„Le Vengeur III.“ ging in den Wind, die Segel wurden aufgegeit und anschließend aufgetucht, der Buganker rauschte an seiner Trosse aus. Jean Ribault ließ die Jolle abfieren und setzte mit Siri-Tong, Carlos Rivero, Barba und Mister Jenkins zur „Isabella“ über, wo gleichzeitig die Wikinger-Delegation eintraf: Thorfin Njal, Eike, Arne, Oleg und der Stör.
Nach dem ersten heftigen Begrüßungssturm auf dem Hauptdeck der „Isabella“ ließ der Seewolf eine doppelte Ration Rum austeilen. Der Kutscher und Mac Pellew füllten die Mucks und Becher, die Zwillinge reichten sie herum.
Siri-Tong glaubte, auf den Wangen der beiden Jungen die Spuren von Ohrfeigen zu erkennen und zog verwundert die Augenbrauen hoch. Carberry hatte ein schiefes Grinsen aufgesetzt. Erst später sollte sie erfahren, warum Philip junior und Hasard junior auf der Schlangen-Insel vom Profos höchstpersönlich je eine Ohrfeige und einen Tritt in den Hintern erhalten hatten.
Hasard stand bei Ribault und der Roten Korsarin.
„Wir sind heilfroh, daß ihr unversehrt seid“, sagte er. „Wir haben uns schon einige Sorgen um euch gemacht. Schließlich hat die Black Queen jetzt zwei gut armierte Schiffe.“
„Vier“, sagte Siri-Tong. „Aber darüber berichten wir gleich ausführlich. Was hat euch denn hierher verschlagen?“
„Thorfins Bericht“, erwiderte der Seewolf. „Ich habe auf der Schlangen-Insel den Bund der Korsaren zusammentreten lassen, und wir haben beschlossen, hier auf Gran Cayman ein wenig Blockadedienst zu schieben, um der Queen den Rückzug zu verbauen. Die ‚Tortuga‘ und die ‚Wappen von Kolberg‘ sind zur Bewachung der Schlangen-Insel zurückgeblieben. Ich glaube, so haben wir unsere kleine Streitmacht ganz gut verteilt.“
„Ihr habt also Gran Cayman besetzt“, sagte Ribault. „Ausgezeichnet. Auch eure Berechnung; daß wir über kurz oder lang hier eintreffen müssen, war richtig.“
„Ja“, sagte Thorfin Njal und lachte grollend. „Wir sind ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen.“ Bedeutungsvoll klopfte er mit dem Fingerknöchel gegen seinen Kupferhelm. „Und wie ist die Lage nun? Haben wir die Ehre, bald wieder mit der schwarzen Höllenwalküre zusammenzutreffen? Oder müssen wir sie irgendwo suchen?“
„Wir haben El Triunfo vor ihr verlassen“, entgegnete Ribault. „So gesehen, haben wir also einen Vorteil. Aber inzwischen ist es ihr gelungen, zwei hervorragend armierte spanische Kriegs-Galeonen zu kapern. An Besatzungsmitgliedern mangelt es ihr auch nicht – die Siedler von El Triunfo sind bei ihr.“
„Wir sollten von Anfang an berichten, was sich zugetragen hat“, sagte Carlos Rivero.
Hasard, die Männer der „Isabella“, und die fünf Wikinger hatten erst jetzt richtig die Gelegenheit, sich näher mit dem Spanier zu befassen. Ein aufrichtiger, ehrlicher Mann, mutig und geradeheraus – das war der erste Eindruck, den sie von ihm hatten, und er sollte sich durch Riveros beispielhaftes Verhalten nur noch bestätigen.
Reihum gingen die Mucks, der Rum floß, es wurde eifrig erzählt. Mit gespannten Mienen lauschten die Arwenacks und die Wikinger dem Bericht von Ribault, Rivero und der Roten Korsarin. Die Geschehnisse an der Küste von Honduras konnten noch schwerwiegende Folgen für die gesamte Karibik haben, das war ihnen allen auf Anhieb klar.
6.
Galeonen pflügten die nur von einer schwachen Dünung gekräuselte See im Golf von Honduras. Sie segelten auf Kurs Nordosten hoch am Wind und auf Backbordbug liegend in Dwarslinie. Die Führung hatte die „Caribian Queen“ übernommen, es folgten die „Aguila“, die „Buena Estrella“ und die „Vascongadas“. Das Unternehmen El Triunfo war erfolgreich abgeschlossen. Jetzt sollten die Cayman-Inseln angesteuert werden.
Etwas zu voreilig hatte die Black Queen Willem Tomdijk die Benutzung ihrer Kapitänskammer versprochen, als dieser zum erstenmal die „Caribian Queen“ besichtigt hatte. Willem entsann sich selbstverständlich dieses Angebots und hatte den Salon im Achterdeck mit Beschlag belegt, kaum, daß die Schiffe die Hafenbucht von El Triunfo verlassen hatten, und er war nicht bereit, dieses Recht wieder zu räumen.
Sein Kummer war soweit verflogen, er begann sich wieder wohl zu fühlen. Seine Ansprüche stiegen, er erinnerte sich, daß er in El Triunfo Leibwächter und Diener gehabt hatte.
Emile Boussac war ein Schlafplatz im Logis zugewiesen worden. Die meiste Zeit hielt er sich aber in der Kombüse auf, jammerte dem schmierigen Koch, einem Kreolen, die Ohren voll und kritisierte außerdem ununterbrochen den „abscheulichen Fraß“, den der Kerl seinen Kumpanen unter der hochtrabenden Bezeichnung Essen vorzusetzen pflegte.
Caligula stand auf dem Achterdeck neben der Black Queen. Sein Gesicht war etwas verzerrt. Der Koch hatte sich bereits zweimal beschwert und angedroht, Emile samt den Kombüsenabfällen in Lee der See zu übergeben, wenn der nicht mit seinem Gequengel aufhöre.
„Mit diesem Dicken und seinem Freund, dem Wirt, haben wir uns einen Stein an den Hals gehängt“, brummte Caligula. „Mit denen gibt’s noch Ärger!“
Die Queen ließ das Spektiv sinken, mit dem sie die Kimm nach feindlichen Schiffen abgesucht hatte. Ihr Blick richtete sich auf Caligula. „Wir brauchen sie noch, vergiß das nicht. Ihr Einfluß auf die Siedler ist groß, und ich will jetzt keinen Ärger, schon gar keine Meuterei, die ich blutig niederschlagen müßte. Ich brauche jeden Mann, Caligula.“
„Deswegen können wir dem fetten Sack doch nicht die Füße lecken“, sagte der schwarze Riese aufgebracht.
„Wir brauchen ihm nur ein paar seiner lächerlichen Wünsche zu erfüllen“, sagte sie. „Damit hat sich der Fall. Sei nicht so starrsinnig.“
„Es war nicht richtig, ihm die Kapitänskammer zu überlassen.“
„Er wird deswegen nicht versuchen, das Kommando an sich zu reißen“, sagte sie spöttisch. „Man könnte fast denken, du bist eifersüchtig auf ihn. Aber dazu besteht kein Grund. Willem ist harmlos. Wenn er mich anfaßt, kriegt er was auf die Finger.“
„Und wo schläfst du heute nacht?“
Sie lachte. „Bei dir natürlich. Und was den kleinen Emile betrifft – ich halte es für das beste, ihn dem Koch als Gehilfen zur Seite zu stellen. Vielleicht wird der Fraß dann wirklich besser.“
Damit gab sich Caligula vorerst zufrieden. Er enterte auf das Hauptdeck ab, schritt zum Vorschiff und betrat die Kombüse. Schon als er das Schott öffnete, schlug ihm ein Gemisch von üblen Gerüchen entgegen. Der Koch rührte in seinen Kesseln und fluchte vor sich hin, Emile Boussac stimmte gerade ein neues Lamento über das „Geschäft seines Lebens“ an, das ihm durch die Lappen gegangen wäre.
„Fünf zig Mädchen, Mann“, stöhnte er. „Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“
„Verdammt, ich weiß es!“ stieß der Koch hervor. „Fünfzig knackige Täubchen, die jeder von uns gern verspeist hätte! Aber was soll’s! Sie sind nun mal futsch.“
„Vielleicht taucht das Schiff doch noch auf.“
„Wenn es irgendwo in dieser Gegend segelt, kriegen unsere Toppgasten das schon spitz.“
„Oh, was für ein Pechvogel bin ich doch“, begann Emile wieder zu jammern. „Daß mir das auch passieren mußte. Einen Tag länger in El Triunfo, und das Schiff wäre vielleicht doch noch eingetroffen.“
„Hör auf“, sagte Caligula barsch. Sein Erscheinen wurde von den beiden erst jetzt bemerkt. Kombüsendünste umfingen Caligulas mächtige Gestalt, er wirkte wie ein rätselhaftes, unheimliches Wesen der Finsternis. „Du bist ab sofort von der Black Queen zum Kombüsendienst eingeteilt, Emile Boussac. Das ist die richtige Aufgabe für dich.“
„O ja, verdammt, ich werde diesem Haien schon beibringen, wie man eine gute Bouillabaisse zubereitet.“
Der Koch trat drohend auf ihn zu. „Du kannst mir alles an den Kopf werfen und