Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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See dünte flach mit langgezogenen Wellen, der Wind wehte frisch aus Osten und trieb weiße Wolken über Gran Cayman hinweg. Sie standen wie zufällige Tupfer am blauen Himmel und verliehen der Szene einen Anflug von Heiterkeit. Alles in allem wirkte der Tag ruhig und beschaulich – ein Hohn der Natur. Denn das Unheil nahm seinen Lauf und ließ sich nicht mehr aufhalten.

      Die Black Queen hatte nur kurz mit Caligula beratschlagt. Sie waren sich einig: Sie wollten einen direkten Vorstoß vornehmen und die „Le Vengeur III.“ angreifen. Mit vier Schiffen, die stark armiert und noch besser bemannt waren, waren sie für alle Eventualitäten gerüstet. Daß das Ganze eine Falle sein konnte, vermutete die Queen schon jetzt.

      „Die ‚Vengeur‘!“ Caligula hatte das Wort bereits mehrmals wie einen Fluch ausgestoßen. „Ribault, Siri-Tong und Rivero! Wie haben die Hunde es geschafft, so schnell wieder aus El Triunfo abzuhauen? Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“

      „Sie sind vor uns ausgelaufen“, sagte die Queen. Ihr Gesicht war angespannt, aber sie war eisern darum bemüht, die Ruhe zu bewahren. „Wir hätten uns nach ihrem Schiff umsehen sollen, nachdem wir wußten, daß Ribault und Rivero in der Siedlung waren. Aber im Wirbel der Ereignisse ist es dann unterblieben. Ein Fehler von uns, Caligula.“

      „Der Teufel soll diese Hunde holen! Es ist mir immer noch nicht klar, wie Ribault Rivero befreien und es geschehen konnte, daß diese dreckigen Säcke uns nach El Triunfo folgten!“

      Sie blickte durch das Spektiv voraus. Die Insel rückte näher, und mit ihr die „Le Vengeur III.“, die scheinbar verlassen im Wasser lag und an ihrer Ankertrosse schwojte.

      „Die Antwort darauf ist Rivero selbst“, sagte die Queen. „Streng deinen Geist an, Caligula. Er wußte über alles Bescheid, über den geplanten Angriff auf die Siedlung und den Auftrag der Spanier, alle Bewohner zu töten.“

      „Rivero hat sich also mit Ribault und der Hure Siri-Tong verbündet?“

      „Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.“

      Caligula spuckte aus. „Verrecken soll er, dieser närrische Bastard. Ich werde ihn mir vor die Klinge holen – und diesmal entwischt er uns nicht.“

      „Dann überlasse ich ihn also dir? Und ich nehme mir Ribault vor?“

      „Der gehört auch mir!“ stieß der schwarze Riese zornig hervor. „Und auch die Rote Korsarin ist mein! Ich zerhacke sie mit meinem Säbel!“

      „Dann bleibt für mich kaum noch jemand übrig“, murmelte die Queen. „Hoffentlich verläuft der Kampf wirklich so, wie du ihn dir vorstellst.“

      Daß es zum Gefecht kam, schien unverrückbar festzustehen. Die „Le Vengeur III.“ rührte sich nicht vom Fleck. Kein Mann schien sich an Bord zu befinden.

      Die Black Queen grinste hart. Ein alter Trick, dachte sie. Man entert, und aus allen Schotten springen die Kerle hervor. Aber für wie dumm hältst du mich, Ribault? Und du, Siri-Tong? Bildest du dir ein, ich falle darauf herein?

      „Klarschiff zum Gefecht!“ rief sie.

      Die Geschütze waren geladen, die Stückführer und Ladenummern standen bereit, Munition war auf die Kanonendecks gemannt worden, der Sand war ausgestreut. Jetzt öffneten sich die Stückpforten, und die Männer rannten die Geschütze aus.

      Der Ruf der Queen gellte zur „Aguila“, zur „Buena Estrella“ und zur „Vascongadas“, und auch dort bewegten sich rumpelnd die Kanonen. Drohend blickten die Mündungen aus den Stückpforten, auch die Drehbassen auf den Backs und Achterdecks der Galeonen wurden auf den Feind gerichtet.

      Der Verband fuhr einen Kreuzschlag nach Nordosten und rückte nun fast auf Schußweite an den Gegner heran. Da geschah es: Plötzlich wurde es an Bord der „Le Vengeur III.“ höchst lebendig.

       9.

      Barba, der häßliche Riese, schien hinter dem Ruderrad der „Le Vengeur III.“ emporzuwachsen. Er grinste und blickte zu Jean Ribault, Siri-Tong, Mister Jenkins und Carlos Rivero, die ebenfalls auf ihren Posten waren. Es konnte losgehen – der Köder hatte funktioniert, der Feind segelte auf.

      Fred Finley, der Mann im Großmars, hatte nur ein Zischen ausgestoßen, das vereinbarte Zeichen. Sofort waren die Männer, die sich hinter den Geschützen, im Vor- und Achterkastell verborgen hatten, auf das Hauptdeck gestürzt, und schon wurde der Buganker gelichtet. Wie Affen kletterten ein paar Mann in den Wanten hoch, und auch die Segel lösten sich bereits aus dem Gei.

      Im Nu war die Galeone segelbereit und ging auf Kurs Nordosten an den Wind.

      Jean Ribault warf einen Blick zum Gegner.

      „Die ‚Caribian Queen‘ ist fast auf Schußweite heran“, sagte er. „Gleich läßt die Queen ihre Kanonen sprechen.“

      „Ich glaube nicht, daß sie Munition vergeudet“, sagte Siri-Tong. „Erst wenn sie sicher ist, daß ihr Wild in der Falle sitzt, zieht sie sämtliche Register.“

      „Und dann läßt Barba die Kuh fliegen!“ rief der bärtige Riese. „Dann hageln die Brocken! Diesmal darf sie uns nicht entwischen.“

      „Und was sagst du zu den über hundertzwanzig Kanonen der Galeonen?“ fragte Mister Jenkins.

      „Die benutzt Barba als Zahnstocher!“ stieß der Riese hervor. Aber auch er wußte, daß es gegen ein Aufgebot von vier schweren Galeonen wenig zu lachen gab.

      Längst war auch an Bord der „Le Vengeur III.“ alles klar zum Gefecht. Die Stückpforten öffneten sich, die Rohre schoben sich übers offene Wasser hinaus. Gran Cayman glitt an Steuerbord achteraus. Das Schiff lag hoch am Wind, krängte über Backbordbug und lief mit zunehmender Fahrt vor dem Gegner nach Nordosten ab.

      Die Queen setzte jetzt alles daran, ihren Feind einzuholen und auf offener See zu stellen, aber die „Le Vengeur III.“ war ein schnelles Schiff, das auch ein Segler wie die „Caribian Queen“ nicht zu übertrumpfen vermochte, weder in der Geschwindigkeit noch in der Manövrierfähigkeit.

      „Über Stag gehen!“ rief Jean Ribault. „Kurs Südosten!“

      Die Männer arbeiteten an den Schoten und Brassen, das Ruderrad drehte sich unter Barbas schwieligen Fäusten. Sanft ging die Galeone mit dem Bug durch den Wind und fiel wieder ab.

      Dann folgte der Ruf von Mister Jenkins: „Kurs Südosten liegt an, Sir!“

      Die „Le Vengeur III.“ lief jetzt wieder auf die Insel zu. Ribault, Siri-Tong und Rivero beobachteten das Vorgehen des Gegners. Die Queen zog mit. Wie Riesenschwäne drehten sich ihre Schiffe, das Wendemanöver war beispielhaft.

      „Auch die Kapitäne der beiden gekaperten Galeonen verstehen ihr Handwerk“, sagte Jean Ribault. „Sie stehen in nichts hinter der Queen und Jaime Cerrana zurück.“

      „Du darfst nicht vergessen, daß die Männer von El Triunfo erfahrene Küstenpiraten sind“, sagte Siri-Tong. „Sie haben immer nur kleine Einmaster gehabt, aber ihre seemännische Erfahrung reicht trotzdem aus.“

      „Und auch an der nötigen Verwegenheit mangelt es ihnen nicht“, sagte Carlos Rivero. „Sie werden bis zum Letzten kämpfen.“

      „Das glaube ich auch“, sagte die Rote Korsarin. „Sie haben sich der Queen mit Haut und Haaren verschrieben. Ihr Einfluß auf die Kerle ist wie Opium.“

      Gran Cayman war nah genug herangerückt, Ribault ließ wieder über Stag gehen. Inzwischen war das östliche Ufer nur noch wenige Meilen entfernt. Der Verband der Black Queen hielt mit, holte aber nicht auf. Ribault und die Rote Korsarin hatten allen Grund zu der Annahme, daß ihnen die Queen auf den Leim ging. Nach der mit dem Seewolf festgelegten Taktik sollte die „Le Vengeur III.“ als Köder den Verband der Gegner anlocken, damit dieser direkt in den Überraschungsangriff der „Isabella“ und des Schwarzen Seglers hineinlief. Anschließend sollte auch die „Le Vengeur III.“ in das Gefecht eingreifen.