Ralph Raymond Braun

Irland Reiseführer Michael Müller Verlag


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      Als wolle der Pilot zunächst die be­ein­dru­ckende Lage der Stadt vorführen, schwebt das von der Irischen See kom­mende Flugzeug über der Halbinsel Howth und macht noch einen Schwenk. Auf einer weiten Ebene, ge­teilt vom River Liffey, schmiegt sich die Stadt im Drei­viertelkreis an die Bucht. Aus der Vo­gelperspektive ist sie ein aus un­zäh­ligen Versatzstücken ge­web­ter Fli­cken­tep­pich, geht in die Flä­che, aber nicht in die Höhe: Nicht Hoch­häuser, son­dern Kirchtürme und Schlo­te be­stim­men zwischen gleich­för­mi­g­en Rei­hen­häu­sern die Skyline.

      Taucht der Besucher später in die Me­tropole ein, erscheint Dublin lau­nisch und wechselhaft wie das Wetter. Ein ab­ge­tra­ge­nes Kleidungs­stück, an dem nur noch wenige Stellen glänzen, das viel mit­ge­macht hat und viel er­zäh­len könnte, für das man sich manch­mal schämt und an das man doch sein Herz so sehr verloren hat, dass man sich von ihm nicht trennen will. Lie­bes, dreckiges Dublin. Banker, Mak­ler und IT-Arbeiter strömen aus po­lierten ge­or­gi­an­i­schen Back­stein­häu­sern oder den polierten Glas­pa­läs­ten der Docklands und eilen achtlos an je­nen vorbei, die als lebende Hin­weis­ta­feln für Boutiquen und Kar­ten­le­ge­rin­nen werben.

      Die Stadt ist ein Sammelbecken der Vielfalt und unterschiedlichen In­te­res­sen: Für die einen ist sie Wiege der iri­schen Nation, war Dublin doch vor gut hun­dert Jahren Schauplatz des Oster­auf­stands, der das Land in die Un­ab­hän­gig­keit führte. Andere sehen in Dub­lin die heimliche Welthauptstadt der eng­lisch­s­pra­chigen Literatur. Man muss seinen Ulysses nicht gelesen ha­ben, um, nach der Mo­de von anno da­zu­mal kostümiert, an einem 16. Juni mit tausenden Gleich­ge­sinn­ten auf den Spu­ren des Ro­man­helden Leopold Bloom durch Dublin zu fla­nie­ren.

      Für manche Jugendclique ist die Stadt ein Reiseziel, um fern der Hei­mat un­erkannt die Sau rauszulassen. An­dere lockt die vielfältige Mu­si­k­sze­ne: Sei’s eine Session mit dem Fiddler im Pub, ein Rockkonzert im Club oder der Auf­tritt von Weltstars auf gro­ßer Büh­ne. Dublin ist ein schier un­er­schöpf­li­cher Nährboden für neue Bands und Mu­sikstile.

      Dann ist da noch diese prächtige Ku­lisse georgianischer Architektur. Die Rei­hen­häu­ser mit ihren Backstein­fas­sa­den und farbenfrohen Eingangstüren sind geradezu ein Markenzeichen der Stadt. Auch die Moderne kann sich se­hen lassen. In den Jah­ren des kel­ti­schen Tigers entstand in den zuvor ma­ro­den Docklands ein neues Stadt­viertel mit zeitgenössischen Büro­türmen und Apart­menthäusern aus viel Stahl und Glas; das neue Viertel ist auch Schau­fens­ter vom Aufstieg und Niedergang der Spe­kulation, denn manche Woh­nung steht leer, weil sich zu wenige die Mie­ten leisten können.

      Zuallererst aber ist Dublin eine Stadt der unvermuteten Begegnungen, des Ge­sprächs und Witzes, geprägt von der Schlag­fertigkeit und dem Charme sei­ner Men­schen - Leben pur.

      Was anschauen?

      Trinity College und Book of Kells: Schlen­dern Sie über den Campus von Ir­lands angesehenster Universität, be­vor Sie sich in die Schlange vor dem Book of Kells einreihen. Die begleitende Aus­stellung erzählt die Geschichte des herr­lich illuminierten Meisterwerks aus dem Frühmittelalter.

      Saint Stephen’s Green und Merrion Square: Georgianische Baukunst rund um im­mergrüne Parkanlagen.

      Guinness Storehouse: Das Fir­men­mu­se­um der Guinness-Brauerei ist die am meis­ten besuchte Sehenswürdigkeit der Stadt. Erzählt wird die Fabrik­ge­schichte, anschaulich erläutert wird der Brau­prozess. Den Rundgang krönt ein Pint in der Gravity Bar mit tollem Stadt­panorama.

      Kilmainham Gaol: Grusel in der Ka­the­drale des viktorianischen Strafvollzugs, dem einst gefürchtetsten Gefängnis der In­sel.

      National Gallery: Eine beeindruckende Samm­lung von Meisterwerken irischer und europäischer Malerei aller Epo­chen. Highlights sind etwa Bilder von Ver­meer, Caravaggio, Picasso, van Gogh und Monet.

      Epic Ireland: Die außergewöhnliche Aus­stellung rund um das Thema Aus­wan­derung wurde zu Europas füh­ren­den Touristenattraktionen 2019 gekürt.

      Was unternehmen?

      Bloomsday: Am 16. Juni pilgern Fans aus aller Welt auf den Spuren einer Joyce’schen Romanfigur.

      Hop-on Hop-off Bus Tour: Entdecken Sie Dublin in Ihrem eigenen Tempo bei einer Stadtrundfahrt mit dem Hop-on-Hop-off-Bus.

      Eine Siedlung Eblana an Stelle der heu­ti­gen Stadt ist schon auf der um 140 n. Chr. ent­worfenen Weltkarte des alex­an­drinischen Geographen Ptolemäus ver­zeichnet. Spä­ter gab es eine kel­ti­sche Siedlung namens Dubh Linn („dunkler Teich“), die Du­b­lin seinen Na­men gab. Der „dunkle Teich“ war die Mün­dung des Poddle. Heute völ­lig in un­terirdische Rohre gezwängt, folgte er einst der St Patrick Street, schlug ei­nen Bo­gen um Dublin Castle und ergoss sich an der Grattan Bridge in die Liffey. Ei­ne ebenso große Berechtigung auf die Ur­heberschaft an der Stadt haben die W­i­kin­ger, die sich im 9. Jh. in diesem Fluss­knie niederließen, wo auch die alte Königs­stra­ße zwischen Tara und Wick­low die Liffey überquerte. Die im 10. Jh. er­rich­tete Stadt­mauer schützte die Nordmänner nur wenige Jahre: 988 er­oberten die Iren un­ter Mael Sechnaill die Wikingerstadt.

Die Ha’penny Bridge über den River Liffey

      Die Ha’penny Bridge über den River Liffey

      Ein neues Kapitel der Stadt­ge­schich­te schlugen die Normannen auf. Hein­rich II. mach­te Dublin zum Sitz des kö­nig­lichen Gerichts und damit zum Haupt­ort der eng­li­schen Präsenz in Ir­land. Wer immer auf der Insel Rang und Namen hatte, fand sich zu den Sea­sons, den Gerichtstagen, in Dublin ein, um seine Interessen zu ver­tre­ten. An­fangs mit einer schlichten Palisade, bald mit einer Reihe von Burgen wur­de das Pale, das Umland Dublins, vor den Ein­fällen der irischen Häuptlinge ge­schützt. Mehr über das mittelalterliche Dub­lin erfahren Sie in der Ausstellung Du­b­li­nia (→ Sehens­würdigkeiten).

      Nach 1730 entwickelte sich Dublin zur größten Stadt des Königreiches nach Lon­don. Händels Messias bei­spiels­weise wurde am 13. April 1742 nicht in London, son­dern in Dublin ur­auf­geführt, wo der Meister den Winter zu verbringen pflegte. Die pro­tes­tan­ti­sche Gentry investierte ihr aus den Land­gütern gewonnenes Ver­mö­gen in neue und prächtige Häuser in den geor­gi­a­nischen Vierteln außerhalb der zu eng gewordenen Stadtmauern. Die „Com­mission for Making Wide & Con­venient Streets“, mit der 1757 die sys­te­ma­tische Stadtplanung begann, zeigt schon mit ih­rem Namen, worum es ging. Um die gleichzeitig sprießen­den Slums kümmerte sich die Kommis­sion aller­dings nicht. Auch in Dublins gol­de­nem Zeitalter zwischen 1782 und 1801, als die irischen Protestanten so­gar ihr eigenes Parlament hatten (heu­te ist das Gebäude treffenderweise Sitz der „Bank of Ireland“), war das Los der ka­tho­lischen Bevölkerung nicht rosig.

      Der Act of Union beendete die Auto­no­mie­träume und ließ das über­bor­den­de Wachs­tum der Stadt abrupt ab­bre­chen. Vom Boom des 19. Jh., als viele eng­lische In­dus­trie­städte aufblühten, war hier wenig zu spüren. Bei der Nie­der­schlagung