Harald Haarmann

Die Anfänge Roms


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4).

      Die Entstehung der etruskischen Zahlennotation findet ihre Motivation im Milieu der ägäischen Sprachkontakte. Das damals entstandene System wurde von den etruskischen Migranten nach Italien transferiert, und dort wurde es in einer neuen kulturellen Umgebung kontextualisiert (Haarmann 2008: 104 f.; s. Kap. 12).

       image Tusci

      Im Etruskischen gab es zwei Formen für die Selbstbenennung der Etrusker, die sich durch ihren Anlaut voneinander unterschieden. Die eine Form war Kursike, die andere Tursike. Die letztere Form zeigt deutlich die Anlehnung an die griechische Namenform für die Etrusker: Tyrrhenos, aber mit der Angleichung der Anfangssilbe an etrusk. tur (›Sippe, Gefolgschaft‹). Kursike ist eine Nebenform von Tursike. Aus dieser Form entwickelte sich tursko und vereinfacht tusco, und dies ist die Basis für den Namen der Etrusker bei den Römern: Tuscus (sing.) – Tusci (pl.); (de Simone 2015b: 230 ff.). Auch zur Form Tusci gab es eine Variante: Etruscus/Etuscus. Davon leitet sich der Name für das Kernland der etruskischen Siedlung ab: Etruria.

      Abb. 4: Etruskische Zahlzeichen (dokumentiert auf der Basis von Inschriften; Ifrah 1987: 168, 182)

       image Der Transformationsprozess vom Stadium der Villanova-Kultur zur etruskischen Kultur

      Die proto-etruskischen Einwanderer waren nicht zahlreich, wohl aber gut organisiert, sodass es ihnen gelang, die kulturelle und politische Entwicklung in ihrer neuen Heimat – inmitten der italischen Völkerschaften – zu bestimmen. Die Integration der proto-etruskischen Eliten zeitigte unterschiedliche Ergebnisse im regionalen interethnischen Kontakt (Malnati/Manfredi 1991):

      a)In Lukanien ist eine vollständige Assimilation der Proto-Etrusker an die lokalen italischen Kulturtraditionen zu beobachten;

      b)In Etrurien kommt es zu einer gleichgewichtigen Fusion, als deren Endergebnis ein echtes kulturelles Amalgam mit sowohl italischen als auch proto-etruskischen Elementen entsteht;

      c)In den von Villanova-Leuten dominierten Siedlungen des Nordens (Tal des Po, Adriaküste) bewahrt die Regionalkultur proto-etruskische Eigenheiten bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. (Abb. 5).

      In Italien entwickelt die Kultur der Proto-Etrusker das Profil, das wir aus den Quellen und Monumenten der vorrömischen Zeit kennen. In der archäologischen Hinterlassenschaft Etruriens sind im ausgehenden 9. und beginnenden 8. Jahrhundert v. Chr. revolutionäre Veränderungen festzustellen. Ältere Dorfgemeinschaften werden zusammengeschlossen, und aus ihnen entwickeln sich die ersten städtischen Zentren der Villanova-Kultur. In der Forschung sind die Ansichten über den Charakter der Villanova-Kultur geteilt. Die einen halten sie für einen Import von Außen, die anderen sehen darin eine Mischung aus einheimisch-italischen und importierten Elementen. Diese Kultur zeigt bereits die typischen Amalgamierungsprozesse, nämlich die symbiotische Verflechtung einheimischer Eigenheiten mit Elementen, die die Einwanderer mitgebracht hatten. Denn von Anbeginn treten externe Zusatzkomponenten, u. zw. ägäische sowie auch nahöstliche Merkmale in der Villanova-Kultur in Erscheinung.

      Abb. 5: Die Einflusssphäre der Etrusker in Norditalien (Macellari 2014: 17)

      Es besteht Einigkeit in der Hinsicht, dass die Villanova-Kultur sich ohne auswärtige Impulse nicht mit der Rasanz entfaltet hätte, die die archäologische Hinterlassenschaft ausweist. Die Träger der Villanova-Kultur waren noch nicht die Etrusker der klassischen Zeit. Da das etruskische Kulturerbe aber auf dem Fundament der Villanova-Kultur aufbaut, ist es berechtigt, die Leute von Villanova als Proto-Etrusker zu identifizieren.

      Die Etrusker als das historische Volk sind aus einem ethnischkulturellen Transformationsprozess entstanden, an dessen Anfang die proto-etruskische bzw. Villanova-Kultur stand, und aus deren kontinuierlicher Weiterentwicklung die etruskische Zivilisation aufblühte. Der Wandel vom Volkstum der Proto-Etrusker zu dem der Etrusker ähnelt in mancher Hinsicht der ethnisch-kulturellen Transformation, die Jahrtausende früher in Mesopotamien stattfand, als sich die Identität der Sumerer aus der Ethnizität der Ubaid-Leute entwickelte (Maisels 1999: 147 ff.).

      Das kulturelle Erbe von Villanova wandelt sich im Horizont der Zeit zum Eigenprofil der etruskischen Zivilisation, und in deren Eigenarten fallen von Anbeginn die Beziehungen zum östlichen Mittelmeerraum, zur Ägäis und zum Nahen Osten, auf. In diesem Komplex von kulturellen Parallelen ist deutlich zwischen zwei Traditionen zu unterscheiden: (i) das altägäische Kulturerbe, das die etruskische Zivilisation über ihre proto-etruskischen Frühstadien mit den vorgriechischen Zivilisationen des ägäischen Inselarchipels verbindet (Haarmann 1995: 150 ff.); (ii) ein nahöstlicher Modetrend, der im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. die Vorlieben der etruskischen Aristokratie bestimmte. Dieser zeitlich begrenzte Trend wird die »orientalisierende Periode« (ital. orientalizzante) genannt (Cristofani 1985: 199 ff.).

      Die älteren ägäischen Eigenheiten gehen seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. eine enge Verbindung mit den orientalisierenden Elementen ein, sodass sie in ihrer Verwobenheit dem Betrachter wie ein symbiotisches Beziehungsnetz anmuten. Lediglich in der wissenschaftlichen Analyse können die ägäischen von den orientalisierenden Eigenheiten unterschieden werden.

       Die griechischen Siedlungen der Magna Graecia

      Im Verlauf des 16. Jahrhunderts v. Chr. erkundeten mykenische Griechen die Seerouten in Richtung Westen, und seit dem 15. Jahrhundert v. Chr. gab es ständige Kontakte mit Süditalien. Die Mykener richteten zahlreiche Handelsstützpunkte ein. Die meisten lagen an den Küsten des Ionischen Meers und der Adria. Auf Sizilien waren die Stützpunkte im Südosten der Insel konzentriert (Abb. 6).

      Die Handelsplätze von damals sind von Archäologen anhand einer Leitform identifiziert worden: mykenische Keramik. Solche Gefäße sind bis in die Region von Neapel gefunden worden. Die wirtschaftlichen Interessen der Mykener an Süditalien waren in der Hauptsache motiviert durch den Handel mit Metall, mit Kupfer und Eisen. Die Lipari-Inseln (nördlich von Sizilien) waren wegen der dortigen Kupfervorkommen von Interesse. Eisen kam aus dem Norden, von den Inseln Elba und Korsika. In mykenischer Zeit gab es dort keinen festen Stützpunkt und eine griechische Kolonie wurde auf Korsika erst im 6. Jahrhundert v. Chr. von den Phokäern eingerichtet (Alasia). Der Handelsstützpunkt bei Castiglione auf der Insel Ischia in der Bucht von Neapel diente als Umschlagplatz für Metalllieferungen aus dem Norden.

      Mit dem Niedergang der mykenischen Macht im östlichen Mittelmeer erlahmte auch der Fernhandel mit dem Westen. Die Seeroute geriet aber nicht in Vergessenheit, denn auf dem früher von mykenischen Handelsschiffen frequentierten Seeweg gelangten die Proto-Etrusker (Tyrsener bzw. Tyrrhener) aus dem Norden der Ägäis an die Küste des Tyrrhenischen Meers.

      1, Middle Helladic – Late Helladic II; 2, Late Helladic IIIA1 – IIIB1–2; 3, Late Helladic IIIC1–2; see Table 1.

      Apulia. 1: Manaccora (3). 2: Molinella (1). 3: Coppa Nevigata (3). 4: Trani (2, 3). 5: Bari (3). 6: Giovinazzoo (1). 7: Torre S. Sabina (2). 8: Punta Le