizung sprang an und ging wieder aus. Estropfte. Und es stank entsetzlich nach Öl. Die