den Angriffen der „Buena Estrella“, die ihnen zwar der Armierung nach überlegen war, aber nicht so schnell manövrieren konnte. Folglich nutzte die Crew der „Le Vengeur III.“ ihre Wendigkeit aus. Mal brachte sie dem Gegner Schaden bei, mal fügte dieser ihr Treffer zu. Keiner gewann die Oberhand, die Lage schien verhext zu sein.
Auch der erbitterte Kampf zwischen der „Vascongadas“, der „Aguila“ und dem Schwarzen Segler wurde mit hohem Einsatz an Munition geführt, brachte aber keine Entscheidung. Jaime Cerrana, der sich am mutigsten auf das Schiff der Wikinger stürzte, war bereit, an Zauberei zu glauben: Auch die schlimmsten Treffer verwüsteten den düsteren Viermaster nicht, er schien aus Eisen gebaut zu sein. Nie hatte er, Cerrana, einen unheimlicheren Gegner vor sich gehabt.
Zwei Brandsätze, die von „Eiliger Drache“ herüberzischten und die Segel der „Vascongadas“ in Brand setzten, brachten Unruhe und Panik in die Piratenmannschaften. So zog sich die „Vascongadas“ vorläufig aus dem Gefecht zurück.
Die Siedler von El Triunfo waren zutiefst erschüttert – etwas Ähnliches hatten sie trotz vieler Überfälle auf spanische Galeonen noch nicht erlebt. Wer waren die behelmten Kerle auf dem Achterdeck des düsteren Schiffes, welcher grauen Vorzeit waren sie entstiegen? Keiner wußte eine Antwort darauf.
Doch auch Thorfin Njal gelang es nicht, den Gegner so zu packen, daß er ihn versenken oder entern konnte. Geschickt wich die „Aguila“ jedem Annäherungsversuch aus. Sie ließ sich auch nicht rammen. Cerrana, das mußte ihm der Neid lassen, verstand etwas vom seemännischen Handwerk.
So gewann keine Seite die eindeutige Überlegenheit im Gefecht. Immer noch donnerten die Kanonen, aber ihre Böller waren nicht mehr so dicht und rasch aufeinanderfolgend wie zuvor. Bei der Queen ließen der Kampfeifer und die Energie nach, Feuer mußten erstickt und Verwundete versorgt werden. Eine neue Taktik setzte sich durch: Man umschlich sich gegenseitig, ohne mit frischem Elan neue Attacken zu starten.
Aus Willem Tomdijks Sicht mutete der Status quo weitaus dramatischer an, als er in Wirklichkeit war. Er sah einen Toten an sich vorbeitreiben, sah Feuer, Rauch und Trümmer, und es war ihm, als müsse eine Galeone der Queen sinken. Welche es war, vermochte er nicht festzustellen. Er hörte das Schreien der Verwundeten, und wieder packte ihn alles Elend der Welt, so daß er unterging und einen tüchtigen Schwall Wasser schluckte.
Der Selbsterhaltungstrieb überwog. Wieder tauchte Willem auf und schlug mit den Händen um sich.
„Hilfe!“ schrie er. Er hätte sich besser treiben lassen – Fett schwimmt oben. Doch seine Panik raubte ihm den Verstand.
Dann sah er einen Kerl mit wüst verzerrtem Gesicht auf sich zuschwimmen. Einer der Kerle aus der Crew der Queen – hatte Caligula ihn geschickt?
„Hilfe!“ brüllte Willem. „Er will mich töten!“
„Halt die Luft an, Fettsack!“ stieß Pitcairn hervor. „Ich soll dich retten!“
Fast grotesk mutete das an, was sich nun im Wasser abspielte. Pitcairn versuchte, dem Dicken unter die Achseln zu greifen, um ihn abzuschleppen. Aber das war bei weitem nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte. Willem setzte sich zur Wehr. Er zappelte und kreischte und entzog sich immer wieder dem Griff des Piraten.
Pitcairn mußte selbst um sein Leben kämpfen, Willem drohte ihn unterzutauchen, seine Hände schlossen sich um Pitcairns Hals. Da sah der Pirat nur noch eine Möglichkeit. Er ließ sich mit Willem an die Wasseroberfläche treiben, schnappte nach Luft und hieb ihm die Faust unters Kinn.
Willem versank in tiefer Ohnmacht. Pitcairn schleppte ihn unter erheblichen Schwierigkeiten zur „Caribian Queen“, wo inzwischen ein Tau abgefiert worden war, an dem er sich festklammern konnte. Immer wieder drohte der Dicke seinem Griff zu entgleiten.
Die Black Queen ließ den Bootsmannsstuhl abfieren. Mit größter Mühe verfrachtete Pitcairn Willem in die Sitzgelegenheit und zurrte ihn fest, dann wurde der Dicke an Bord gehievt. Keuchend enterte auch Pitcairn auf und ließ sich keuchend auf die Planken sinken.
„Dieser Hurensohn!“ fluchte er. „Den ziehe ich nicht noch mal aus dem Teich!“
„Wir hätten ihn besser ersaufen lassen“, zischte Caligula, aber er hütete sich, es laut auszusprechen. Er wollte nicht schon wieder Ärger mit der Queen, sie war ohnehin außer sich vor Wut.
Willem erlangte wenig später das Bewußtsein und sah das Gesicht der Black Queen über sich.
„Ich habe dich gerettet, Willem Tomdijk“, sagte sie. „Aber laß so was nicht noch mal passieren. Das nächstemal überlasse ich dich den Haien. Ab mit dir in die Kammer, wir können dich hier nicht brauchen.“
Willem schlich davon wie ein geprügelter Hund. Er verkroch sich in dem Salon des Achterdecks und trank mit gierigen Schlucken einen ganzen Humpen Bier leer.
Nein, dachte er, das passiert mir auch nicht wieder. Ich spiele bei diesem ganzen Wahnsinn nicht mehr mit. Der Teufel soll die Queen, Caligula und ihre Bande von Teufeln holen.
Hätte er geahnt, was ihn erwartete, hätte er der Umsiedlung von El Triunfo nach Tortuga und Hispaniola niemals zugestimmt. So aber mußte er mit den Wölfen heulen und sich zwangsläufig den Gelegenheiten fügen.
Auch Emile Boussac, der sich in der Kombüse in Deckung geworfen hatte, hatte keine andere Wahl. Er richtete sich zwischen den Kesseln auf, die sich aus ihren Halterungen gelöst hatten und durcheinanderrumpelten, und dachte: Ich will verflucht sein, wenn ich mich jemals wieder auf solch ein Mordunternehmen einlasse. Dann kroch er zu dem Koch, der durch eine heruntergefallene Pfanne am Kopf verletzt worden war, und begann, ihn zu verarzten.
Caligula trat auf dem Achterdeck zur Black Queen.
„Die Feuer sind gelöscht“, sagte er.
„Wie viele Tote haben wir?“
„Drei.“
„Verletzte?“
„Sechs Mann. Sie werden versorgt.“
„Werft die Toten in die See“, sagte die Queen. „Ladet die Geschütze nach. Wir warten ab, was die Bastarde als nächstes unternehmen. Wenn sie nicht angreifen, unternehmen wir auch nichts.“
„Warum versuchen wir nicht, das Schiff des Seewolfs zu entern?“ fragte er wutbebend.
„Ich will nicht zu viel riskieren“, erwiderte sie. „Das Kräfteverhältnis ist gleich, es gelingt uns nicht, die Hundesöhne zu überrumpeln.“
„Und die ‚Le Vengeur‘?“
„Du kannst zu ihr schwimmen und sie entern, wenn du willst“, sagte die Queen kalt.
Caligula glaubte, den Verstand verlieren zu müssen. Er hatte sich das Gefecht einfacher vorgestellt und auf das Duell gegen Ribault oder Siri-Tong gewartet. Jetzt war alles ganz anders, kein Sieg, kein Entermanöver, kein Blankwaffenkampf an Bord der „Le Vengeur“ oder der „Isabella“ – es war alles wie verhext. Wutschnaubend mußte auch er einsehen, daß es vorläufig in dieser Schlacht keine Ansatzpunkte mehr gab.
In der Endphase des Gefechts hatte sich also eine Art Patt-Situation ergeben. Es fiel kein Kanonenschuß mehr. Der Rauch verzog sich allmählich, die Konturen der Schiffe schälten sich aus den Schwaden hervor. Beigedreht und mit aufgegeiten Segeln lagen die vier Galeonen der Black Queen vor der Nordküste von Gran Cayman, und nur anderthalb Meilen entfernt verholten die „Isabella“, die „Le Vengeur“ und der Schwarze Segler in dichtem Verband, um sich gegen neue Ausfälle des Feindes zu schützen.
Thorfin Njal fluchte Mord und Bein, seine Stimme dröhnte zur „Isabella“ und zur „Le Vengeur“ hinüber. „Bei Geri und Freki, Odins Raben, bei allen Teufeln der Hölle! Zerspringen sollen diese Bastarde, die Pest soll sie zerfressen!“
„Was ist los, Thorfin?“ schrie Hasard.
„Sie haben mich mit einem Treffer am Ruder erwischt!“
„Seid ihr manövrierunfähig?“
„Fast!“