nur gelandet? Was hab ich verbrochen, daß ich so bestraft werde? Caligula, gibt es auf diesem Schiff überhaupt jemanden, der lesen und schreiben kann?“
„Die Queen“, erwiderte Caligula, dann drehte er sich wieder um und stapfte ins Freie. Die Gerüche der Kombüse waren unerträglich. Man sollte einen größeren Rauchabzug einbauen, dachte er, ich werde der Queen das vorschlagen.
Daß es an Proviant und Trinkwasser schon bald mangeln würde, hatte der Koch schon in El Triunfo gemeldet. Nur wenig Eßbares hatte man in der Siedlung noch bergen und an Bord der Schiffe bringen können. Außer zwei kleinen Fässern Bier und einem Faß Wein, das sie aus der „Mouche Espagnole“, gerettet hatten, gab es kaum noch etwas zu trinken.
Darum steuerte die Queen die Cayman-Inseln an. Es war nur ein kurzer Aufenthalt vorgesehen, der der Versorgung der Schiffe mit frischem Proviant dienen sollte. Auf Gran Cayman, dessen konnten die Piraten sicher sein, waren sie keiner möglichen Bedrohung der Spanier aus Cartagena mehr ausgesetzt.
Caligula überquerte das Hauptdeck und wollte aufs Achterdeck zurückkehren, da eilte einer der Kerle, ein untersetzter, krummbeiniger Schwarzer, auf ihn zu und sagte: „Der Dicke will dich sprechen.“
„Mich? Warum?“
„Irgendwas scheint nicht zu stimmen. Ich habe aber nicht ganz kapiert, was er meint.“
Caligula hätte die Sache lieber ignoriert, aber er ließ seinen Impulsen freien Lauf. Wütend stürmte er ins Achterdeck, rannte den Mittelgang entlang und stieß die Tür zum Kapitänssalon auf. Er blieb wie vom Donner gerührt stehen und mußte den Anblick, der sich seinen Augen bot, erst einmal verarbeiten.
Willem Tomdijk hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes ausgebreitet. Er stand nicht, er saß nicht, er lag auf einem Durcheinander von Kissen, Tüchern und Decken, die er der Koje und den Schapps entnommen und mitten auf dem Boden der Kammer ausgebreitet hatte. Sein mächtiger Rücken wurde von einer Art Keil angehoben, den er mit seinen stämmigen Händen geformt hatte.
Er hielt einen halbvollen Humpen Bier in der Rechten, hatte die Beine weit von sich gestreckt und sah Caligula aus kleinen, listigen Augen an. Schmutziggrau waren diese Augen, sie hatten die Farbe des Nordseewassers daheim in Holland, wo Willem geboren war.
„Mir ist schlecht“, sagte Willem mit ziemlich hoher, gequetschter Stimme. „Läßt sich das nicht ändern?“
Caligula hatte sich halbwegs von seinem Schock erholt und grinste hämisch. „Ich könnte ein paar Kerle abkommandieren und damit beauftragen, der See gut zuzureden. Dann hört der Seegang vielleicht auf.“
„Ja, ja, unser Caligula. Immer zu Scherzen aufgelegt, was?“
„Hat der Herr sonst noch Wünsche?“ fragte Caligula gepreßt.
Er hätte es lieber nicht tun sollen, denn Willem antwortete: „Natürlich. Die Bedienung funktioniert schlecht. Das Essen ist miserabel, ich habe es zurückgehen lassen. Keiner putzt mir die Stiefel. Hier herrscht Unordnung, aber keiner räumt auf. Ich brauche frische Wäsche. Ich will mich rasieren.“
Caligulas Unterkiefer war ein Stück nach unten gesackt, er konnte nichts dagegen tun.
„In El Triunfo hatte ich Diener und Leibwächter“, sagte Willem quengelig. „Wenn mir doch wenigstens Marty geblieben wäre. Auf den konnte ich mich verlassen. Ein Ruf genügte, ein Pfiff, ein Händeklatschen, und Marty war zur Stelle.“
„Die schielende Ratte, der ich gern den Hals umgedreht hätte“, sagte Caligula.
„Wie bitte?“ Willems Stimme wurde schrill. „Was ist denn das für eine Ausdrucksweise? Euch Kerlen muß man erst noch das richtige Benehmen beibringen! Wo ist die Queen? Ich verlange sie zu sprechen.“
„Die Queen ist auf dem Achterdeck. Sie ist unabkömmlich“, erwiderte Caligula grimmig. „Sie ist nämlich der Kapitän auf diesem Schiff.“
„Wo ist Emile? Ich verlange, daß er sein Quartier in der Nachbarkammer bezieht!“
„Die Nachbarkammer gehört mir!“ fuhr Caligula den Dicken an. „Ich schlafe dort – und mit mir die Queen! Emile ist im übrigen beschäftigt! Er hilft dem Koch, damit das Essen besser wird!“
Essen! Traurig verzog Willem sein beleidigtes Jungengesicht. Sein Magen knurrte, das Biertrinken half auch nicht dagegen. Und was er eben vernommen hatte, stimmte ihn nicht glücklicher. Die Queen würde bei Caligula schlafen! Er, Willem, ging also leer aus. Dabei hatte er sich die erste Nacht an Bord der „Caribian Queen“ so schön und romantisch vorgestellt.
„Ich will sofort die Queen sprechen!“ schrie er. „Das ist ein Befehl!“
„Von dir nehme ich keine Befehle entgegen, du fette Qualle!“ brüllte Caligula. „Beweg deinen dicken Hintern doch selber, wenn du die Queen sprechen willst! Ich bin nicht dein Lakai! Und sei froh, daß du an Bord sein darfst!“
„Wie bitte?“ Willem versuchte, sich aufzurichten, aber im ersten Anlauf mißlang das Manöver. „Du frecher Kerl, was nimmst du dir heraus? Ich lasse dich auspeitschen!“
„Umgekehrt!“ brüllte der schwarze Riese. „Ich lasse dir den Speck in Fetzen hauen, und anschließend hänge ich dich unter die Galion, damit du das Schwimmen lernst!“
Willem stieß einen pfeifenden Ächzer aus, knallte den Bierhumpen auf die Planken und ruderte wild mit den Armen. Bedrohlich schwankte er hin und her. Sein Gesicht war jetzt hochrot, er wirkte auf beängstigende Weise vom Schlag gefährdet. Wieder versuchte er aufzustehen, plumpste aber auf sein Kissenlager zurück: „Das ist der Gipfel!“ schrie er. „Das lasse ich mir nicht gefallen!“
Schritte näherten sich, die Black Queen erschien hinter Caligulas Rücken.
„Was ist hier los?“ fragte sie. „Habt ihr euch nun doch in der Wolle?“
„Er will einen Diener haben“, sagte Caligula mit drohend verzerrtem Gesicht. „Ich stecke ihm mein Messer zwischen die Rippen, wenn er nicht aufhört.“
„Dieser Kerl hat mich beleidigt!“ schrie Willem und fuchtelte aufgebracht mit den Armen. „Ich verlange, daß er bestraft wird!“
Die Queen trat auf ihn zu. „Beruhige dich, Willem“, sagte sie mit mühsam erzwungener Geduld. „Ich werde deinen Wunsch erfüllen.“ Sie fuhr zu Caligula herum. „Verzieh dich! Hau ab! Hüte dich, den Salon zu betreten! Wir sprechen uns nachher noch!“
Caligula verstand ihr Augenzwinkern und schritt leise fluchend davon. Die Queen beugte sich zu Willem hinunter und sagte leise: „Ich lasse ihn auspeitschen. Und er wird sich in Zukunft zurückhalten. Wenn du etwas haben willst, brauchst du nur zu rufen, ich stelle dir einen Aufklarer zur Verfügung.“
„Und das Essen?“
„Emile kümmert sich jetzt darum.“
„Gut.“ Willem seufzte. Er schien in sich zusammenzusinken, nichts konnte das Rollen seines Bauches aufhalten. „Aber – schläfst du wirklich bei Caligula?“
„Hat er das erzählt? Er lügt.“ Sie lächelte. „Ich schlafe auf dem Achterdeck, wie es sich für einen Kapitän gehört. Aber heute nacht, wenn alle schlafen, besuche ich dich.“
„Darauf freue ich mich schon“, sagte er friedlich, dann griff er wieder zum Humpen.
In dieser Nacht blieb alles ruhig an Bord der „Caribian Queen“. Der Wind wehte weiterhin aus Osten, der Vierer-Verband lief an die fünf Knoten Fahrt. Die „Caribian Queen“ war ein dunkler, drohender Schemen, der seine Schattenwesen anführte, das grinsende Antlitz des Todes schien sich auf den Flaggen zu bewegen, und am Ziel der Schiffe lauerten Mord und Verderben.
Emile Boussac hielt die ganze Nacht über Ausschau nach dem „Schiff seiner Träume“. Vielleicht konnte er die ersehnte Galeone mit den fünfzig französischen Mädchen herbeisehen? Er gab die Hoffnung nicht auf. Irgendwann würde ein Licht in der Nacht erscheinen – es gehörte dem Schiff, dessen Bestimmungsort El Triunfo war.
Die