Kate O'Brien

Wolken über Spanien


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Vielleicht gibt es ein Kino in Santander.

      Das gibt es. Sie finden ein besonders luxuriöses, wo ein Film läuft, den sie beide ein Jahr zuvor im »Granada« in Tooting genossen haben. Und wieder gefällt er ihnen. Auch ihr Abendessen genießen sie – sie sind ziemlich hungrig, als es endlich auf dem Tisch steht – es ist zehn Uhr. Sie genießen ihre Flasche Rioja und ihnen gefällt, dass sie so billig ist. Und anschließend, in Stimmung, gehen sie zum Café oberhalb des Strands, trinken Likör und sprechen mit dem unbeschäftigten Kellner, der früher einmal in Chicago gelebt hat. Während sie reden und die flackernden Lichter der Sardinenboote in der Bucht beobachten, hören sie in weiter Ferne die Stimme eines Jungen, ein wilder, ungewöhnlicher Gesang. Sie wissen nicht, dass es sich um einen Flamenco handelt. Er macht Daisy traurig und George nervös.

      Aber der nächste Morgen ist schön und warm, so schön und warm wie vor drei Sommern in Ilfracombe. Erinnerst du dich, George? Und es sind Leute am Strand – wie es der Kellner vorausgesagt hatte. George und Daisy schlüpfen in ihre Bademäntel und gesellen sich dazu.

      Von nun an hängen ihre zwölf Tage ausschließlich von ihrer Persönlichkeit ab. Wenn sie initiativ genug sind und ihre Befangenheit in den Griff bekommen, werden sie am Ende dieser Zeit feststellen, dass sie eine Reihe wirklich interessanter Dinge unternommen und ein Stückchen des wirklichen Spaniens entdeckt haben, das an die Stelle des Spaniens ihrer Fantasie treten kann. Und auch wenn sie lediglich Beobachter sind und sich dabei nicht in Vorurteilen verfangen, werden sie ebenfalls viel gelernt und sich gut durch das beste aller Schauspiele unterhalten haben, das sich einem überall bietet – alltägliches Leben, menschliches Leben wie es Leute, deren Gewohnheiten und Eigenschaften unserem Auge neu sind, deren Wesen sich jedoch nicht beängstigend von dem unseren unterscheidet, eben so leben. Aber Initiative und Übersicht sind nicht unbedingt die beiden Dinge, die wir zwangsläufig einpacken, wenn wir planlos und aufgekratzt zu zwei kurzen Wochen aufbrechen, die vor promptem Vergnügen, pittoreskem Nervenkitzel und dem Glanz und Rausch eines kurzen, kostbaren Urlaubs überquellen sollen. Deshalb bin ich eigentlich der Meinung – und ich habe in Santander mit vielen Touristen gesprochen –, dass die vierzehn Tage an der kantabrischen Küste ein Reinfall sind, und wenn die Urlauber ganz ungeduldig zur »Orinoco« zurückdrängen, sind ihnen wahrscheinlich zwei Dinge widerfahren, mit denen sie nicht gerechnet haben – sie wurden in ihrer unschuldigen Suche nach Ferienvergnügen enttäuscht und zum Ausgleich in ihrer unseligen nationalen Selbstgefälligkeit gestärkt. Zwei schlechte Dinge – das zweite noch schlechter als das erste. Wenn ich also sehe, wie sie die Gangway ihres Linienschiffs hinunterstürmen, wenn ich ihre erwartungsvollen, noch ganz frischen Stimmen im Café del Boulevard höre, stimmt mich das traurig, für sie und für Spanien.

      Während ich nun die Shrimps aus ihren hübschen Schalen befreie, lausche ich dem Geplapper dieser neuen Schar. Ich mag Shrimps nicht besonders – obwohl ich sie früher gern gefangen habe –, doch hier in Santander gehören sie zum Aperitif fast zwangsläufig dazu. Die Leute aus Sevilla erzählen einem, sie seien bei ihnen besser als im Norden. Dass die camarones, die Garnelen aus Santander, aber weltberühmt sind – und Eduardo sagt, das sind sie –, geht auf einen durchreisenden Bischof zurück, der im vierzehnten Jahrhundert vom Bürgermeister der Stadt verköstigt wurde und feststellte, dass er sie vergnügt und ohne Angst vor Folgen in großen Mengen verspeisen konnte. Worauf er ihre Brut für immer und ewig segnete. Während ich meine Finger mit diesen geweihten Meeresfrüchten beschmutze, noch immer unsicher, ob sie der Segnung des Bischofs oder meiner Mühe wert sind, höre ich, wie die Neuankömmlinge Pläne machen. Ein paar von ihnen – jugendlich, mit kurzgeschorenen Haaren oder mit Knickerbockern, was die örtlichen Señoritos begeistern wird, die derzeit Gefallen an diesen unvorteilhaften Hosen finden – wollen die Sommerschule besuchen. Eine gute Idee. Der Unterricht ist einwandfrei und international ausgerichtet, und sie werden dort so viele Schweizer und Deutsche treffen, dass es für sie bald keine Rolle mehr spielt, ob sie in Spanien sind oder nicht. Einige andere wollen »sonnenbaden und braun wie die Spanier werden und das schöne warme Meer am liebsten gar nicht mehr verlassen«. Jemand hat ein Skizzenbuch zur Hand. Einer der jungen Männer überlegt, Gitarre spielen zu lernen. Bis auf die Studenten sind alle auf Glamour aus, oder das, was sie sich darunter vorstellen. Und alle wollen den Konsul sehen. Ja, wir müssen den Konsul finden.

      Das wird ein ewiges Rätsel der Auslandsreisen bleiben. Was wollen die Briten nur immer von ihrem armen Konsul? Der Konsul in Santander ist wirklich ein sehr freundlicher und zuvorkommender Mann, aber wie oft – vielleicht ganz unnötig – habe ich ihn bemitleidet. Schwärme junger Mädchen, die keinen Ton herausbringen, in Cafés begleiten, sie in Straßenbahnen setzen; magenkranke Städter zur englischen Apotheke führen; Marmelade für britische Matronen besorgen; erklären, dass Briefmarken nicht im Postamt gekauft werden – ja, sehr sonderbar – und dass das Wasser Marke Solares genauso gut ist wie Vichy. Ein aufgewecktes zehnjähriges Kind könnte all diese Entdeckungen innerhalb von zwölf Stunden in einer fremden Stadt ganz allein machen und drauf los leben – aber nein. Wir müssen den Konsul finden. Plagen andere Nationen ihre bevollmächtigten Vertreter im Ausland auch in so infantiler Weise? Nun – ich werde ihnen nicht sagen, wie sie den Konsul finden. Gebt dem Mann eine Chance. Das ist seine Hochsaison.

      Ein Guardia Civil geht vorbei, mit Gewehr und gelbem Bandelier. Gebeugt und zusammengeschrumpft, kein fesches Exemplar der Träger des berühmten Lacklederhutes, doch der zukünftige Gitarrenspieler, der die anderen Touristen über ihn lächeln sieht, tadelt diese. Die Guardia Civil ist eine prachtvolle Vereinigung von Männern, hat er gehört. Ein englischer Bursche unten am Kai – irgendein Kerl, der für seine Firma hier ist – hat ihm gesagt, dass diese Männer, die Bürgergarde, augenblicklich die einzigen Menschen sind, die zwischen Spanien und der absoluten Anarchie stehen. Alle sehen sehr beeindruckt aus.

      Du lieber Gott! Die Guardia Civil hat wirklich eine lange Tradition der Loyalität zum Boss und darin, ihn rücksichtslos zu verteidigen und seine Gegner zu attackieren. Aber hat niemand diesem jungen Menschen, der für seine Firma hier ist, von der paramilitärischen Guardia de Asalto erzählt, der Sturmgarde, deren Einrichtung die junge Republik für nötig hielt? Auf diese neue Polizeieinheit, gegründet allein auf der Tradition spanischer Männlichkeit, soll die spanische Bevölkerung sich nun verlassen, sie soll sie vor den Übergriffen der Bosse bewahren? Abgesehen davon ist es keine irgendwie geartete Polizeitruppe, egal, welchen berühmten Hut sie auch trägt, die zwischen Spanien und den Ideen steht, auf deren Erprobung es aus sein könnte. Das komplizierte spanische Temperament ist nicht von der Gnade eines Polizisten abhängig. Es kämpft mit sich selbst und zwar einen Kampf des Geistes. Und wenn es die Absicht hat, diesen Kampf nach außen zu tragen, dann wird es das tun, wie hoch der Preis auch sein mag – wie wir ja gerade sehen. Würde es einen Engländer freuen, wenn Spanier, die Manchester besuchen und einen Bobby auf Streife sehen, einander belehrten, dass nur Leute wie er zwischen England und der absoluten Autokratie stünden? Überhaupt, »absolute Anarchie« – oh, mein Freund, der du das Gitarrenspiel niemals lernen wirst, weißt du nicht, dass jene unmögliche Lebenslage der Himmel wäre – der Himmel auf Erden?