Gabor Mate

Im Reich der hungrigen Geister


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Oft sehe ich mich mit der störrischen Natur von Menschen konfrontiert, die ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden weniger schätzen als die unmittelbaren, drogenbedingten Bedürfnisse des Augenblicks. Ich muss mich auch mit meinem eigenen Widerstand gegen sie als Menschen auseinandersetzen. So sehr ich sie, zumindest im Prinzip, akzeptieren möchte, erlebe ich mich an manchen Tagen voller Missbilligung und Bewertung, lehne sie ab und möchte, dass sie anders sind, als sie es nun mal sind. Dieser Widerspruch hat seinen Ursprung in mir, nicht in meinen Patienten. Es ist mein Problem – nur dass es mir angesichts des offensichtlichen Ungleichgewichts der Kräfte zwischen uns allzu leicht fällt, sie als Problem auszumachen.

      Die Süchte meiner Patienten machen jede ärztliche Behandlung zu einer Herausforderung. Wo sonst finden Sie Menschen, die sich in einem so schlechten Gesundheitszustand befinden und die dennoch so abgeneigt sind, sich um sich selbst zu kümmern oder gar anderen zu erlauben, sich um sie zu kümmern? Manchmal muss man sie buchstäblich zu einer Behandlung im Krankenhaus überreden. Nehmen Sie Kai, der eine immobilisierende Infektion in seiner Hüfte hat, die ihn zum Krüppel machen könnte, oder Hobo, dessen Brustbeinentzündung sich auf seine Lungen ausbreiten könnte. Beide Männer sind so sehr auf ihren nächsten Kokain-, Heroin- oder Cristal Meth-Trip fixiert, dass die Selbsterhaltung keine Bedeutung mehr für sie hat. Viele haben auch eine tief verwurzelte Furcht vor Autoritätspersonen und misstrauen Institutionen aus Gründen, die ihnen niemand verübeln kann.

      „Der Grund, warum ich Drogen nehme, ist, dass ich dann nicht die verdammten Gefühle habe, die da sind, wenn ich keine Drogen nehme“, sagte mir Nick, ein vierzigjähriger Heroin- und Crystal-Meth-Süchtiger, einmal weinend. „Wenn ich keine Drogen nehme, werde ich depressiv.“ Sein Vater hämmerte seinen Zwillingssöhnen die Vorstellung ein, dass sie nichts als ein „Stück Scheiße“ seien. Nicks Bruder beging als Teenager Selbstmord, Nick wurde drogenabhängig.

      Das Höllenreich der schmerzlichen Emotionen macht den meisten von uns Angst. Drogensüchtige fürchten, dass sie dort für immer gefangen bleiben, wenn sie keine Drogen nehmen. Dieser Drang zur Flucht fordert einen schrecklichen Preis.

      Die Flure und der Aufzug im Portland Hotel werden häufig, manchmal mehrmals täglich, gereinigt. Einige Bewohner haben von den Injektionsnadeln chronisch wässernde Wunden. Blut tropft auch von Platzwunden und Schnitten, die ihnen von ihren Mitsüchtigen zugefügt wurden, oder aus Verletzungen, die Patienten sich während kokaininduzierter Paranoia in ihre Haut gekratzt haben. Es gibt einen Mann, der unaufhörlich auf sich einschlägt, um imaginäre Insekten loszuwerden.

      Nicht, dass es uns an echtem Befall in Downtown Eastside mangelt. Nager gedeihen hinter den Wänden der Gebäude und in den mit Müll übersäten Hinterhöfen. Ungeziefer bevölkert die Betten, Kleider und Körper vieler meiner Patienten: Bettwanzen, Läuse, Krätze. In meiner Praxis fallen gelegentlich Kakerlaken aus ausgeschüttelten Röcken und Hosenbeinen heraus und huschen unter meinem Schreibtisch in Deckung. „Ich habe gerne ein oder zwei Mäuse um mich herum“, erzählte mir ein junger Mann. „Sie fressen die Kakerlaken und Bettwanzen. Aber ich ertrage kein ganzes Mäusenest in meiner Matratze.“

      Ungeziefer, Geschwüre, Blut und Tod: die Plagen Ägyptens.

      In Downtown Eastside tötet der Todesengel mit schockierendem Eifer. Marcia, eine fünfunddreißigjährige Heroinsüchtige, war aus ihrer PHS-Wohnung ausgezogen und wohnte in einem Mietshaus einen halben Block entfernt. Eines Morgens erhielt ich einen verzweifelten Anruf wegen einer vermuteten Überdosis. Ich fand Marcia im Bett, die Augen weit aufgerissen, auf dem Rücken liegend und bereits in Totenstarre. Ihre Arme waren ausgestreckt, die Handflächen nach außen gerichtet, eine Geste des angstvollen Protestes, als wollte sie sagen: „Nein, du bist zu früh gekommen, um mich zu holen, viel zu früh!“ Plastikspritzen zerbrachen unter meinen Schuhen, als ich mich ihrem Körper näherte. Marcias geweitete Pupillen und einige andere körperliche Anzeichen erzählten ihre Geschichte – sie starb nicht an einer Überdosis, sondern an Heroinentzug. Ich stand für einige Augenblicke an ihrem Bett und versuchte, in ihrem Körper den charmanten, wenn auch immer geistesabwesenden Menschen zu sehen, den ich gekannt hatte. Als ich mich abwandte, um zu gehen, kündigten heulende Sirenen die Ankunft der Rettungsfahrzeuge vor dem Haus an.

      Marcia war erst eine Woche zuvor gut gelaunt in meiner Praxis gewesen und hatte mich um Hilfe bei einigen medizinischen Formularen gebeten, die sie ausfüllen musste, um wieder Sozialhilfe zu erhalten. Es war das erste Mal seit sechs Monaten, dass sie zu mir gekommen war. In dieser Zeit, so erzählte sie mir in lässiger Resignation, hatte sie ihrem Freund Kyle dabei geholfen, eine Hundertdreißigtausend-Dollar-Erbschaft durchzubringen – eine Aktion, bei der ihnen viele andere befreundete Drogensüchtige und Mitläufer selbstlos geholfen hatten. Trotz all dieser Popularität war sie allein, als der Tod sie erwischte.

      Ein weiteres Opfer war Frank, ein zurückgezogener Heroinsüchtiger, der einen nur dann widerwillig in sein beengtes Quartier im Regal Hotel ließ, wenn er sehr krank war. „Ich werde auf keinen Fall im Krankenhaus sterben“, erklärte er, als klar wurde, dass der Sensenmann AIDS an seine Tür geklopft hatte. Darüber oder über etwas anderes konnte man nicht mit Frank diskutieren. 2002 starb er in seinem eigenen zerlumpten Bett, aber es war sein eigenes Bett.

      Frank war eine gute Seele, was seine griesgrämige Schroffheit nicht verbergen konnte. Obwohl er nie mit mir über seine Lebenserfahrung sprach, drückte er das Wesentliche davon in dem Gedicht Der Höllenzug der Stadt aus, das er einige Monate vor seinem Tod schrieb. Es ist ein Requiem für ihn selbst und für Dutzende von Frauen – drogensüchtige Prostituierte –, die mutmaßlich auf der berüchtigten Pickton-Schweinefarm außerhalb von Vancouver ermordet worden sind.

       Ich ging in die Stadt – nach Hastings und Main

       Auf der Suche nach Linderung meiner Schmerzen

       Alles, was ich gefunden habe, war

       Eine Fahrkarte für eine einfache Fahrt in einem Höllenzug

       Auf einem Bauernhof nicht weit entfernt

       Wurden mehrere Freundinnen entführt

       Mögen sich ihre Seelen von den Schmerzen erholen

       Möge ihre Fahrt mit dem Höllenzug enden

       Gib mir Frieden, bevor ich sterbe

       Die Strecke ist so gut ausgebaut

       Wir alle erleben unsere private Hölle

       Nur noch mehr Fahrkarten für den Höllenzug

       Höllenzug

       Höllenzug

       Einfache Fahrkarte für einen Höllenzug

      Da ich in der Palliativmedizin, der Betreuung von unheilbar Kranken, gearbeitet habe, bin ich dem Tod oft begegnet. Streng genommen ist die Suchtmedizin bei dieser Bevölkerungsgruppe ebenfalls Palliativarbeit. Wir erwarten nicht, jemanden zu heilen, sondern nur, die Auswirkungen der Drogenabhängigkeit und der damit verbundenen Leiden zu lindern sowie die Auswirkungen der rechtlichen und sozialen Qualen abzumildern, mit denen unsere Gesellschaft den Drogensüchtigen bestraft. Abgesehen von den seltenen Glücklichen, die dem Drogen-Slum von Downtown Eastside entkommen, erleben nur sehr wenige meiner Patienten ein hohes Alter. Sie sterben an einer Komplikation ihrer HIV-Infektion oder Hepatitis C, an Meningitis oder einer massiven Sepsis, die sie sich durch mehrfache Selbstinjektionen während ihres anhaltenden Kokainkonsums zuziehen. Einige erliegen bereits in relativ jungen Jahren einer Krebserkrankung, da ihr gestresstes und geschwächtes Immunsystem nicht in der Lage ist, den bösartigen Tumor unter Kontrolle zu halten. So ist Stevie gestorben, an Leberkrebs, mit dem gutmütig-spöttischen Ausdruck, der immer auf ihrem Gesicht lag, das von tiefer Gelbsucht gezeichnet war. Oder sie erwischen eines Nachts schlechten Stoff und sterben an einer Überdosis, wie Angel im Sunrise Hotel oder wie Trevor, ein Stockwerk höher, der immer lächelte, als ob ihn nie etwas gestört hätte.

      An einem Februarabend, es dämmerte bereits,