3.
Tatsächlich hatte dieser schwerhörige, kurzsichtige Hinkle einiges zu erzählen, wie Carlos Rivero schon angedeutet hatte. Hinkle war fast eine Schlüsselfigur bei den Geschehnissen in El Triunfo, denn er hatte alles von Anfang an aus nächster Nähe miterlebt.
So vernahmen die Zuhörer an Bord der „Le Vengeur III.“, wie er mit der Morrison-Patrouille, zu der er gehört hatte, zum erstenmal der Black Queen begegnet war. Zu spät hatte Hinkle Georges Buisson erkannt, und deshalb hatte es Tote gegeben, Axton und Longtree. Sie hatten ihr Leben auf dem feuchten Urwaldboden ausgehaucht.
In der Gruppe der Queen hatte es einen Verletzten gegeben – Doc Delon hatte ihn später auf Morrisons Befehl hin behandelt. Er hätte sich weigern können, hatte es dann aber doch nicht getan und sich nur darauf beschränkt, die Siedler vor der Black Queen zu warnen.
Willem Tomdijk, der Bürgermeister, hätte die Black Queen und Caligula wegen Axtons und Longtrees Tod zur Rechenschaft ziehen müssen. Es wäre seine Pflicht gewesen, die Bürgerversammlung zusammentreten und Gericht abhalten zu lassen, doch er hatte es nicht getan. Er hatte sich beschwatzen lassen, sowohl von der Queen als auch von Caligula und Buisson, die an dem großen Trinkgelage in der Mission teilgenommen hatten.
Die Einzelheiten über die nächtliche Orgie hatte bereits Marty zum besten gegeben, alle anderen Details hatte Doc Delon hinzugefügt. Hinkle übersprang also diese Phase der Geschehnisse und fuhr mit dem Bericht über das böse Erwachen in El Triunfo und den Angriff der Spanier fort.
Hinkle hatte Morrison und Clark neben sich sterben sehen. Er war in panischem Entsetzen in den Busch geflohen und hatte sich – wegen seiner schlechten Augen – völlig verirrt. Durch einen puren Zufall hatte er einen Kieker gefunden. Es war ihm gelungen, in der Abenddämmerung auf eine Anhöhe zu klettern und einen Baum zu ersteigen. Von dort aus hatte er durch das Spektiv den letzten Kampf beobachtet, der in der Hafenbucht von El Triunfo stattgefunden hatte.
„Mit so einem Fernrohr kann ich wie jeder normale Mensch sehen“, erklärte er.
„Eines Tages wird es Augengläser für Sehbehinderte geben“, sagte Doc Delon. „Aber jetzt weiter, Hinkle. Was ist in der Bucht geschehen?“
„Zwei Schiffe haben die drei Galeonen der Spanier angegriffen, die nach dem Auslaufen des Verbandes zurückgeblieben sind.“
„Also ist das Geschwader bereits nach Cartagena zurückgekehrt“, sagte die Rote Korsarin. „Wenn wir im richtigen Moment einen Ausguck am Seeufer postiert hätten, hätten wir die siebzehn Schiffe sehen können.“ Daß es sich um einen Verband von zwanzig Galeonen gehandelt hatte, war durch die Berichte von Ribault, Rivero, Doc Delon und Marty inzwischen bekannt.
„Es fällt aber nicht weiter ins Gewicht, daß wir sie nicht gesehen haben“, sagte Ribault. „Wichtig ist, daß die Dons uns nicht entdeckt haben.“ Er nickte Hinkle aufmunternd zu. „Nur weiter. Um welche Schiffe handelte es sich bei den Angreifern? Etwa um die ‚Caribian Queen‘ und die ‚Aguila‘?“ Er beschrieb die Galeonen.
Hinkle wurde ziemlich aufgeregt. „Ja, ja, das sind sie. Die Queen hat eine spanische Galeone versenkt und die beiden anderen gekapert. Ich wollte ’runter und zurück nach El Triunfo, habe mich aber wieder verlaufen. Dann bin ich eurem Kommando in die Hände gefallen und Rivero hat mich gepackt. Ich, äh, dachte: Das ist das Ende.“
„Du hast dich geirrt, Hinkle“, sagte Doc Delon. „Aber du wolltest gern zur Queen, oder?“
„Sie hat uns doch geholfen, nicht wahr?“
„Aus purem Eigennutz“, erwiderte der Arzt. „Aber vielleicht wirst du das nie begreifen. Ich glaube, du bist ein typischer Sturkopf.“
Der Bericht des Schwerhörigen war für Jean Ribault und Siri-Tong alles andere als ermutigend. Die Black Queen verfügte jetzt also über vier Schiffe – und sicher auch bald über eine stattliche Gefolgschaft, da sie mit Sicherheit die überlebenden Siedler einsammeln und an Bord nehmen würde.
Marty hatte eben noch ein paar Worte mit Hinkle gewechselt und fragte jetzt überrascht: „Wie war das? Unser Bürgermeister ist an Bord der ‚Caribian Queen‘?“
„Ich glaube, ihn erkannt zu haben. Und Emile Boussac, so scheint mir, ist auch mit dabei.“
„Dieser Willem“, sagte Doc Delon. „Er ist ein hoffnungsloser Narr. Die Queen hat ihn total verblendet. Wahrscheinlich hat er sich in sie verliebt. Sie wird ihn später, wenn sie ihn nicht mehr braucht, totschlagen und den Haien als Futter vorwerfen.“
„Das befürchte ich auch“, sagte Marty. „Und Boussac? Er hätte auf unserer Seite stehen können. Aber er wollte seine verdammte Kneipe retten und hat sich deswegen mit der Queen arrangiert. Und was hat er davon? Die ‚Mouche Espagnole‘ liegt in Schutt und Asche.“
„Wir können das Erstarken der Queen also nicht mehr verhindern“, sagte Jean Ribault. „Siri-Tong, dein Pessimismus war nicht unbegründet. Aber wir haben noch einen Pluspunkt.“
„Welchen denn?“ fragte sie. „Daß wir eher in See gehen als sie?“
„Genau das meine ich. Wir verlassen die Golfküste von Honduras unverzüglich und haben einen zeitlichen Vorsprung, den wir zu unserem Nutzen verwenden. Vergiß nicht, daß wir das Ziel der Queen kennen.“
„Tortuga und Hispaniola“, sagte die Rote Korsarin. „Falls sie dort landet und sich mit ihrer neuen Meute ausbreitet, verlagern sich die Machtverhältnisse in der Karibik tatsächlich.“
„Es ist jedem von uns klar, was das bedeutet, Madam“, sagte Jenkins. „Wir sollten die letzte Chance, der Queen doch noch das Handwerk zu legen, nicht verspielen.“
„Also gut“, sagte Jean Ribault. „Wir gehen in See und segeln nach Osten. Wir legen soviel Entfernung wie möglich zwischen uns und die Queen. Was geschieht, wenn sie uns mit ihrem Verband entdeckt, brauche ich wohl nicht näher zu erklären.“
„Gegen vier Galeonen haben wir keine Chance“, sagte Barba. „Besser ist, an der Kimm zu verduften. Aber was wird aus den Männern von El Triunfo?“ Er wies auf die Siedler, die mit offensichtlich gemischten Gefühlen verfolgten, wie sich die Männer der „Le Vengeur III.“ auf ihre Manöverposten begaben.
„Was mit euch geschieht, hängt von eurer Entscheidung ab“, sagte Ribault zu den Siedlern. „Ihr habt zwei Möglichkeiten: Entweder bleibt ihr hier und schlagt euch meinetwegen auf die Seite der Queen. Oder aber ihr segelt mit uns, und wir setzen euch irgendwo ab.“
„Wer will hierbleiben?“ fragte Doc Delon. „Hand hoch! Es ist sehr fair von Ribault, daß er keinem von uns Steine in den Weg legt! Los, Handzeichen!“
Kein Arm wurde gehoben. Marty räusperte sich und sagte: „Kurs Osten, nicht wahr? Nun, ich kenne eine Insel, auf der ich immer schon gern ein paar Monate verbracht hätte. Dort gibt es Wild, Fisch und Früchte in rauhen Mengen – und ein paar freundliche Eingeborene, die uns nichts zuleide tun.“
„Wo liegt denn dieses Paradies?“ fragte der Arzt.
„Querab der Laguna de Caratasca.“
„Das ist viel zu weit entfernt“, protestierte Doc Delon. „Wir können Ribault und Siri-Tong nicht zumuten, uns bis dorthin zu bringen. Ihr eigentlicher Kurs führt nach Tortuga und Hispaniola, wenn ich richtig verstanden habe. Das bedeutet also, daß sie sich nur um Meilen von der Küste entfernen und dann Kurs Nordosten wählen.“
Barba brachte eine Karte, Ribault rollte sie auseinander.
„Richtig, Doc“, sagte er. „Aber wir können vielleicht das eine mit dem anderen verbinden, ohne viel Zeit zu verlieren. Marty, zeig mir die genaue Position dieser Insel.“
Die Insel hieß Cayos Cajones und lag fünfzig Meilen nordöstlich der Laguna de Caratasca und der Küste von Honduras. Ribault, Siri-Tong, Barba, Jenkins, Doc Delon und Marty begaben sich in die Kapitänskammer und zeichneten