Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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ob, Dickerchen! Hier wird sich eine ganze Menge verändern. Wem das nicht paßt, der kann die Insel ja über die Totenrutsche verlassen.“

      Über Diegos Rücken kroch eine Gänsehaut. Er wußte nur zu gut, daß Caligula keine leeren Versprechungen von sich gab. Die Piraten hatten ja gerade erst gezeigt, daß sie nicht lange fackelten, wenn jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzte. Der Wirt konnte nicht verhindern, daß er reichlich blaß um die Nase wurde, und er war froh darüber, daß im Schein der blakenden Öllampen, die über den Nischen und Gängen baumelten, sein Gesicht nicht allzu deutlich zu sehen war.

      „Außerdem“, fuhr die Black Queen fort, „habe ich an Bord der drei Galeonen etwa dreihundert französische und englische Siedler. Sie werden sich jedoch nur vorübergehend auf Tortuga aufhalten. Die Insel soll nur eine Zwischenstation für sie sein.“

      Das klang nicht schlecht für Diegos Geschäft, dennoch wünschte er die mordgierige Piratin samt ihrem Anhang zum Teufel. Er war sich darüber klar, daß während der bevorstehenden Schreckensherrschaft viel Blut fließen würde, denn Caligula hatte ganz bestimmt nicht gescherzt, als er auf die Totenrutsche verwiesen hatte – auf jene westlich des Hafens gelegene Steilklippe, in der sich eine glattgeschliffene, körperbreite Rille befand, die fast senkrecht zum Meer abfiel. Über diese Rille oder Rutsche trat man auf Tortuga seine letzte Reise an.

      Diego wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wo, zum Teufel, steckte eigentlich der Seewolf? Und wo waren Ribault, der Wikinger und die Rote Korsarin? Wenn es überhaupt jemand schaffte, dem Treiben der Black Queen einen Riegel vorzuschieben, dann war das der Seewolf mit seinen Freunden. Doch sie alle schienen weit von Tortuga entfernt zu sein.

      Der dicke Diego fühlte sich trotz der blühenden Geschäfte nicht mehr wohl in seiner Haut. Daß die Queen ihn zu ihrem Vertrauensmann ernannt hatte, paßte ihm überhaupt nicht, denn es bedeutete nichts anderes, als daß er Spitzeldienste leisten und der Piratin als „Mädchen für alles“ dienen sollte.

      Aber was konnte er tun? Sich gegen die Black Queen und Caligula auflehnen? Nein, das wagte auch ein Schlitzohr wie Diego nicht.

      Der funkelnde Rotwein schien der Black Queen und ihren Begleitern zu munden, wie Diego mit Erleichterung feststellte. Er mußte die Kruken und Humpen immer wieder neu auffüllen.

      Bei Willem Tomdijk und Emile Boussac löste der edle Tropfen schon die Zungen. Die beiden Männer aus El Triunfo, die bisher schweigend und offensichtlich sehr interessiert die Kneipe gemustert hatten, tauten plötzlich auf.

      „Der Wein ist wirklich sehr gut“, lobte Willem Tomdijk, der frühere Bürgermeister von El Triunfo. „Wird hier eigentlich auch Bier ausgeschenkt?“

      „Natürlich, Señor“, erwiderte Diego, „aber nur in ganz geringem Umfang, denn es ist sehr schwierig, Bier einzukaufen. Deshalb nehmen die Leute eben das, was es gibt, nämlich Wein und Rum.“

      Der füllige Niederländer mit dem rosigen Jungengesicht und dem blonden, widerborstigen Haar war über diese Auskunft begeistert.

      „Also wird hier doch eine Brauerei gebraucht!“ rief er und strahlte die schwarze Piratin an. „Du hast mir nicht zuviel versprochen. Mit den bierlosen Zeiten auf Tortuga wird es bald vorbei sein. Einige Teile meiner Brauereiausrüstung habe ich ja – Gott sei’s gedankt – noch retten können. Wenn es mir gelingt, auch die noch fehlenden Teile zu beschaffen, dann wird Tortuga in kürzester Zeit zum Zentrum des karibischen Brauwesens ausgebaut. Ist das nichts?“

      Die Queen lächelte gönnerhaft.

      „Dann gibt es in der Karibik bald mehr Bier als Wasser, nicht wahr?“

      „So ist es“, sagte Tomdijk. „Und es wird ein erstklassiges Bier sein, mindestens so gut und kräftig wie das, was ich in El Triunfo gebraut habe.“

      Das Gesicht des Niederländers rötete sich vor Eifer. Er erweckte ganz den Eindruck, als wolle er sofort mit dem Bierbrauen beginnen. Die Braukunst hatte er daheim, in Leeuwarden, von der Pike auf gelernt. Als ihn die Abenteuerlust nach El Triunfo, eine französisch-englische Ansiedlung an der Golfküste von Honduras, verschlug, setzte er seine Kenntnisse in klingende Münze um.

      Damals war für Willem Tomdijk von Vorteil, daß El Triunfo nur von Männern bewohnt wurde. Und so ein halbes Tausend durstiger Kehlen, die hatten ganz schön was weggeschluckt. Das Geschäft lief jedenfalls bestens – bis zu jenem schwarzen Tag, an dem die Spanier, denen die Siedlung längst ein Dorn im Auge gewesen war, mit einem Flottenverband von zwanzig Galeonen heransegelten und El Triunfo samt seiner beliebten Brauerei in Schutt und Asche legten. Dabei verloren rund zweihundert Siedler ihr Leben.

      Die Black Queen, die schon vor dem Überfall angeboten hatte, die Engländer und Franzosen nach Tortuga und später nach Hispaniola umzusiedeln, um sie unter ihre Herrschaft zu bringen, hatte Willem Tomdijk den Aufbau einer neuen Brauerei versprochen. Schließlich mußte sie ihn wegen seines Einflusses auf die Siedler bei Laune halten, wenn ihre Zukunftspläne gelingen sollten.

      Der dicke Diego allerdings konnte sich für die Pläne der Queen und ihrer Freunde absolut nicht begeistern. Er hörte den enthusiastischen Reden Tomdijks mit gemischten Gefühlen zu, denn das, was der Niederländer vorbrachte, roch gewaltig nach Konkurrenz. Darauf aber war Diego gar nicht scharf.

      Trotzdem – wer garantierte ihm, daß diese Kerle nicht auch noch einige Kneipen eröffneten? In einer eigenen Kneipe konnten sie ihr Bier mit größerem Gewinn verkaufen als in der „Schildkröte“, wo der Wirt auch noch daran verdienen wollte. Diego zog beinahe ein essigsaures Gesicht bei diesem Gedanken.

      Doch Tomdijks Pläne waren noch lange nicht alles, was an Veränderungen Tortuga zugedacht war. Da würde unter der Schirmherrschaft der Black Queen noch viel mehr „für das Wohl der Insel und ihrer Bewohner“ getan werden. Denn da war noch einer, der für sich einen geschäftlichen Aufschwung erwartete: Emile Boussac, ein kleiner, wieselflinker Franzose aus Rouen. Die Knopfaugen in seinem schmalen und spitzen Gesicht waren ständig in Bewegung und ließen ein hohes Maß an innerer Unruhe erkennen. Auch ihm spukten bereits eigene Pläne im Kopf herum.

      Im früheren El Triunfo war Emile Boussac der Besitzer der Kneipe „La Mouche Espagnole“ gewesen. Aber die lag ebenso in Trümmer wie Tomdijks Bierbrauerei. Dabei hatte er sie um ein gewinnträchtiges Etablissement erweitern wollen. Der spanische Überfall jedoch hatte auch ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen.

      Während der Niederländer Zukunftspläne spann, huschten Boussacs Blicke flink hin und her.

      „Die Brauerei wird ein Riesengeschäft, Willem“, sagte er. „Du kannst von hier aus alle Kneipen der Karibik mit erstklassigem Bier beliefern. Außerdem lernen auch die Bewohner Tortugas endlich dieses herrliche Gesöff kennen. Wo es aber was zu schlucken gibt, da lassen sich die Leute nieder und geben ihr Geld aus. Das ist genau die richtige Atmosphäre für meine Mädchen aus Paris.“

      Jaime Cerrana, ein ziemlich ungehobelter Klotz, der Unmengen von Wein in sich hineinsoff, stieß einen leisen Pfiff aus und begann anzüglich zu grinsen.

      Diego aber horchte auf.

      „Mädchen aus Paris?“ fragte er verständnislos.

      Emile Boussac lachte meckernd.

      „O ja, Monsieur“, sagte er. „Ich erwarte ein Schiff mit fünfzig erstklassigen Straßenmädchen aus Paris.“

      „Mit Huren also?“ fragte Diego verblüfft.

      „Ganz recht, mein Lieber“, erwiderte Boussac. „Wie ich bereits beobachtet habe, gibt es auf Tortuga nur sehr wenige käufliche Mädchen. Die Voraussetzungen sind also günstig, zumal die Zuckerpüppchen in El Triunfo nicht gebraucht werden.“

      Der Franzose zog noch jetzt ein wehleidiges Gesicht, wenn er an seine zertrümmerte Kneipe und das geplante Etablissement dachte. Außerdem fürchtete er ständig, das nach El Triunfo beorderte Schiff mit den Mädchen könne nicht eintreffen. Woher sollte der Kapitän wissen, daß er sich jetzt auf Tortuga befand?

      Jaime Cerrana schien seine Gedanken zu erraten. „Hoffentlich findet der