Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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Jung Hasard, dem das Thema offensichtlich gefiel.

      „Welche Frage?“

      „Was ein Simson ist.“

      „Ach so.“ Jetzt nickte der Alte. „Simson nennt man einen außergewöhnlich starken Mann.“

      „So einen wie Mister Tucker?“

      Old Donegal winkte ab. „Da ist schon ein Stärkerer damit gemeint. Gemäß den uralten Überlieferungen der Bibel war Simson ein Israelit, der sich besonders gut mit dem Großlord da oben im Himmel verstanden hat. Deshalb hat der ihn auch zum stärksten Mann geschaffen, der je gelebt hat. Dieser Simson hat einmal mit einem Eselskinnbacken tausend üble Burschen erschlagen. Philister hießen diese Schnapphähne, und der Großlord hat verdammt viel Ärger mit ihnen gehabt.“

      Die „Rübenschweinchen“ staunten nicht wenig.

      „Tausend Mann – mit einem Eselskinnbacken?“ Philip junior versuchte, sich dieses Massaker bildhaft vorzustellen.

      „Genau“, fuhr Old Donegal fort. „Aber das war noch lange nicht alles. Ein anderes Mal hat Simson einen Löwen mit bloßen Händen mitten entzweigerissen, und zum Schluß hat er mal so eben die beiden Mittelsäulen eines riesigen Tempels umgestürzt, so daß das ganze Gebäude zusammenfiel und dreitausend von diesen Philistern erschlug. Er selber ist dabei auch ums Leben gekommen.“

      Die Zwillinge waren hingerissen. Ihr Großvater konnte aber auch die wundersamsten Geschichten erzählen. Man mußte ihm nur immer erst die Zunge lösen, damit er loslegte.

      „Ob Mister Tucker das auch könnte?“ fragte Jung Hasard. „Ich meine, mit einem Eselskinnbacken tausend Schnapphähnen was auf die Köpfe geben?“

      Old Donegal kicherte. „Das schafft unser Holzwurm schon, wenn die tausend Kerle nicht alle gleichzeitig an Bord unserer Lady entern wollen. Da wir aber keine Eselskinnbacken in der Waffenkammer haben, müßte er dazu wohl seine Zimmermannsaxt benutzen.“

      Die Jungen waren sichtlich beeindruckt.

      Old O’Flynn aber war noch nicht am Ende.

      „Dieser Simson“, so fuhr er fort, „war jedoch nicht nur außergewöhnlich stark, sondern auch sehr schlau. So fing er zum Beispiel in der Zeit, in der die Philister ihren Weizen ernten wollten, dreihundert Füchse und band ihnen brennende Fackeln an die Schwänze. Dann jagte er sie in die Felder und setzte alles in Brand.“

      „Das ist stark!“ entfuhr es Philip junior. „Solche Füchse müßte man mal hinter der Black Queen herjagen, nicht wahr?“

      „Geht nicht“, meinte der Alte. „Wo willst du hier dreihundert Füchse hernehmen? Außerdem läuft die Black Queen nicht in Weizenfeldern herum, sondern segelt mit ihrem finsteren Torfkahn nach Tortuga. Diesem Schnapphahn müssen wir schon weiterhin mit Pulverpfeilen, Höllenflaschen und Eisenkugeln einheizen. Irgendwann kriegen wir das Weibsstück auch am Rock zu packen, den es gar nicht anhat, darauf könnte ihr euch verlassen. Notfalls gehe ich selber an Land und besorge mir einen solchen Eselskinnbacken.“

      Die Zwillinge fanden das zum Totlachen. Ferris Tucker, der den größten Teil des Gespräches mitgekriegt hatte, drehte sich um und grinste hinterhältig.

      „Wenn du unbedingt einen Eselskinnbacken brauchst, Mister Simson“, sagte er zu Old O’Flynn, „dann brauchst du gar nicht erst von Bord zu gehen. Schau dich doch mal selber an. Mit einem Kinnbacken weniger verändert sich dein Aussehen nicht wesentlich.“

      Doch so leicht kriegte man Old Donegal nicht unter. Er verzog das verwitterte Gesicht, lächelte das Lächeln der Wissenden und sagte bedauernd: „Was verstehst du schon vom guten Aussehen, du rotborstiger Beilschwinger. Zum Glück kannst du dich selbst nicht sehen, sonst würdest du laut schreiend davonlaufen. Dort nämlich, wo anständige Christenmenschen ihre Kinnbacken haben, hast du nur Sägemehl. Und immer, wenn du deine Futterluke so weit aufreißt, rieselt das Zeug aus deinen angesengten Bartstoppeln!“

      Ferris Tucker fuhr sich reflexartig mit der Hand über das Gesicht. Tatsächlich, da hatte sich im Lauf der letzten Stunden, beim Sägen, Klopfen und Hämmern, so einiges an Sägemehl festgesetzt.

      „Na schön“, meinte er. „Mir hängen die Holzbrösel eben im Gesicht, bei dir aber rieseln sie hinter der Kimm hervor, sobald du dich bückst. Und übrigens – wenn du hier schon keine Füchse hast, die du auf die Black Queen hetzen kannst, wie wär’s dann mit dir selber, he? Wenn du dich zur Geisterstunde auf den Rand ihrer Koje setzt, trifft sie vor Schreck der Schlag, und Caligula hüpft laut heulend über Bord. Ein Gespenst mit Holzbein haben die noch nie gesehen, schon gar nicht eins, dessen Fäuste nach Friedhof riechen.“

      Old Donegal holte tief Luft und bedachte den Schiffszimmermann mit einem wilden Blick. Doch bevor er ihn über das Aussehen und die Eigenschaften eines „echten“ Gespenstes aufklären konnte, setzte die Stimme seines Sohnes Dan einen vorläufigen Schlußpunkt hinter das Wortgefecht.

      „Mastspitzen an der westlichen Kimm!“ brüllte Dan O’Flynn, der in Ufernähe auf einen hohen Felsen geklettert war, um die Umgebung im Auge zu behalten. Er deutete mit ausgestrecktem Arm in die angegebene Richtung.

      Old O’Flynn stieß schnaubend die Luft aus den Lungen und wandte sich von Ferris Tucker ab.

      „Du heiliger Bimbam“, murmelte er. „Will sich das nackte Luder schon wieder mit uns anlegen?“ Er hob eine Hand über die Augen und spähte angestrengt über die silbrig glänzende Wasserfläche der Todesbucht. Aber er konnte noch nichts erkennen.

      Der Wikinger, Jean Ribault, Siri-Tong und der Seewolf hielten sich seit dem letzten Glasen der Schiffsglocke auf dem Achterdeck der „Isabella“ auf. Sie hatten gerade damit begonnen, ihr weiteres Vorgehen gegen die Black Queen zu besprechen, als die Meldung Dans sie unterbrach.

      Mastspitzen an der westlichen Kimm – was hatte das zu bedeuten?

      „Wenn es die Queen ist“, stieß Thorfin Njal brummend hervor, „dann soll sie mir herzlich willkommen sein.“ Er rieb sich die mächtigen Pranken, denn jetzt, da die Reparaturarbeiten am Schwarzen Segler so gut wie beendet waren, hatte das Schiff seine frühere Manövrierbarkeit zurückerlangt. Zudem gab es nichts, was der Wikinger lieber getan hätte, als der Black Queen die schweren Treffer bis auf die kleinste Münze heimzuzahlen.

      Auch Jean Ribault, der schlanke, drahtige Franzose, kniff die Augen zusammen. Er hatte die Queen und Caligula ganz besonders ins Herz geschlossen, seit ihn die beiden vor der Küste Tortugas ausgepeitscht und zutiefst gedemütigt hatten. Alles in ihm schrie nach Rache, und er würde nicht eher ruhen, bis die „Le Vengeur III.“, deren Namen „Der Rächer“ bedeutete, der Piratin ihre vernichtende Schlagkraft demonstriert hatte.

      Siri-Tong konnte Jean Ribault am besten verstehen, denn sie verdankte der schwarzen Piratin den Verlust des „Roten Drachen“.

      Der Seewolf hob den Messing-Kieker ans Auge, aber außer den Mastspitzen konnte auch er noch nichts erkennen.

      „Wir wollen auf Nummer Sicher gehen und jedes überhöhte Risiko ausschließen“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Ich schlage deshalb vor, daß wir sofort unsere Schiffe gefechtsklar machen. Sollte es sich wirklich um die Black Queen oder eins ihrer Schiffe handeln, dann werden wir die Galgenvögel gebührend empfangen.“

      Damit war jeder einverstanden. Noch während Jean und Siri-Tong auf die „Le Vengeur III.“ und Thorfin Njal auf den Schwarzen Segler zurückkehrten, liefen auf der „Isabella IX.“ die Gefechtsvorbereitungen auf Hochtouren.

      Die Seewölfe waren eine eingeschworene Crew, jeder Handgriff, den sie taten, saß. Sie verwandelten die Galeone, die Hesekiel Ramsgate noch in Plymouth erbaut hatte, im Handumdrehen in eine schwimmende Festung.

      Kaum hatte Philip Hasard Killigrew den Befehl dazu gegeben, flogen auch schon die Stückpforten hoch. Die sechsundzwanzig schweren Kanonen bewegten sich beim Ausrennen rumpelnd auf ihren Holzrädern. Auch die Drehbassen, von denen es je zwei vorn und am Heck gab, waren in kurzer Zeit einsatzbereit. Daneben wurden kleine Becken mit glühenden Holzkohlen auf die Geschütze