die sich jetzt anschickten, die „Le Vengeur III.“ zu verlassen. Roger Lutz schickte ihnen einen so sehnsüchtigen Blick nach und spähte derart verlangend zu den Eingeborenenmädchen, daß Siri-Tong es sich nicht verkneifen konnte zu sagen: „Warum gehst du nicht mit an Land, Monsieur Lutz? Du kannst dann gleich bei deinem Kapitän abmustern.“
„Ich? Wieso?“
„Ich habe so den Eindruck, daß die Mädchen es dir angetan haben.“
Roger Lutz verlieh sich einen Ruck und hob stolz den Kopf. „Deswegen würde ich aber noch lange nicht von diesem Schiff abmustern, Madam. In diesem Punkt täuschen Sie sich wohl in mir.“
Sie lachte. „Das wollte ich nur wissen. Aber was hat es nun mit diesen Eingeborenen auf sich?“
„Sie sind friedfertig, wir haben uns davon überzeugen können“, erwiderte Doc Delon. „Ihr Dorf liegt nicht weit entfernt auf einer Lichtung im Urwald. Die Hütten sind an einen Hang gebaut worden, und es gibt ein paar Höhlen, in die diese Menschen sich zurückziehen, wenn Gefahr droht. Auf diese Weise haben sie bereits drei, vier Überfälle überstanden. Ihre Hütten wurden von Spaniern und Freibeutern niedergebrannt. Sie haben sie wieder aufgebaut. Nichts scheint den Mut dieser Insulaner zerstören zu können.“
„Und ihre innere Ausgeglichenheit“, sagte die Rote Korsarin. „Aber warum haben sie sich nicht auch vor uns versteckt? Und woher wissen Sie, was Sie eben erzählt haben, Doc?“
„Wir haben mit dem Häuptling gesprochen“, entgegnete der Arzt. „Der junge Mann, der die Mädchen begleitet, ist sein Sohn. Man hat uns vor Anker gehen sehen, aber der Häuptling war sicher, daß wir friedliche Absichten haben. Er könne es den Gesichtern der Menschen ablesen, was sie im Schilde führen, sagt er.“
„Sie verstehen seine Sprache?“
„Er spricht ein bißchen Englisch und Französisch. Wo er es gelernt hat, ist mir ein Rätsel. Auch weiß ich nicht, woher die Eingeborenen stammen. Sie können unmöglich auf Cajones geboren sein.“
„Sie sind ein ganz anderer Menschenschlag“, bestätigte Siri-Tong. „Nun, eines Tages werden vielleicht auch wir erfahren, welches Geheimnis dahintersteckt. Wichtig ist im Moment nur, daß die Eingeborenen Sie und Ihre Kameraden bei sich aufnehmen.“
„Ich habe ihnen versprochen, ihre Kranken zu pflegen“, sagte der Arzt. „Ich habe eine Frau gesehen, die ein schlimmes Auge hat, und zwei Kinder, die ununterbrochen husten. Ich glaube, ich kann ihnen helfen.“
„Viel Erfolg, Doc“, sagte Siri-Tong. Dann verabschiedete sie sich von ihm und drückte auch Marty die Hand, der mit dem linken Auge sie ansah und mit dem rechten zu Carlos Rivero hinüberschielte.
Die Abschiedsszene hatte fast etwas Rührendes an sich. In der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit hatten die Siedler von El Triunfo sich an Bord der „Le Vengeur III.“ gut eingelebt. Es fiel ihnen nicht leicht, das Schiff zu verlassen, aber die Aussicht auf ein Wiedersehen mit den Korsaren stimmte sie doch zuversichtlich.
So wurden die Siedler in vier Fahrten an Land gebracht. Jean Ribault, Barba und die drei anderen Männer der „Le Vengeur III.“ verabschiedeten sich ebenfalls, dann stiegen sie in ihre Jolle und kehrten zum Schiff zurück.
„Viel Erfolg beim Kampf gegen die Black Queen!“ rief Doc Delon ihnen noch nach.
„Danke!“ schrie Jean Ribault. „Drückt uns die Daumen!“
„Viel Glück!“ brüllte Hinkle.
„Einen schönen Gruß an Willem Tomdijk, wenn ihr ihn mal wiederseht!“ rief Marty.
Dann ging alles relativ schnell. Die. Jolle legte an der Bordwand der „Le Vengeur III.“ an, die Männer enterten auf. Die Jolle wurde hochgehievt, eingeholt und auf dem Hauptdeck festgezurrt. Der Anker wurde gelichtet, die Segel gesetzt, und die Galeone glitt aus der Bucht, um die Insel an ihrer Leeseite – also im Westen – zu runden.
Noch lange winkten die Männer von El Triunfo dem entschwindenden Schiff nach, dann wandten sie sich ab und schritten zu den Eingeborenen, die geduldig auf sie warteten.
5.
Hoch am Wind segelte die „Le Vengeur III.“, der Wind aus Osten blies frisch und trieb sie rasch voran. Kurs Nordosten lag an. Jean Ribault und Siri-Tong wollten zuerst die Cayman-Inseln anlaufen und vorsichtshalber dort nach dem Rechten sehen. Wichtig war, daß sich kein Verbündeter der Black Queen womöglich auf Gran Cayman oder den Nachbarinseln einnistete. Jede Gefahr dieser Art mußte unterbunden, jedes Überraschungsmoment ausgeschlossen werden.
Ribault und die Rote Korsarin hatten jetzt endlich wieder Zeit, mögliche weitere Schritte gegen die Black Queen zu erörtern. Sie saßen in der Kapitänskammer zusammen und wälzten Pläne.
„Vier Schiffe“, sagte Ribault. „Sie ist jetzt stark, aber sie hat keine Flotte, der wir mit unserem kompletten Verband nicht gewachsen wären.“
„Auf der Überfahrt nach Tortuga und Hispaniola könnte sie sich weitere Schiffe beschaffen, vergiß das nicht“, sagte Siri-Tong. „Sie hat jetzt genug Männer, um für weitere zwei Galeonen oder drei kleinere Schiffe eine Mannschaft zusammenzustellen. Ich habe überschlagmäßig ausgerechnet, wie viele überlebende Siedler sie aus El Triunfo abgeborgen haben könnte.“
„Mehr als hundert“, meinte Ribault.
„Vielleicht sogar über zweihundert“, sagte sie. „Gerade diese Zahl gibt mir zu denken. Es ist der Grundstock für eine Streitmacht, der wir gegebenenfalls doch unterliegen, Jean.“
„Eine Schlacht um die Schlangen-Insel bahnt sich an“, brummte er. „Viele von uns könnten dabei sterben. Wir müssen das abwenden, um jeden Preis. Es steht außer Frage, daß die Siedler diesem Weib so gut wie hörig sind. Man braucht ja nur daran zu denken, wie hingerissen dieser dicke Bürgermeister und sogar Emile Boussac von ihr sind. Dabei hatte ich von Boussac eigentlich einen ganz vernünftigen Eindruck.“
„Jeder Kerl würde sich gern mit ihr befassen“, sagte Siri-Tong verächtlich. „Ihr Anblick ruft wilde Triebe wach. Ich schlage folgendes vor: Wir statten Gran Cayman nur einen kurzen Kontrollbesuch ab und segeln dann gleich weiter zur Schlangen-Insel. Wir holen Hasard und die anderen und nehmen erneut Kurs auf die Küste von Honduras. Mit ein wenig Glück begegnen wir der Queen und ihrem Verband.“
„Du meinst, es ist besser, sich auf See mit ihr zu schlagen?“ Ribault legte beide Hände auf das Pult und überlegte kurz. „Ja“, sagte er dann. „Ich bin ganz deiner Ansicht. Es ist besser, sie von der Schlangen-Insel abzulenken.“
„Ich glaube, der Bund der Korsaren wird diesem Vorschlag zustimmen“, sagte die Rote Korsarin. „Aber natürlich müssen wir diese Entscheidung erst abwarten. Danach sehen wir weiter.“
Sie verließen die Kapitänskammer und begaben sich auf das Achterdeck, nahmen Jenkins’ und Barbas Meldungen über Kurs und Position entgegen und begannen dann, mit den Spektiven die Kimm abzusuchen.
Kein anderes Schiff zeigte sich in der Umgebung. Sie schienen nicht verfolgt zu werden, und es begegnete ihnen auch kein fremder Segler. Gran Cayman rückte allmählich näher. Auch die Toppgasten begannen, nach der Insel Ausschau zu halten.
Kurz vor Anbruch der, Mittagsstunde dieses Tages stieß Pierre Puchan, der als Ausguck in den Vormars aufgeentert war, den entscheidenden Ruf aus: „Insel Backbord voraus! Gran Cayman in Sicht!“
Der Vorsicht halber ließen Jean Ribault und die Rote Korsarin die Kanonen besetzen und rundeten die Insel erst einmal. Wenig später öffnete sich die Todesbucht vor ihren Augen, und da gab es eine Überraschung, mit der keiner von ihnen gerechnet hatte.
In der Todesbucht ankerten die „Isabella, IX.“ und der Schwarze Segler.
Da kannte der Jubel an Bord der „Le Vengeur III.“ keine Grenzen mehr. Es wurde gepfiffen, gelacht und gejohlt und keiner vermochte die vielen „Hurras“