Promenade, den Paseo, entlangspaziert waren, sich in seinen Cafés unterhalten, den kleinen Zug nach San Sebastián genommen hatten, dachten sie jetzt, wo es brannte, zuerst an jenen ersten unerfreulichen Morgen – den Mann in Schwarz an der Brücke, den Regen und die Stille. Sonderbar, diese Erinnerung an die Stille – ein Grenzbahnhof zur geschäftigsten Tageszeit kann eigentlich kein ruhiger Ort sein. Und doch erinnern sich die Touristinnen, die ihn am behaglichen Kamin vor ihrem inneren Auge aufscheinen lassen, an eine Atmosphäre der Stille und an eine Glocke, die inmitten regennasser Bäume schlug. Und das war alles, was Spanien ihnen bei ihrem ersten Halt gegeben hatte.
Die Touristinnen seufzen, rühren in ihrem Getränk. Denn danach hatte es ihnen so viel gegeben – sie waren aufrichtig entflammt. Echte Touristen. Sie gehörten zur Kategorie derer, denen das Leben selbst das Herz viel mehr erfüllt als die schönsten Theorien oder Experimente. Spanien war also ganz nach ihrem Geschmack. Und jetzt stand das Grenzland in Flammen. Toledo von Kugeln durchsiebt, Burgos ein Kriegsschauplatz, die Sierra de Guadarrama ein Schlachtfeld. Ortega, der Stierkämpfer, vor Kurzem erschossen. Bomben fielen auf den Bahnhof Atocha, gefährlich nah beim Prado. Die Touristinnen finden ihr Getränk ungenießbar und gehen zu Bett. Doch bei aller Niedergeschlagenheit, und weil das am einfachsten ist, glauben sie, dass sie ihrer Liebe wiederbegegnen werden. Die Spanier haben ihnen den Reiz und die Ausflucht des »mañana« gezeigt, und dass es sich dabei um einen neuen Tag handelt. Aber wie neu, in unserer Zeit? Das ist wahrhaftig eine Frage. Während man auf Antwort wartet, ist es doch jedenfalls etwas, das letzte und angeregteste Jahrzehnt in der Geschichte des Tourismus durchlebt zu haben.
Etwas – persönlich betrachtet. Denn international scheint es wenig wert gewesen zu sein, wie die zukünftige Welt zu Recht zeigen wird, wenn die geschäftigen und sich selbst verleugnenden Bevölkerungen – keine Nationen mehr – all die alten Quellen gegenseitiger Neugier, all die Vorwände, dem Vergnügen nachzugehen, all die Entschuldigungen für den Genuss ungetrübter und insofern verderblicher Träume beseitigt haben werden.
Pervers genug wiederhole ich trotzdem, dass ich zu meinem persönlichen Vergnügen schreibe. Auch wenn das Schicksal über mich hereinbricht, bin ich froh, dass ich nicht im Tausendjährigen Reich gelebt habe. Ich bin auch froh, so lange nach der Zeit der Grand Tour gelebt zu haben – etwas Derartiges wäre mir bei meinem bescheidenen Los nie vergönnt gewesen. Froh, dass ich die rauen Segnungen der Touristenkabine, des einfachen Fahrscheins und den Autobus kennenlernte. Denn das unbeschwerte Reisen, wie es für meine Generation erschwinglich und ohne übertriebenen Aufwand möglich war, zählte mit Sicherheit zu den größten und geheimsten aller persönlichen Freuden. Für mich hieß das nicht unbeschwertes Reisen hier, dort und irgendwo – mein Herz ist eng –, sondern unbeschwertes Reisen durch Spanien.
Wenn es zulässig und nicht hochgradig gefährlich ist, zu diesem Zeitpunkt Pater6 zu zitieren, riskiere ich es, diese viel zu oft bemühten Worte hier noch einmal zu wiederholen: »Die Kunst kommt zu dir, indem sie offen erklärt, nichts anderes zu geben als deinen Augenblicken, die dahingehen, höchste Qualität – einfach um dieser Augenblicke willen.«
Eine einschränkende Aussage, aber es gibt Leute, die genau in deren Akzeptanz irgendeine Art funktionierender persönlicher Wahrheit gefunden haben – falls sie den Mut hatten, sie zuzulassen. Künstler, ob sie dieser Bezeichnung gerecht werden oder nicht, oder überhaupt durchscheinen lassen, dass sie mit dem Stigma behaftet sind, kennen sich selbst. Sie kennen ihre Handicaps und, mitunter vielleicht etwas selbstgefällig, auch ihre Stärken. Viele von ihnen lehnen Paters ästhetisches Diktum ab und können es durch ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen widerlegen und bleiben doch unbestreitbar Künstler. Aber für andere hält es stand. Nicht, dass sie versuchten, abgeschottet damit zu leben – außer sie wären Freaks – oder dass ihre ganze Geschichte darin enthalten wäre. Aber sie erfahren, oft genug ernüchtert und zu ihrem Bedauern, dass es sich um die Erkenntnis handelt, die sie am ehesten verstehen, und machen die Entdeckung, dass deren Kollision mit anderen inneren Prinzipien diese aus der Bahn wirft. Oft zu Unrecht oder unangenehmerweise. Und der Rest von uns, an welcher Stelle im Register wir uns auch befinden – wird nicht auch auf uns gelegentlich in Bezug auf Paters Aussage verwiesen? Werden nicht auch wir, wie sporadisch und unzulänglich auch immer, von diesem »erregenden Lebensgefühl«, diesem »vervielfachten Bewusstsein« heimgesucht, das das tägliche Brot des Künstlers ist? Sodass wir beunruhigt, aber zugleich beglückt von dieser Heimsuchung, zaghaft von neuem und wann immer wir können nach ihr suchen?
Nicht als Droge. Die Fortschrittlichen, die keine Grabschriften lesen und in zerfallenem Stein nur eine einzige Botschaft entdecken, müssen bitte glauben, dass gewisser Leute gedankenversunkene Beschäftigung mit Ramsch kein Laster ist, wie sie es sehen, sondern in ihrer Absage an jeden Utilitarismus vielmehr eine Quelle der Kraft und des Mutes. Indem sie uns mit dem kalten Hauch des Todes konfrontiert – das heißt, mit dem von Zeitlosigkeit und Distanz –, verhilft sie uns immer mal wieder kurzfristig zu Immunität gegenüber dem derzeitigen Radau, während sie zugleich zu Geduld damit rät. Einmal war der Aquädukt von Segovia ein Spektakel, eine lebendige, praktische, städtische Idee, und jetzt steht es keinesfalls schlechter um ihn, und genau darin liegt der Kern seiner Würde. Der Kern, nicht das Ganze. Denn er wurde zu einer Potenz, die mehr umfasst als den Wasserbedarf einer Stadt. Kein Bedarf an Phrasen. Entweder geht einem bei seinem Anblick das Herz auf, oder nicht; entweder kommt es zu dem »erhöhten Bewusstsein«, das einem Augenblick, der dahingeht, die höchste Qualität verleiht, oder wir bemitleiden die schwere körperliche Arbeit der Sklaven und gratulieren uns zu Stahl und elektrischer Energie. Nicht, dass letztere die Freude nicht verdienten, die wir an ihnen haben. Es ist außerdem möglich, dass in zweitausend Jahren die himmelstürmende Fassade des Empire State Building ein prächtigeres und ergreifenderes Spektakel abgeben wird als heute – wenn solche Relikte denn stehenbleiben dürfen. Was unwahrscheinlich ist. Und während wir dieser Befürchtung noch ausweichen, denken wir traurig darüber nach, dass Macaulays Neuseeländer7, der uns in der Schule so begeistert hat, mit größter Wahrscheinlichkeit nie auf der Westminster Bridge stehen wird, um die Ruinen von St. Paul’s zu betrachten – (a) weil zu diesem Zeitpunkt kein Mensch, der etwas auf sich hält, in solch einem Ausflug einen Sinn sehen wird und (b), weil Ruinen aus Gründen der physischen und geistigen Hygiene nicht geduldet werden.
Was sie dann an mutigen Dingen unternehmen, mit welcher Lasur sie ihre Spießigkeit überziehen und wie sie ihre persönlichen Varianten von Schmerz und Irrationalität am Ausbruch hindern werden, bleibt ihr Geheimnis. Du und ich kommen zurecht, gut oder schlecht, so wie wir eben können – indem wir nach Strohhalmen greifen. Ein Buch, eine Hand, ein erstklassiger Witz; ein Gebet zu Gott oder die Geburt eines Kindes; die Flucht in die Einsamkeit oder in wildes Nachtleben; ein Arbeitsanfall, eine Attacke romantischer Liebe oder ehelichen Friedens; ein Theaterbesuch; ein guter Brandy oder ein kühles Bier. Oder eine Reise ins Ausland – um einmal alles hinter sich zu lassen, wie man so sagt.
Alles hinter sich lassen! Eines unserer Klischees, das für unsere Urenkel in ihrer uniformen Welt erst Bedeutung haben wird, wenn sie sterben. Etwas, das wir tun können und sie nicht für möglich halten werden – alles hinter sich zu lassen. Unsere Schwäche ist eine Stärke, die sie wahrscheinlich vermissen werden, es sei denn, sie wären wirklich Übermenschen. Wenn sie nach unseren entsetzlichen Picknicks alles aufgeräumt und aus der Welt einen utopistischen Distrikt gemacht haben – was dann? Oh, Himmel, hab Mitleid mit ihnen!
Sofern die Hypophyse nicht ein monströses Wunder vollbringen kann, wie es sich nicht einmal das alte Christentum hat träumen lassen, werden unsere Nachkommen, wie ich fürchte, entdecken, dass sie unglücklich sind – falls sie dieses Wort kennen. Eine glückliche Entdeckung, wage ich unbeirrt zu glauben. Glücklich, selbst wenn sie haarsträubend, ja, unwiderruflich ist – außer man verjubelte den Distrikt. Und irgendeiner könnte sogar zu dieser regressiven Maßnahme greifen, denn abgesehen davon, was dessen vorbildliche Bürger auch immer sein mögen, ihr Same – kontrolliert, konditioniert, nenn es, wie du willst – könnte immer noch von Adam stammen. Oder ist so eine sentimentale Folgerung schmerzlich veraltet?
Einstweilen leben wir, die Eskapisten, die Umstürzler, noch inmitten unserer Slums und Ruinen und halten an unserer alten, grauen Vorstellung fest, dass das Leben von etwas bestimmt wird, das niemals in ein Reagenzglas geht. Während wir Kinder der langen