Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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wieder auf andere Ereignisse. Der Kapitän der „Coq d’Or“ ließ zwei Beiboote aussetzen. Hasard, Jean Ribault und der Wikinger folgten seinem Beispiel. Man wollte sich der Einfachheit halber am nahen Strand treffen, um die Fronten abzustecken.

      Schon bald war an Land ein großes Palaver im Gange, bei dem man sich gegenseitig beschnupperte.

      Hasard hatte sich in seinen Vermutungen nicht getäuscht. Wie sich rasch herausstellte, waren die fünfzig Mädchen, die nach und nach an Land gepullt wurden, allesamt lebenslustige, sehr temperamentvolle Französinnen, die sich keinen allzu großen Gedanken darüber hingaben, daß man sie „verschachert“ hatte.

      Die Reise in die Karibik war für sie nichts anderes als ein großes Abenteuer, und einige hegten die Hoffnung, hier ein neues Leben beginnen zu können. In Paris waren sie schließlich wie der letzte Dreck behandelt worden, hier aber sollte alles ganz anders sein. So jedenfalls hatte man es ihnen versprochen.

      Das Stimmengewirr am Nordstrand von Gran Cayman wurde immer lebhafter. Die Mademoiselles aus Paris verhehlten nicht, daß ihnen die harten Kerle von der „Isabella“, von der „Le Vengeur“ und dem „Schwarzen Segler“ gefielen.

      Edwin Carberry hatte endlich wieder einmal die Gelegenheit, seine fürchterlichen Französischkenntnisse zu verwerten, und Thorfin Njal, der sich immer wieder verlegen an seinem Helm kratzte, hatte plötzlich nichts mehr dagegen, daß seine Gotlinde diesmal nicht dabei war.

      Einige Seewölfe unterhielten sich mit Crewmitgliedern der „Coq d’Or“, die die wildesten Geschichten darüber auftischten, wie abwechslungsreich die Überfahrt mit den Mädchen an Bord gewesen wäre. Natürlich stimmte nicht einmal die Hälfte davon, denn auch die Mädchen hatten ihre Ehre, wie sich später noch herausstellen sollte.

      Edwin Carberry fühlte sich ganz als Gentleman. Er nickte in die eine Richtung und sagte betont vornehm „Bong schur, Missjöh“, und dann in die andere und flötete „Bong schur, Madmosell. Common tale wuh?“ Dazu schnitt er fürchterliche Grimassen, die jedoch ein freundliches Lächeln darstellen sollten.

      Lediglich Sir John gelang es, den Profos, auf dessen linker Schulter er hockte, aus der Fassung zu bringen. Der Papagei stieß eine Menge englischer und spanischer Flüche hervor, die ganz und gar nicht dazu angetan waren, das Ansehen Edwin Carberrys zu heben.

      Schließlich setzte die „Nebelkrähe“ allem die Krone auf, indem sie die Mademoiselles, die den Profos umringten, um das bunte Federkleid des exotischen Vogels auf seiner Schulter zu bewundern, als „verlauste Ziegenböcke“ bezeichnete. Ed wurde regelrecht verlegen, murmelte ein zerknirschtes „Pardon“ und verscheuchte Sir John von seinem Platz, denn wie verlauste Ziegenböcke sahen die Ladys nun wirklich nicht aus.

      Die wabernde Hitze trieb den Männern den Schweiß aus allen Poren. Die Mädchen schienen die hohen Temperaturen nicht zu empfinden. Sie trugen zu ihren langen Röcken offenherzige Blusen und freuten sich wie kleine Kinder über den heißen Sand des Strandes, in den ihre nackten Füße einsanken.

      Alle, die an Land gepullt waren, zogen sich in den Schatten der Palmenhaine zurück.

      Der Seewolf war in ein Gespräch mit dem Kapitän der „Coq d’Or“ vertieft. Wie sich rasch herausstellte, war Lucien Amadou ein sympathischer und offener Mann. Er war von untersetzter Gestalt, hatte rötlichblonde Haare und einen entsprechenden Vollbart. Der Seewolf schätzte das Alter des mittelgroßen Mannes, in dessen blauen Augen der Schalk blitzte, auf etwa dreißig Jahre.

      Hasard, Ben Brighton sowie Lucien Amadou und die vier Wortführerinnen der Mädchen hatten sich in unkonventioneller Art auf dem weichen Boden unter den Palmen niedergelassen.

      Amadou hatte zunächst die vier Ladys vorgestellt, die im Interesse aller sprachen. Zu ihnen gehörte eine sogenannte Vertrauensperson namens Manon. Sie war dunkelhaarig, schlank, etwa fünfundzwanzig Jahre alt und so hübsch, daß sich jeder im stillen fragte, wie sie nur an diesen „Beruf“ geraten war.

      Doch Manon hatte eine ziemlich düstere Vergangenheit hinter sich, und das Leben hatte es bisher alles andere als gut mit ihr gemeint. Als Findelkind war sie in falsche Hände geraten und schließlich aus dem ungastlichen „Zuhause“ geflohen. So war es geschehen, daß sie auf der Straße landete.

      Auch die etwa fünf Jahre jüngere und etwas zur Fülle neigende Julie gehörte zu den Wortführerinnen – ebenso wie die brünette und gertenschlanke Cécile, die mit ihren achtzehn Jahren die Jüngste im Führungsgremium der Mädchen war.

      Außerdem war da noch Esther. Sie hatte jettschwarzes Haar, dunkle und rätselhafte Augen und sah aus wie eine Südländerin.

      „Ich gestehe, daß wir zunächst etwas überrascht waren über das Äußere Ihres Schiffes“, sagte Hasard lächelnd. Gleichzeitig wich er einem bewundernden Blick aus Esthers dunklen Augen aus. „Wir hatten eigentlich ein anderes Schiff erwartet, daraus erklärt sich auch unsere Gefechtsbereitschaft.“

      Amadou lachte. „Nun, Monsieur Killigrew“, sagte er, „ein Schiff mit rauhem Bordleben und feuerspeienden Kanonen – all diese Dinge gehören nicht unbedingt zu einer Umgebung, in der sich Frauen und Mädchen wohlfühlen. Darauf beruht es wohl, daß die ‚Coq d’Or‘ von ihren weiblichen Passagieren ein bißchen umfunktioniert wurde. Ich habe das geduldet, um den Mädchen nicht die gute Laune zu verderben. Ich nehme an, daß sie sich so etwas wohler an Bord gefühlt haben. Ist es nicht so, ihr Hübschen?“

      Die Mädchen nickten eifrig.

      „Wir sind mit Kapitän Amadou sehr zufrieden“, bestätigte Manon. „Er hat sich nicht in unsere Angelegenheiten eingemischt und alles getan, um uns das Leben an Bord zu erleichtern. Sogar die gräßlichen Kanonen durften wir einhüllen, um sie nicht ständig vor Augen zu haben. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet.“

      „Die Mädchen sind also aus Paris?“ fragte Hasard.

      „So ist es“, erwiderte Amadou. „Ich habe sie dort von einem Händler übernommen, mit dem Auftrag, sie nach Honduras zu bringen und in El Triunfo einem gewissen Emile Boussac zu übergeben. Er sollte der Besitzer einer Schenke namens ‚La Mouche Espagnole‘ sein. Aber in El Triunfo haben wir nur noch Rauch und Asche vorgefunden. Ich habe deshalb im Einvernehmen mit den Mädchen beschlossen, ein Stück weiter nach Osten zu segeln, etwas herumzuhorchen und die Mademoiselles notfalls an einem Ort ihrer Wahl an Land zu setzen. Zurück nach Frankreich wollten sie nicht.“

      Manon lächelte.

      „Eine Rückkehr nach Paris konnten wir Monsieur Amadou zum Glück ausreden“, sagte sie. „Wir wollen auf jeden Fall in der Neuen Welt oder in der Karibik bleiben. Irgendwo werden wir schon ein passendes Etablissement finden oder aber selber eins einrichten. Wir sind unternehmungslustig genug, um nicht aufzugeben. Wenn sich dieser Monsieur Boussac nicht mehr um uns kümmern kann, denn werden wir es eben selber tun.“ Aus ihrer hellen Stimme klangen Festigkeit und Entschlossenheit.

      Amadou, der mit seinen überkreuzten Beinen wie ein orientalischer Pascha am Boden hockte, nickte zustimmend.

      „Eigentlich haben wir Kurs auf diese Insel genommen, weil wir dachten, etwas über den Verbleib Emile Boussacs zu erfahren. Aber wie es aussieht, handelt es sich bei Ihnen und Ihren Männern um die einzigen menschlichen Wesen auf Gran Cayman.“

      „Stimmt“, sagte der Seewolf. „Und auch wir werden nicht mehr lange hier sein. Ich denke jedoch, daß ich Ihnen zumindest einige Tips geben kann, die Ihnen weiterhelfen.“

      Amadou und die vier Mädchen wurden hellhörig.

      „Sie kennen Monsieur Boussac?“ fragte die dunkeläugige Ester.

      „Kennen wäre zuviel gesagt“, fuhr Hasard fort. „Doch ich weiß von Monsieur Ribault, dem Kapitän der ‚Le Vengeur‘, was sich in El Triunfo abgespielt hat. Die Vermutung liegt nahe, daß Emile Boussac nach dem vernichtenden Überfall der Spanier zusammen mit der Black Queen nach Tortuga gesegelt ist. Das gleiche gilt für jene Siedler, die das Massaker überlebt haben.“

      „Oh, das ist sehr interessant!“ rief die achtzehnjährige Cécile. „Wo findet