Nané Lénard

SchattenHaut & SchattenWolf


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Mist gemacht hatte. Angst. Die Angst lähmte sie. Nicht einmal im Traum wäre sie auf die Idee gekommen, davonzulaufen. Die Tür war nicht verschlossen. Oder aus dem Fenster nach Hilfe zu rufen. Sie hätte es einfach öffnen können. Aber sie war hier, weil er es gesagt hatte. Dagegen gab es keinen Widerspruch. Das hätte alles noch schlimmer gemacht.

      Es tropfte, wieder sprang die Heizung an. Susi zählte die Sekunden, bis sie wieder ausging. 22 und dann wieder 148, bis sie erneut in Betrieb ging. An und aus und an und aus. Sie malte mit der Schuhspitze Muster auf den Boden, die man nicht sah. Er würde sie vielleicht auch nicht so schnell sehen, wenn er kam. Sie stand ganz hinten in der Ecke. Noch hinter der Heizung im Dunklen. Da fühlte sie sich sicherer.

      Früher war er immer lieb gewesen. Oft hatte er mit ihr Indianer gespielt oder sie waren angeln gegangen. Am Mittellandkanal oder am Steinhuder Meer. Einmal hatten sie der Großmutter einen Aal ins Bett gelegt. Das war vorbei. Sie war kein Kind mehr. Erwachsen auch nicht. Aber auch er war anders geworden.

      Die Heizung sprang wieder an. Es tropfte monoton. Sie wusste nicht, wie lange sie hier schon stand. Vielleicht hatte er sie vergessen. Der Hoffnungsschimmer war klein, denn er hatte sie noch nie vergessen. Es dauerte immer eine Ewigkeit, bis er endlich kam.

      Dann war sie fast erleichtert, wenn sie ihre Strafe bekam. Hinterher konnte wieder alles gut werden. Wenigstens mit Vater. Mutter würde bestimmt wieder eine Woche nicht mit ihr sprechen. Das kam, weil sie faul gewesen war. In der Schule. Und weil sie die schlechte Note auch noch verheimlicht hatte. Ein paar Tage länger Ruhe vor dem Sturm, ein paar Tage länger mit Mutter sprechen. Ihr eisiges Schweigen war nicht zu ertragen. Für jemanden, der zwölf war und der so viel im Kopf hatte, der so viel denken musste. Doch das verstand keiner. Einmal hatte sich Mutter sogar eingeschlossen. Damit Susi nicht zu ihr ins Wohnzimmer konnte.

      Das war der Tag gewesen, an dem sie überlegt hatte, ob eine Nagelschere lang genug war, um das Herz zu treffen. Sie hatte es nicht versucht. Das Leben war irgendwie weitergegangen.

      Mittlerweile hatte es zu dämmern begonnen. Bloß kein Licht machen. Auch wenn ihr das Tropfen jetzt lauter vorkam und die Heizung bereits zum vierundfünfzigsten Mal ansprang.

      Plötzlich hörte sie sie. Die Schritte auf der Kellertreppe. Er kam. Sie drückte sich noch tiefer in die Ecke. Wusste, dass er nun die Weidenrute von der Wand nahm. Die Tür ging auf.

      „Susi, komm her. Du weißt, dass du faul warst und gelogen hast. Jetzt musst du auch die Folgen ertragen. Mutter möchte, dass dir das eine Lehre ist.“

      Mit diesen Worten zog er sie aus der Ecke. Sie sträubte sich nicht. Wusste, dass es sowieso keinen Sinn hatte. Er schob ihr den Nickipullover hoch. Sie duckte sich, als der erste Hieb ihren Rücken traf.

      Der Schmerz, vor dem sie solche Angst gehabt hatte, war nun da. Das Warten hatte endlich ein Ende. Wie eine Erlösung war das. Tapfer hielt sie aus. Kein Ton kam aus ihrem Mund. Irgendwann ließ er von ihr ab und ging wortlos aus dem Heizungskeller.

      Da stand sie. Zog den Pulli wieder herunter und schlich aus der Tür. Damit niemand sie sah. Vorsichtig die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Erst dort kamen die Tränen. Als sie auf ihrem Bett lag. Die Eltern hatten ja recht. Das wusste sie.

       Sabines Verhängnis

      Im Weheweg hielt Hildebrandt an. Die Beamten waren noch nicht da. Er bückte sich in den Fußraum hinunter und noch ehe Sabine Schreiber überhaupt begriff, was los war, raubte ihr das Chloroform ihre Willenskraft.

      Sofort gab der Unbekannte Gas und verließ über den Jägerweg den Bereich, in dem gleich die Polizei auftauchen würde.

      Er fuhr direkt mit ihr zur Kellertür an die Rückseite seines Hauses. Zum Glück war sie nicht so schwer wie Benno. Und noch bevor sie wieder erwachte, legte er ihr eine Infusion und versetzte sie in Narkose. Jetzt musste es schnell gehen. Er legte ihr noch die Platte des Elektrokauters unter das Gesäß und setzte zum Bauchschnitt an. Vorsichtig präparierte er sich durch die einzelnen Hautschichten und das Bauchfell, an Muskeln und Gefäßen vorbei, bis zur Gebärmutter und den Eierstöcken. Wiederholt musste er Blutungen mit dem Elektrokauter stoppen und die Gefäße mit Hitze verschweißen. Das stank, wie neulich, als er Bennos Haare vom Körper gebrannt hatte. Bei Sabine hatte er sich kurzerhand zum Rasieren entschlossen. Erst mal das Nötigste. Nach mehreren Nähten im Bauchraum gab es keine Blutungen mehr. Er konnte Sabine wieder zumachen. Es wurde auch Zeit, denn ihr Blutdruck fiel etwas ab.

      Da lagen sie nun vor ihm. Sabines Organe, ihr Frausein in einer Nierenschale.

      Ursprünglich wollte er ihr noch die Brüste entfernen. Das musste später passieren, wenn sie wieder stabiler war. Kurz bevor sie aufwachte, rasierte er sie noch gründlich – auch unter den Armen – und deckte sie zu.

      Mit einem Hustenanfall wachte Sabine Schreiber auf und schaute verwundert in die OP-Lampe.

      „Sie hatten einen Unfall“, sagte der Arzt leise mit verstellter Stimme. Sie konnte ihn kaum erkennen, da er Mundschutz und Haube trug.

      „Um Himmels willen, was ist passiert?“, rief Sabine erschrocken. Sie konnte sich an nichts erinnern.

      „Keine Angst, Sie werden es überleben. Wir haben Sie mit einer Notoperation gerettet. Und nun schlafen Sie erst mal ein bisschen.“

      Über den venösen Zugang spritzte er ihr Fortral und Sabine schlief wieder ein.

       Pfarrer Martins Vermutung

      Kruse und Hetzer mussten warten, bis Pfarrer Martin endlich Zeit für sie hatte. Sie hätten auch nicht gewollt, dass er seine Bibellesestunde unterbrach. Nach und nach verabschiedeten sich die Frauen von ihm und wünschten ihm einen schönen Abend.

      „Bitte kommen Sie in mein Büro, meine Herren“, sagte er und bot ihnen einen Platz in der Sitzecke an.

      „Wir kommen heute mit einer etwas delikaten Frage zu Ihnen.“

      „Nur raus damit, mir ist nichts Menschliches fremd, glauben Sie mir. Ich denke, es gibt fast nichts, was ich noch nicht gehört habe, beziehungsweise nichts, mit dem ich mich noch nicht auseinandersetzen musste, ob ich wollte oder nicht.“

      „Dann wird das, was wir fragen wollen, vermutlich demnächst dazugehören. Was wissen Sie über das private Leben von Josef Fraas? Vor allem in Hinblick auf die Beziehungen zu den Menschen, von denen er umgeben war.“

      „Darüber weiß ich wenig. Da ist mir wenig bekannt. Vermuten Sie, dass der Täter ein Bekannter von Josef war?“

      „Nicht unbedingt. Uns interessieren viel mehr eventuelle Beziehungen, gefühlsmäßig oder sexuell.“

      „Ah, daher weht der Wind. Da brauchen Sie sich doch für Ihre Fragen nicht zu schämen. Es ist doch klar, dass – besonders in diesem Fall – eine solche Frage kommen muss, wenn jemand im Zölibat lebt. Aber ich kann Sie beruhigen. Es ist niemals auch nur der Verdacht aufgekommen, dass Pfarrer Fraas ein Verhältnis hat. Nicht einmal mit seiner Haushälterin. Oder er muss es besonders geschickt angestellt haben. Aber das wäre auch kein Grund, ihn zu ermorden, oder?“

      „Haben Sie jemals davon gehört, dass er eventuell auch Männern zugeneigt gewesen sein könnte?“

      „Niemals“, antwortete der Geistliche. Hetzer hatte den Eindruck, als ob er auf der Hut war.

      „Hat es jemals – auch nur als Verdacht – Übergriffe auf Jugendliche oder Kinder gegeben? Ich meine, die Möglichkeiten sind hier ja groß.“

      „Nein, nie. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss zur Chorprobe.“

      Mit diesen Worten öffnete er die Tür und verabschiedete sich.

      „Das war jetzt aber plötzlich, Wolf.“

      „Da haben wir wohl doch eine empfindliche Stelle berührt. Was meinst du? Ich bin gespannt, ob die KTU was findet.“

      „Ich